PLUNGEPROTECTION - Das unsichtbare Netz

In Amerika behaupten sich Immobilienmärkte und Börsen viel besser als in anderen Ländern. Welche Rolle spielt dabei das ominöse Plunge Protection Team?

Manche vermuten eine andere Institution, in der in solchen Augenblicken die Drähte glühen. „Plunge Protection Team“ heißt im Finanzjargon ein Zusammenschluss von Notenbankern, Finanzpolitikern und Wall-Street-Größen. Die Gruppe, so vermuten immer mehr Insider, ziehe die Märkte mit gezielten, eng koordinierten Stützungsaktionen wie etwa am 4. April 2000 nach oben. Das Team geht auf die Direktive 12631 zurück, die der damalige US-Präsident Ronald Reagan im März 1988 als Antwort auf den Crash von 1987 erließ. Der Finanzminister, der Chef der US-Notenbank und die Vorsitzenden der Wertpapieraufsichtsbehörde und der Terminmarkt-Handels-Kommission treffen sich seitdem in regelmäßigen Abständen in einer „Arbeitsgruppe für die Finanzmärkte“. 

Schon von der Reagan-Regierung wurde das Ziel der Gruppe formuliert: „Das Vertrauen der US-Investoren bewahren.“ Inzwischen soll das Anti-Absturz-Team auf 35 Mitglieder angeschwollen sein, darunter einflussreiche Banker wie Goldman-Sachs-Chef Henry Paulson und Merrill-Lynch-Boss Stanley O’Neal, die die schnellen Eingreiftruppen in den Handelsräumen der Wall Street steuern. „Den Amerikanern soll gezeigt werden, dass die Flagge noch über der Wall Street weht“, sagt der US-Finanzanalyst Robin Aspinall. 

Es war einer dieser Tage, die auch Fachleute ratlos hinterlassen. In den ersten vier Handelsstunden des 4. April 2000 verlor der Dow Jones fünf und der Nasdaq-Index sogar 15 Prozent. Zwei Stunden später beendete der Schlussgong der New Yorker Börsen eine Aufholjagd, die beide Barometer fast noch ins Plus gehievt hätte – ohne einen erkennbaren Grund. „Als ob Gott selbst interveniert hätte“, staunte tags darauf die „New York Post“. 
 

O P E R A T I O N  " M A R K T E I N G R I F F " 

Wie das Plunge Protection Team funktioniert 

1. Das Treffen
Das Plunge Protection Team aus Notenbankern, Finanzpolitikern und Wall-Street-Größen tagt regelmäßig. Informationen erhält das Team reichlich. Behörden, so die Verfügung 12631, „sollen, unter Erweiterung der gesetzlichen Befugnisse, der Gruppe alle Informationen zuleiten, die sie benötigt.“

2. Die Abstimmung
„Wir haben die Festnetz- und Handy-Nummern der anderen Teilnehmer“, sagt ein ehemaliges Mitglied der Arbeitsgruppe. Kommt es zu einer finanziellen Krise, startet das Team prompt durch. Alle Behörden des Plunge Protection Team, so berichten Insider, greifen dann auf einen Notfallplan zurück.

3. Der Einsatzbeginn
Das Plunge Protection Team nutzt frisch gedrucktes Geld der US-Notenbank, um den Aktienmarkt zu stabilisieren. Gewöhnlich beginnen die Interventionen um 21 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit. Die Notenbank und die verbündeten Investmentbanken kaufen Aktien – etwa von ängstlichen Aktienfondsmanagern.

4. Die Deals
Die Investmentbanken des Plunge Protection Teams kaufen massiv Aktienindex-Futures. Trotz relativ geringem Kapitaleinsatz erzielen sie so maximale Wirkung. Die Börsen stabilisieren sich. Zu dem Einsatz dieser Derivate riet schon 1989 der ehemalige NotenbankGouverneur Robert Heller.

5. Die Wirkung
Schnell sickert durch, dass bedeutende Investmentbanken kaufen. Andere Banken und Broker-Häuser ziehen nach – die Aktienindizes schießen nach oben. Verstärkt wird dieser Effekt durch optimistische Stimmen einflussreicher Analysten. Bei der Nasdaq scheiterte die Stabilisierung allerdings. 
 

