24.02.2002

Wonach sich die politische Klasse sehnt
 

Er kommt, er kommt, gleich ist er da! Nein, es hat Zeit, es eilt ja nicht, es genügt, wenn er im nächsten Jahr kommt. Sie fragen, von wem die Rede ist? Es ist Wahlkampf. Die politische Klasse wetteifert um ihre bestbezahlten Jobs. Immer noch nicht geschnallt, wer gleich oder später kommen soll? Beim "Aufschwung" beten die Grün-Roten zu Gott, von dem sie, als sie ihren Amtseid ablegten, nichts wissen wollten, damit sich der Aufschwung recht bald, jedenfalls noch vor der Wahl, bei ihnen melde. Die Opposition erhofft sich das Gegenteil: irgendwann ja, nur nicht mehr vor den Wahlen! Wen Sie auch wählen, jeder ist sich sicher, an ihm hat es nicht, kann es nicht gelegen haben, wenn er kommt. Wir kämen zum Wirtschaftsaufschwung wie die Jungfrau zum Kind. An den Klapperstorch glaubt kaum noch einer. Aber wer soll den Aufschwung denn bringen, wenn nicht der Klapperstorch?

95% der Ökonomen glauben, die Rezession sei im März vorbei, ergab die Februarerhebung des Wirtschaftsbriefes Blue Chip Economic Indicators. Im Januar waren es nur 90% die glaubten: "Es geht aufwärts". Die New York Post zitiert am 17.2 Reuters und jubelt: "Experts: Economy Will Swing in Spring." Alle Indikatoren kündigen ihn an, verkündet Finanzminister Eichel vor dem Bundestag - und glaubt den Quatsch; solche Glaubensfestigkeit fehlt den Kirchen heute.

Was sagen denn nun die Indikatoren? Im Aufschwung arbeiten als erstes die Werkzeugmaschinen, mit denen man Produktionsmaschinen herstellt. Investitionen in Werkzeugmaschinen ging nach Berichten der zuständigen Verbände in den USA (von denen uns der Aufschwung ja beschert werden soll) im Jahr 2001 um 34% gegenüber 2000 zurück, verglichen mit dem Jahr 1997 ein Minus von 55%. Wer nicht produzieren will, schafft sich auch keine neuen Maschinen an. Ein Verbands-Vize nannte es: "a deep, deep, deep sales slump." Aber bei uns läuft es im Maschinenbau besser - nachdem er hinreichend "gesundgeschrumpft" worden war.

Der Einsatz neuer Maschinen steigert die Produktivität, ein untrüglicher Indikator mit doppeltem Boden. AIRBORNE INC, das dritt größte Luftfrachtunternehmen steigerte seine "Produktivität" um 5,9% dadurch, daß es laut Bloomberg Reports im letzten Viertel Jahr 600 Angestellte entließ. Andere taten es ebenso, ohne neues Gerät zukaufen. Die Angst vor Arbeitslosigkeit macht müde Männer munter, sagen sich die Whiskytrinker in den obersten Etagen.

Auch der Wohnungsbau hatte schon so manchen Aufschwung eingeleitet. Das US- Bundesaufsichtsbüro für Wohnungsbau, das vor allem den Hypothekenmarkt überwacht hat seinen Stab an Finanzprüfern aus Sorge um die Geschicke der beiden halbstaatlichen US Hypotheken Rückversicherer, im Volksmund Fannie Mae und Freddie Mac genannt, verdoppelt. Fannie and Freddie kaufen Hypotheken auf, ziehen darauf Wertpapiere, die sie wieder verkaufen. Das Kreditrisiko der Hypotheken bleibt ihnen. Warum die Sorge?

Das Wall Street Journal titelte am 20. Feb.: "FANNIE MAE ENRON?". Das ausführliche Editorial gibt Einzelheiten. "Fan und Fred haben $2.6 Billionen an ausstehenden Schulden und eine wachsende Abhängigkeit von Derivaten. Das Verhältnis von Schulden zu Sicherheiten habe dort im letzten Jahr 60 : 1 betragen, fünf mal mehr als bei Banken üblich. Ende 2000 hatten die beiden Institute ihr Außenständerisiko mit 780 Milliarden in Hedge Funds abgesichert, doch diese Sicherheit ist so sicher wie die Zahlungsfähigkeit der Gegenzeichner. Da brauen sich für den US-Bundeshaushalt, der die Garantie für diese Institutionen trägt, ähnliche Überraschungen zusammen, wie sie die Stadt Berlin mit ihren Bank und Immobiliengeschäfte erlebte: Statt Gewinne strömen Verluste in die Kasse.

