Ungleichheit kommt vor dem Fall

In den USA kompensiert der Kreditmarkt die steigende Ungleichheit der Einkommen.

Die Vereinigten Staaten sind ein Land mit grossen Einkommensunterschieden. Punkto Konsum herrschen Zustände fast wie im Sozialstaat. Doch die Umverteilungsmaschinerie der USA hat einen Haken - sie beruht weit gehend auf Krediten.
WERNER VONTOBEL

«Ja», meint Professor James K. Galbraith von der Texas University auf Anfrage, «man kann hier durchaus von Kreditsozialismus sprechen. Die Kreditmärkte kompensieren die Ungleichheit im Konsum, doch dieses System hat einen wahrscheinlich tödlichen Mangel, es ist nicht nachhaltig.» Galbraith, einer der weltweit führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Verteilung, ist umgekehrt überzeugt, dass die USA in den letzten Jahrzehnten nur deshalb relativ hohe Wachstumsraten erzielen konnten, «weil die Markteinkommen in hohem Masse umverteilt werden».

60 Prozent der US-Haushalte schreiben tiefrote Zahlen

Die nackten Zahlen bestätigen dies eindrücklich. Gemäss der Konsumstatistik von 2000 konsumieren die ärmeren 60 Prozent der US-Haushalte Güter und Dienstleistungen im Wert von 26 400 Dollar. Ihre durchschnittlichen Jahreseinnahmen betragen jedoch bloss 19 100 Dollar. Sie bestreiten also gut einen Drittel ihrer Ausgaben auf Pump oder aus dem Vermögen oder mit Hilfe von Zuwendungen von den reicheren 40 Prozent der Haushalte, die im Schnitt rund 21 000 Dollar mehr einnehmen, als sie für Konsumzwecke ausgeben. Würde diese Umverteilung aus irgendeinem Grund gestoppt, so gingen der US-Wirtschaft mit einem Schlag gut zehn Prozent des gesamten Privatkonsums verloren. Eine tiefe Rezession wäre die Folge.

Umso erstaunlicher ist es, dass diese Umverteilung à l'américaine bisher relativ wenig Beachtung gefunden hat. So weiss man beispielsweise nicht genau, wie denn die ärmeren Haushalte die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben genau finanzieren. Offenbar spielen dabei sozialstaatliche Einrichtungen eine weit grössere Rolle, als in Europa gemeinhin angenommen wird. So schätzt etwa eine Studie aus dem Jahre 1997, dass von den jährlichen Einkommensschwankungen der Haushalte im Schnitt etwa 10 Prozent durch staatliche Transfereinkommen und weitere rund 30 Prozent durch die zu- und abnehmenden Steuern ausgeglichen werden.

Schliesslich greifen die US-Haushalte in hohem Masse auf ihre Ersparnisse zurück, wenn die Einkommen aus irgendeinem Grund zurückgehen. 25 bis 40 Prozent der Einkommensschwankungen werden auf diese Weise kompensiert. Zu welchen Höchstleistungen die amerikanische Umverteilungsmaschinerie fähig ist, haben die Ökonomen Dirk Krueger (Harvard) und Fabrizio Perri (New York University) in einer soeben veröffentlichten Langzeitstudie * festgestellt. Danach sind die Einkommensunterschiede zwischen den USA-Haushalten und gleichzeitig auch die Einkommensschwankungen der einzelnen Haushalte in den letzten 25 Jahren sehr viel grösser geworden. Während 1973 die reichsten zehn Prozent der Haushalte (ohne Rentnerhaushalte) noch fünfmal mehr verdienten als die (in jenem Jahr) zu den ärmsten zehn Prozent gehörenden Haushalte, betrug das Verhältnis 1998 bereits mehr als 9 zu 1. Betrachtet man jedoch statt der Einkommen den Konsum der gleichen Haushaltsgruppen, so stellt man fest, dass die Unterschiede erstens deutlich geringer waren - nämlich 3,1 zu 1 anno 1973 - und dass sich dieses Verhältnis auch kaum verändert hat. Es betrug 1998 «nur» 3,35 zu 1.