F I N A N Z S P R I T Z E   D U R C H   H Y P O T H E K E N B A N K E N 

Trügerischer Reichtum 

Nicht nur der Dow, auch die US-Wirtschaft und ihre Bürger erhalten Hilfe. Sprechen will über die Kreditspirale, die sich im halbstaatlichen Kreditsektor immer schneller dreht, offiziell niemand. Doch in den Bilanzen der unter Staatseinfluss stehenden Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac finden sich ihre Spuren: Die beiden Institute haben ihre Kredite seit 1997 auf knapp 1,4 Billionen Dollar fast verdreifacht. Der Clou: Dank ihrer Staatsnähe können die Hypothekenbanken die Ausleihungen zu US-Regierungskonditionen refinanzieren. Mit Hilfe dieser Finanzspritzen können die Verbraucher ihre teuren Kreditkartenkonten umschulden und zum Wohl der amerikanischen Wirtschaft weiter auf Einkaufstour gehen. 

Die Stützungsaktionen im Immobilien- und Aktienmarkt zeigen Wirkung. Der Dow-Jones-Index verlor seit Anfang 2000 lediglich 29 Prozent. Vergleichbare Indizes wie der Dax stürzten dagegen um 64 Prozent ab. Die US-Immobilien verteuerten sich seit Anfang 2000 sogar um 22 Prozent – trotz Konjunkturflaute und New-Economy-Krise. Durch den Hausboom, den die lockere Kreditpolitik von Fannie Mae und Freddie Mac erst ermöglichte, fühlen sich viele US-Bürger reicher, als sie tatsächlich sind – eine psychologische Unterstützung für Aktienmärkte und Konsumklima. 

Auch das Plunge Protection Team leistet bisher solide Arbeit. Das Schema ist immer das gleiche: Mit der Notenbank im Boot stellt die Gruppe Milliarden US-Dollar für den Einsatz an der Börse zur Verfügung. Massive Käufe von Aktienindex-Futures durch die Investmentbanken bringen dann die Wende. Mit diesen Derivaten setzen Profis nur einen Bruchteil der Summe ein, die zum Kauf des Index notwendig wäre. Trittbrettfahrer springen auf und treiben das Börsenbarometer nach oben. Die Banken erschweren gleichzeitig den Leerverkauf von Aktien, etwa durch eine Vergrößerung der An- und Verkaufsspanne. Dieses Verfahren funktionierte beim Kollaps des Hedge-Fonds-Giganten LTCM 1998 offenbar genauso wie kürzlich vor Ausbruch des Irak-Kriegs. 

Doch die Risiken sind enorm. Scheitert die Intervention, sitzen Investmentbanken und Notenbank auf einem Berg von (Buch-)Verlusten. Um weitere Einbußen zu vermeiden, müssen sie auf fallende Kurse wetten, um ihre Spekulation auf die Hausse zu neutralisieren. Mit diesem Glattstellen beschleunigen sie aber ungewollt die Abwärtsbewegung. 
 

I M M O B I L I E N G E S C H Ä F T 

Enorme Bonitätsrisiken drohen 

Dazu kommen die Gefahren aus dem Immobiliengeschäft. Fannie Mae und Freddie Mac tragen jetzt die Bonitätsrisiken für die Hälfte des US-Immobilienmarkts – mit wachsender Tendenz. Rund 71 Prozent aller Neukredite an Private gehen inzwischen auf ihr Konto. Die Gegenfinanzierung der wuchernden Kredite läuft über neue Anleihen. Brisant: Ausländische Versicherer und Banken kauften allein in den vergangenen drei Jahren Papiere im Wert von rund 500 Milliarden Dollar und vertrauten dabei auf den Status von Fannie und Freddie als „Government Sponsored Enterprises“. Tatsächlich fehlt jedoch die explizite Staatsgarantie. 

Noch scheint das US-Establishment entschlossen, an den marktfremden Eingriffen unter allen Umständen festzuhalten. „Die Regierung besitzt eine Hochtechnologie, so viele Dollars wie gewünscht zu drucken – die Druckerpresse“, verkündete Ben Bernanke, US-Notenbank-Gouverneur, erst im November 2002. Noch deutlicher wurde ein leitender Greenspan-Mitarbeiter wenige Monate zuvor: „Die Notenbank könnte theoretisch alles kaufen, um Geld ins System zu pumpen.“ 

Doch die Nervosität wächst, ungeachtet des öffentlich zur Schau gestellten Zweckoptimismus. Armando Falcon, Chef der Aufsicht über die Hypothekenbanken und damit auch Wächter über Fannie Mae und Freddie Mac, erhielt am 5. Februar überraschend die Kündigung. Der Rauswurf kam nur Stunden vor einer Rede Falcons in New York. Thema: Risiken für das US-Finanzsystem durch die beiden Immobilienbanken. 

http://focus.msn.de/PF1D/PF1DN/PF1DNA/pf1dna.htm?id=1085&mid=1085