Woher die Probleme? In den letzten Jahren hatten Banken Hausbesitzer aufgefordert die Hypothekenlast ihrer Häuser aufzustocken und dafür die Immobilien drastisch aufgewertet, eine letzte Möglichkeit, das blockierte "Konsumentenvertrauen" wieder liquide zu machen. Laut Washington Post vom 20. Feb. " berichtet die US-Maklervereinigung, daß im Jahr 2001, der Durchschnittspreis von Altbauwohnungen um 6.2% gestiegen sei". Wertschöpfung aus dem Nichts! "Die Rate, mit der die Preise anstiegen, läßt sich nicht aufrechterhalten" sagt Ian Morris von HSBC Securities und der Ökonom Samuelson stellt fest: "Wohnungen sind inzwischen etwa 1.6 Mal mehr wert als das verfügbare Einkommen der Amerikaner". Nur gut, daß die meistens ihre Wohnungen selbst besitzen. "Im Preisanstieg der Wohnungen spiegele sich zum Teil der Aktienboom" meinte Samuelson weiter. Wertschöpfung wie vom Lieben Gott "aus dem Nichts". Das mag umweltfreundlich sein, ist aber alles andere als "nachhaltig".

Am 18. Februar ermutigte Forbes seine Leser mit der Überschrift "THE PANIC SPREADS" , darunter wird die Sorge ausgedrückt: "Die Krise in Japan kann die Weltwirtschaft in eine Depression werfen, da sich der 12 jährige Wirtschaftsrückgang dort inzwischen zu einer vollwertigen Krise wie in den USA in den dreißiger Jahren ausgeweitet hat". Die Wirtschaftszeitung zitiert auch den Vertreter der Deutschen Bank in Japan: "Die Welt läuft auf eine Wirtschaftskrise zu, wie sie in einem Jahrhundert nur einmal auftritt".

In Kalifornien ist diese Katze bereits aus dem Sack. Das Legislative Analyst Office (LAO) kritisierte den vorgelegten Haushaltsentwurf von Governor Gray Davis, weil es den Rückgang bei Kapital- und Aktiengewinnen auf 62% schätzt ( die Regierung war von einem Verlust von nur 47% ausgegangen) und deshalb annahm, daß im Haushalt mindestens 5 Milliarden $ fehlen. Aus anderen Posten ergäbe sich damit zusammengerechnet eine Unterdeckung des Haushalts von 17,5 Milliarden. Was Menschen aus dem Nichts erschaffen, sinkt mit Sicherheit bald wieder ins Nichts zurück. Wann? Merken Sie es nicht?

Die Deutsche Bank hat Grund, mit gemischten Gefühlen nach Japan zu schauen. Auf ihrer Web-Site (http://www.deutschebank.de) war am 20. Feb. zu lesen, sie halte gegenwärtig Derivatkontrakte im Wert von über 11 Billionen €, das sind 8.413 Billionen € Verträge über Zinsraten, 2.408 Billionen € über Währungskurse, 339 Milliarden € Verträge über Wertpapierhandel and 66 Milliarden € in anderen Derivatverträgen. Die Gesamtsumme der so eingegangenen Zahlungsverpflichtungen von 11.227 Billionen € übertrifft den Umfang aller Banksicherheiten (950 Milliarden €) um das 12-fache, und ist 308 Mal größer als ihr Stammkapital (36.4 Milliarden € nach den Vorgaben der Bank für Intern. Zahlungsausgleich BIZ in Basel).

Aber was ist das, wofür die der Vorstand satte Provisionen einstreicht, gegen das, was Greenspan von der FED aufgepumpt hat. Und da schreibt doch ein George Hager am 19. Feb. in USA Today: Es gibt Gerüchte, Greenspan würde zurücktreten. Er werde nicht dazu gezwungen, sondern wolle das selbst. Wen kann das verwundern. Wenn Bush ihn ziehen ließe, das wäre verwunderlich. Klammert er sich doch wie wir alle nur all zu fest an die Illusionen, die wir uns aus dem Nichts erträumen. Die größten Träumer sind diejenigen, die sich so sehr an Stipendien aus der Staatskasse gewöhnt haben, daß sie sie, nach dem Motto: "Hoch die Arbeit, daß niemand dran kommt!" nicht mehr loslassen wollen.

Rentabilität ist, was die Wirtschaft antreibt. Man wird tätig, wenn Gewinne locken. Dazu hatte schon am 6.2. das Wall Street Journal etwas zusagen. Die Firmengewinne fielen im vierten Quartal weiter. 994 große US-Firmen aus allen Branchen realisierten im Jahr 2001 34,4 Milliarden $ Gewinn. Das waren 51% weniger als noch im schlechten Jahr davor. Die Gewinneinbrüche verteilten sich auf Firmen aller Branchen. Richtig verdient wurde nur an der Krankheit. 22 Pharmaunternehmen steigerten ihren Gewinn auf 8,2 Milliarden, die größten Finanzdienstleister sogar um 32% auf 9,9 Milliarden $, und die 79 größten Banken kamen auf 8,4 Milliarden Gewinn. Da bliebt für die anderen nicht viel übrig.