Gemäss Krueger und Perri ist die immer grössere Lücke zwischen Einkommen und Konsum zu einem grossen Teil durch eine Zunahme der privaten Bankkredite geschlossen worden. In der Tat: Mitte 2002 waren die privaten Haushalte mit insgesamt 8032 Milliarden Dollar verschuldet. Das sind 111 Prozent der jährlichen Konsumausgaben. Anfang der Siebzigerjahre hat dieser Anteil noch 75 Prozent betragen, und er steigt dann ab Mitte der Achtzigerjahre steil an. Diese Kredite und insbesondere die Konsumkredite von zurzeit rund 1750 Milliarden Dollar beruhen auf der Hoffnung, dass die verschuldeten Haushalte irgendwann einmal wieder mehr verdienen, als sie ausgeben.

Nur das reichste Fünftel kann noch Geld zur Seite legen

In der Tat schwanken die Einkommen der einzelnen Haushalte in den USA sehr stark, doch mittlerweile muss man schon zu den einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung gehören, um in nennenswertem Umfang Schulden aus dem laufenden Einkommen zurückzuzahlen.

Der Kreditsozialismus ist deshalb ein Modell auf Zeit. Sobald die Zinsen steigen, bricht das ganze Kartenhaus zusammen. Im Schnitt zahlen die US-Haushalte heute rund 14 Prozent (also fast zwei Monatslöhne) ihres verfügbaren Einkommens für Zinsen auf Konsum- und Hypokrediten. Vor 22 Jahren waren es auch schon 13 Prozent. Diese 13 bis 14 Prozent dürften in etwa die Schmerzgrenze darstellen. Sie wird heute nur deshalb nicht deutlich überschritten, weil die Zinsen auf einem historischen Tief liegen. Hypotheken kosten heute im Schnitt noch 6,3 Prozent. 1982 waren es noch gut 16 Prozent. Wer ein Auto kaufen will, erhält den nötigen Kredit fast gratis, nämlich für lächerliche 2,2 Prozent. Die Rückzahlungsfrist beträgt fünf Jahre und die mittlere Belehnung 96 Prozent. (Man muss also gerade noch vier Prozent bar anzahlen.) All dies sind historische Tiefstwerte.

Wenn sich die Zinsen nach oben bewegen, wird man schon sehr bald feststellen, dass der echte Wohlfahrtsstaat doch nicht so viel schlechter war als der amerikanische Kapitalmarktsozialismus.

* Does Income Inequality Lead to Consumption Inequality? Evidence and Theory, Dirk Krueger, Fabrizio Perri, NBER Working Paper No. w9202, September 2002.
 

http://www.cash.ch/index.cfm?kat=5&id=23
 



 

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Hohe Aktienkursverluste haben die fundamentalen Probleme verschärft
Immobilienmärkte in USA und Europa vor deutlichem Abschwung
 

Von den Höchstständen im Jahr 2000 hat der DAX in der Spitze rund 70%(!) seines Wertes abgegeben. In den USA waren die Verluste nicht ganz so dramatisch (S&P500: minus 50%, DowJones: minus 38%). Kursverluste diesen Umfangs sind im letzten Jahrhundert nur in der 'Großen Depression der Dreißiger Jahre' vorgekommen. Damals hatten die Vermögensverluste verheerende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere in den USA. Die Kursverluste sind heute - etwa 70 Jahre später - noch dramatischer, denn die börsenbedingten Vermögensverluste treffen diesmal aufgrund eines historisch hohen Investitionsgrades der amerikanischen Haushalte in Aktien einen noch breiteren Anlegerkreis als damals.

