Geschrieben von dottore am 01. Februar 2002 18:15:03:

 Als Antwort auf: Wie lange hält das jetzige System? geschrieben von WieLi am 01. Februar 2002 10:10:22:

>Hallo an alle,
>jeden Tag lesen wir hier wie schlecht es in Deutschland und Amerika mit den Finanzen sowohl von Firmen (Bilanztricks) als auch von Privatpersonen (Verschuldung) als auch und zu guter letzt dem Staat (Zahlungsunfähigkeit der Komunen und Neuverschuldung) steht.

Hi WieLie,

 diese Frage beantwortet entweder ein Outside-Schock (siehe Galianis Posting) ansonsten wird es schwierig. Denn letztlich läuft's darauf hinaus, wie lange und wer zusätzliche Kredite nehmen also aufschulden kann, ohne dass die Gläubiger (alte, dann würde prolongiert, oder neue) streiken.

Diese Frage ist bei Unternehmen am schnellsten beantwortet. Denn das bestimmen letztlich die kreditierenden Banken (siehe Basel II usw.). Firmenkredite an gros sind eine heikle Sache, weil sie - falls notleidend - die Banken mit in die Tiefe ziehen können. Die Kreditspielräume der Unternehmen haben sich in letzter Zeit deutlich verringert, so dass dort - Ausnahme: starke Konjunkturerholung, aber die müsste dann vom Staat oder den Verbrauchern initiiert werden (siehe US-Konsument!) - derzeit das Ende der Fahnenstange nicht mehr weit ist.

 Bei Verbrauchern ist noch "Luft", zumal in den USA, wenn sich vor allem die Immobilienpreise weiter erhöhen sollten. Dass dies nicht ewig dauern kann, ist auch klar. Sehr wichtig (siehe Postings gestern) ist also die Entwicklung der US-Immobilienpreise. Teurere Immobilien = zusätzliche Kreditbesicherung. Auch dort bahnt sich irgendwann ein Ende an, aber da dies ausschließlich ein psychologisches Phänomen ist, muss man vorsichtig sein. Vielleicht kommt irgendetwas, das die Stimmung der Verbraucher derart befeuert, dass sie sich in bisher ungeahntem Maße in zusätzliche Schulden stürzen.

Bleibt der Staat. Wie es in Japan läuft, ist Dir bekannt. Das Modell läuft aber langsam aus. In Euroland haben wir die Maastricht-Kriterien, d.h. die Verschuldungsmöglichkeiten sind zunächst plafondiert, was die Politiker aber ändern können (mit natürlich verheerenden Wirkungen auf Psychologie und Geld- und Kapitalmärkte, vom dann eintretenden Contra-Kurs der EZB ganz zu schweigen, was nicht erklärt werden muss, Eichel hat schon seinen blauen Brief, und wenn Deutschland einfach weiter macht, gibt's Strafzahlungen, und wenn es alle Euro-Staaten machen und die 3 %-Grenze Neuverschuldung/BIP generell fällt, ist wg. Hyperinflationsbefürchtungen sowieso jegliches Vertrauen hin).

Bleiben letztlich die USA. Die haben noch am meisten Kreditspielraum und könnten offensive Defizite fahren. Staatsverschuldung = 5,7 Bio $, etwa 50 % des BIP. Da sie aber den Rest der Welt quasi mitziehen müssten, würde es nur Sinn machen, mit weiteren Billionen zu arbeiten, was wiederum die Kapitalmärkte drüben ruiniert = Crash bei Finanzpapieren.

 Nehmen wir den best case an und alle Staaten gleiten smooth in das japanische Modell über, dann kommt es letztlich auf die Frage an:

Wie lange kann eine weltweite zusätzliche Staatsverschuldung schneller wachsen als das weltweite BIP?

Dabei muss beachtet werden,

a) dass zusätzliche Staatsverschuldung in die BIP-Rechnung eingeht (Staatsschuldenzinsen auch), was die Optik verstellt und

 b) dass mit zusätzlichen Zinsen aus Staatsverschuldung Einkommen simuliert werden, die nichts mit der realen Wirtschaft zu tun haben; denn für diese Zinsen, die nur gezeigt und dann gleich wieder hochgebucht werden, wird nirgendwo gearbeitet, was die Beschäftigung insgesamt lähmt ("arbeitslose Einkommen").

 a) und b) konterkarieren sich also rechnerisch, d.h. es kann das BIP gleich bleiben und dennoch nehmen Produktion und Beschäftigung immer weiter ab.

 Ganz sicher ist es zu Ende, wenn die Zinsen auf die Staatsschulden (die anderen nehmen wir als bereits in die Staatsschuld reingebucht, weil der Staat alle Pleiten bzw. deren Folgen vermeiden möchte, bei Unternehmen und Privaten) das - dann nur noch rechnerisch existente - BIP tangenziell erreichen. Ganz erreichen könnten sie das BIP nicht, weil die Zinsen ja Teil des BIP sind, und das ganze BIP nicht vollends aus Zinsgutschriften bestehen kann, da es immer noch irgendwo "Nischen" gibt, in denen real gearbeitet wird.