Aber nicht nur die Gewinnerwartungen der Firmen kommen ins Wanken. Noch die ausgewiesenen Gewinne erweisen sich als zweifelhaft, nachdem der Zusammenbruch von Enron recht eigenartige Methoden aufgedeckt hat, wie Unternehmen ihre tatsächlichen Verluste verstecken wobei ihnen angesehene Treuhandfirmen wie ARTHUR ANDERSON behilflich sind. Nach Enron sind ähnliche Unregelmäßigkeiten bei der zweit größten Versicherungsgesellschaft der Welt, bei Hank Greenberg's American International Group, Inc. (AIG) aufgetaucht. Die Gruppe schrieb ihre schlechten Forderungen ab, in dem sie diese an drei Firmen weiterverkaufte, die sie eigens zu diesem Zweck gegründet hatte. Die Treuhandfirma Ernst & Young war ihr dabei behilflich. Das Spiel war der US Bankenaufsicht (Securities and Exchange Commission, SEC) an Hand der PNN-Bank aufgefallen.

Auch aufgefallen war die AIG Gruppe erst kürzlich wegen ihrer engen Kontakte zu einer Israelischen Spionagefirma. AIG betreibt zusammen mit Aurec Communications die Golden AIG-Direct Insurance. Aurec Communications wiederum ist die Mutter von Amdocs, jener israelischen Firma, welche die Gebühren für fast alle Telefongespräche in der USA (vor allem aller Regierungsstellen) ermittelt und daher auch Zugriff zu ihrem Inhalt haben könnte, wenn sie das wollte. Neben Enron und AIG sind der SEC inzwischen auch entsprechende Unregelmäßigkeiten in den Büchern der Firmen Global Crossing, Nvidia Corp., und Elan Corp aufgestoßen. Die Suche beginnt erst. Große Rechtsanwaltsfirmen wittern Riesengeschäfte seitens diese Firmen und der betrogenen Anleger.

Woher soll also ein Aufschwung kommen? Zurückgebliebene Wirtschaftswissenschaftler machen überfüllte Lager für Krisen verantwortlich. Wenn alle Lager voll sind, braucht plötzlich niemand mehr zuzukaufen. Das ändert sich von alleine, wenn nach einer Weile doch nachgekauft werden muß. Doch welche Firma unterhält heute noch große Lager in der Fertigung. Die Produktionsflüsse sind so abgestimmt, daß man möglichst ohne große Lagerkosten auskommt. Nur die Absatzlager der Endprodukte für den Konsumenten stauen sich auf. Der Kunde zögert zu kaufen. Weil er nichts mehr braucht? Oder ist ihm nur das "Vertrauen" in die Zukunft abhanden gekommen. Die Sache ist einfacher: Er ist überschuldet, alle sind sie überschuldet. Da kann die Federal Reserve Bank wie ein Weltmeister Geld drucken und es auf die Märkte werfen, es rührt sich nichts - Japan macht das seit Jahren vor. Den Banken hängt das billige Geld zu Nasen und Ohren heraus, sie finden aber niemanden, dem sie es guten oder auch nur halbwegs guten Gewissens gegen Zinsen verleihen könnten. Alle haben ihre Kreditwürdigkeit über die Maßen ausgereizt. Wer noch Spiel hat, zahlt gerade noch seine Zinsen. Und nichts geht mehr. Woher dann der Aufschwung?

Wie lautet ein dummer Spruch: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Aber wie will man von einer politischen Klasse irgend einer Färbung etwas getan bekommen, wenn diese bisher nur Geld, das sie selbst nicht verdienen mußte, zum Fenster hinausgeworfen und ansonsten auf Befehle (oder "Ratschläge") aus den USA gewartet hatte. Der Aufschwung kann und muß gemacht werden. Dazu sind anpackende Menschen nötig, die Sie in der politischen Klasse nicht finden werden. Aber solche Menschen zu suchen, für sie Parteien zu organisieren und das alles gegen den Widerstand der Medien mit ihren Ehrabschneideversuchen, das artet in demokratisch politische Arbeit aus. Da wartet man doch lieber auf den Aufschwung und macht weiter nach dem bewährten Motto "vorwärts von Fall zu Fall".
 
 

http://www.spatzseite.de/20020224.htm