Hinzu kommt, das sich die Verschuldung der Haushalte, Unternehmen und Staaten in den USA und Europa auf nie dagewesenen Höchstständen befindet. Erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang auch die noch vor kurzem einmalig hohe Investitionsquote der Pensionsfonds amerikanischer Unternehmen in Aktien. Der dramatische Vermögensverlust in den Pensionskassen der US-Unternehmen führt dazu, daß diese teilweise erhebliche, den Gewinn mindernde Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen vornehmen müssen. Allein General Motors und Exxon haben hier zusammen eine Unterdeckung von ca. 25 Mrd. US-Dollar der Pensionszusagen. Um das Risiko in ihren Portfolios zu verringern, werden Pensionsfonds in die aktuelle Aufwärtsbewegung hinein als potentielle Verkäufer am Markt sein. Ähnliches gilt auch für die ebenfalls hoch investierten US-Versicherungen.

Die amerikanische Spekulationsblase am Aktienmarkt von 1995-2000 war nach unserer Auffassung die größte in der Weltwirtschaftsgeschichte. Das Platzen einer solchen Blase führte in der Historie mit einem Zeitverzug von etwa eineinhalb Jahren immer zu erheblichen Abwertungen an den Immobilienmärkten. Wir haben keinen Grund zur Annahme, daß dies diesmal anders sein sollte.

In der BRD und Europa gibt es bereits erste deutliche Einbrüche im Gewerbeimmobilienbereich. So sind z.B. die Umsätze in der BRD bei Gewerbeimmobilien im dritten Quartal 2002 um 60% gegenüber Vorjahr eingebrochen. Dieser Trend dürfte weitergehen. In den USA haben 70 % aller Amerikaner einen Hypothekenkredit, 60% davon haben eine 90%ige Beleihung. Die EK-Quote bei der Finanzierung beträgt aktuell durchschnittlich etwa 55% (1992 noch 75%).

Die US-Häuserpreise sind im Durchschnitt seit 1993 um ca. 50% gestiegen. Seit 1997 sind die Preise der Häuser stärker gestiegen als in jeder anderen Fünfjahresperiode seit 1945. Beachtenswert ist ferner, daß seit 1995 die Preise dreimal so schnell stiegen wie die Mieten. Dies sind Anzeichen von deutlichen Übertreibungen auch in diesem Sektor. Die Immobiliengesamtverschuldung ist mit ca. 2.000 Mrd. US-Dollar in Relation zum US-BIP auf ein Rekordniveau von 20% gestiegen.

Die US-Haushalte haben ihre jährliche Immobilienkreditaufnahme in den letzten 2,5 Jahren auf ca. 200 Mrd. US-Dollar p.a. verdoppelt. Dies geschah vor allem durch massive Kreditaufstockungen im Zuge von Refinanzierungen. Durch die stark gesunkenen US-Hypothekenzinsen fanden in den letzten Jahren mehrere Refinanzierungsrunden statt, die nicht nur zur reinen Umschuldung mit niedrigerem Zins genutzt wurden, sondern jeweils auch zu einer deutlichen Aufstockung der Immobilienkredite (sogenanntes "Cash-Out-Refi").

Allein in 2001 wurden auf diese Weise 140 Mrd. US-Dollar neue Schulden durch die US-Haushalte gemacht. Diese neuen Geldmittel wurden zum Teil für den Konsum genutzt, so das dieser trotz schwacher Wirtschaftslage und hoher Vermögensverluste durch fallende Aktien bis vor kurzem (erstmals Rückgang im September 2002) noch stabil war. Die stark gestiegenen Zinsen der letzten Wochen werden den Refinanzierungen für längere Zeit ein Ende setzen und die fallenden Immobilienpreise, die wir spätestens für das 2. Quartal 2003 erwarten, werden den US-Konsumboom zum Erliegen bringen. Die Folgen für die amerikanische Konjunktur und die Auswirkungen für Europa und Asien liegen klar auf der Hand und sollten sehr unerfreulich sein.
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Aus: http://www.toko-hagen.de/leser/2_mercur.htm