 Das ist übrigens zentraler Punkt des sog. "Domar-Theorems", wonach Staatsschulden ganz wurscht sind, wenn es Wachstum gibt, was natürlich ein Zirkelschluss ist, weil Staatsschulden selbst "Wachstum" erzeugen, vgl. "The burden of the debt an the national income", AER, 1944, 798 ff.

 Es wird also irgendwo zu einer kritischen Klumpung kommen. Dies zu ermitteln?

Sagen wir: Staatsschulden (wie beschrieben) = BIP. Da passiert noch nichts.

 Staatsschulden = 3 mal BIP (etwa der Bereich Japan aktuell, etwas Rentenverpflichtungen müssen auch berücksichtigt werden) = Rote Lampen, vor allem weil der Realsektor immer schneller abschmiert.

Staatsschulden = 5 mal BIP = definitiv vorbei.

Denn dann ist jedem klar, dass die Staatsschulden niemals mehr bezahlt werden können. Es müsste ja 5 Jahre lang das ganze BIP zu 100 % besteuert werden. Die 5mal sind ganz schnell erreicht, dazu müsste der Staat nur die in Endloskette notleidend gewordenen Schulden der Unternehmen bzw. Privaten übernehmen (allein in den USA mehr als 2mal BIP) oder die Renten- und Pensionsansprüche endlich mal auf Gegenwartswert abgezinst darstellen (= 2,5 bis 3,5mal BIP).

Es fehlt also nur noch jemand, der der Katze die Schelle umhängt ("wir sind doch schon mitten drin im Staatsbankrott" - siehe nur Berlin) und dann eine sich selbst verstärkende Massenpanik: Raus aus Forderungen, rein in irgendwas "Reelles".

Oder irgendwo reißt das kunstvolle Gebilde (Galianis Gedanke, gefällt mir am besten), was jeden Tag passieren kann. Danach geht alles blitzschnell.

Ganz eng ist's gerade mit den US acconting practices (hier ausführlichst nachzulesen, vielen Dank an dieser Stelle allen, die so viele Informationen dazu liefern!). Schlimmer als der Bankrott ist der betrügerische Bankrott, noch dazu wenns flächendeckend zugeht.

The stage is set.

Und für alle (mich inklusive), die wissen oder auch nur ahnen, dass die Nummer nach finanzmathematischer Logik schief geht, kann nur gelten:

Jeden Tag, wenn nicht gar jede Stunde, alles ganz genau anschauen!

>Gibt es irgendeinen Hinweis wie lange das Aufrechterhalten werden kann?? Argentinen ist ja nun gefallen, die Türkei bettelt nun den IWF wieder an, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden.
>Also wie lange reichen den die Reserven,

Reserven gibt's in diesem Sinne keine. Die einzige Reserve, die ein Kreditsystem hat, ist die Möglichkeit, zusätzlichen Kredit nehmen zu können.

>wie lange können die Notenbanken (Amerika) ihr Konfettigeld verteilen?

Die Fed verteilt nicht so viel. Eine Notenbank kann nur Banknoten verteilen und die liegen unter 2 % der gesamten Kredit- bzw. Schuldensumme. Peanuts.

>Gibts da irgendwelche historischen Hinweise (dottore??). Das ewige hochbuchen auf die nächste Generation kann doch nicht ewig klappen.

Jawohl, das klappt nicht. Es ist aber Sache der nächsten Generation, es zu ändern. Sie ist Schuldner. Gläubiger haben nie einen Grund etwas zu verändern. Warum denn?

Ich will es mal jetzt drastisch sagen (und bitte dringend, dies nur als einen Gag zu verstehen; ich will auf keinen Fall missverstanden werden!):

Du bist vermutlich Mitglied der jüngeren Generation. Ich bin Mitglied der älteren Generation (62) und lebe nur noch zum kleinen Teil von Gelegenheitsarbeiten, ansonsten von Zins- oder Rentenzahlungen.

Die müssen (wie sonst?) von Dir aufgebracht werden (nicht persönlich, klaro).

Was sollte ich Dir raten? Für mich arbeiten, bis Du schwarz ausschaust? Nein! Wir beide fahren to the white cliffs of Dover (herrlicher letzter Eindruck nach einem schönen, langen Leben).

Then: Push me over the cliff! Aber das würdest Du nie tun.

Wir sollten besser heiraten, oder wir adoptieren uns gegenseitig. Dann bleiben Forderung und Schuld in der Familie. Und - oh Wunder - saldieren sich auf Null.
Trauriger Gruß an Dich und alle Jüngeren, denen die Generationen vor Euch diesen Saustall hinterlassen haben.

 d.