Das blieb dem gescheiterten Käufer RTL erspart: 

Wie bei n-tv die Börsenberichte jahrelang von Banken und Industrie finanziert wurden
 

Von Thomas Schuster 
 

Bernd Heller, dem einstigen Sonnyboy unter den Finanzmoderatoren, ist das Lachen gefroren. Der Neue Markt ist klinisch tot, für die Börsenleiche sind bald die Priester zuständig. Der Dax ist fast schon ein Fall für die Wunderheiler. Ab und zu noch zuckt Heller, dem Ansager der "Telebörse" auf n-tv, ein wildes Grinsen über das Gesicht. Doch seine Vitalität ist mit dem Verfall der Werte verflogen, der bereits einsetzte, bevor die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September einem jeden den flüchtigen Flachs austreiben konnten. 

Und nun stellen wir uns noch einen Gesprächspartner vor wie - Carsten Lucht vom Bundesverband Finanzdienstleistungen: Der bärtige ältere Herr, telegen wie ein Teebeutel, ist Studiogast. Er soll über die richtige Anlage in Investmentfonds informieren. Sein Patentrezept ist simpel: Gewinner finden und Verlierer vermeiden. Weder Heller noch er erklären, wie man dies macht - weil es solche Patentrezepte nicht gibt. Doch sie einigen sich darauf, daß gemanagte Fonds eine feine Sache sind. 

Die Finanzindustrie frohlockt: Dank solcher Sendungen kann sie an Marketingmitteln sparen. Denn hier findet die Werbung zwischen den Werbeblöcken statt. Wenn es nicht wirklich so wäre, müßte man denken, die "Telebörse" werde von Industrie und Banken finanziert: Bis vor kurzem und viele Jahre lang war dies in der Tat der Fall - eine kuriose und verwickelte, doch in der Öffentlichkeit kaum bekannte Geschichte. 

Die "Telebörse", der "Klassiker" des deutschen Wirtschaftsfernsehens, blickt auf ein wechselvolles Schicksal zurück: Pünktlich zum Börsencrash von 1987 startete das Programm bei Sat.1. Doch die Finanzshow entpuppte sich als Quotenkiller. Mehrfach kurz vor dem Aus, landete sie nach langer Odyssee durchs deutsche Fernsehen 1994 bei n-tv. Dort entwickelte sie sich zum tragenden Element der Börsenberichterstattung. Eine Konstante jedoch gab es seit der Frühzeit der "Telebörse". Seit ihrem Start standen mächtige Wirtschaftsinteressen hinter der Sendung: Sechs Großbanken und drei Verlage kamen für die Finanzierung der Finanzshow auf. Deutsche Bank, Dresdner Bank, DG Bank, BHF-Bank, Commerzbank, DGZ sowie die Verlage Springer, Handelsblatt und Börsenzeitung. Sie schlossen sich als Träger der "Telebörse" 1987 zur Deutsches Börsenfernsehen GmbH (DBF) zusammen. 
 

Börse wie Bundesliga. 

Erklärter Firmenzweck der DBF war es, Wirtschaftsnachrichten per Fernsehen unters Volk zu bringen. Die Idee wurde im Kreise der beteiligten Verlage und Banken geboren. Rüdiger Freiherr von Rosen, damals Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen und heute Chef des Deutschen Aktieninstituts (DAI) und Aufsichtsratsvorsitzender der DBF, war einer der Initiatoren. 

"Die Leute", so von Rosen, "sollten sich mit der Börse beschäftigen wie mit der Bundesliga." Der Journalist Friedhelm Busch, der die Methode der Sportreportage in den Börsensaal übertrug, wurde zum Aushängeschild für das Projekt. Hinter den Kulissen sammelten von Rosen und die DBF das Geld ein und sorgten für die nötige Vernetzung mit Sponsoren. Sie unterstützten die Sendung mit Rat und Tat und fingen die laufenden Verluste auf. 

Und die waren heftig: Anfang der neunziger Jahre war Wirtschaftsfernsehen als Kapitalvernichtungsmaschine verschrien. "Sie können den Nikkei-Index ja nicht singen lassen", meinte RTL-Chef Helmut Thoma damals. Auf nur eine bis 1,5 Millionen Mark jährlich beliefen sich die Werbeumsätze der "Telebörse", die Kosten liefen mit sechs bis acht Millionen Mark pro Jahr davon. Die Musik mußte also von dort kommen, wo ein inhärentes Interesse an der Verbreitung börsenbezogener Nachrichten bestand: von der Finanzindustrie. Allein 1992 soll der Bundesverband deutscher Banken mit einer Finanzspritze von mehreren Millionen Mark eine Einstellung der Sendung verhindert haben. 1993 erwirtschaftete die Börsenshow wieder einen Verlust von sieben Millionen Mark. 

Roland Klaus, der 1993 als Volontär bei der "Telebörse" war, erläutert die Motivation der Banken. In einem 1997 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift "Der Medienredakteur" schreibt Klaus, daß "die Banken hauptsächlich daran interessiert waren, durch die Sendung die Bereitschaft ihrer Kunden zum Handeln mit Wertpapieren anzuregen". Privates Wirtschaftsfernsehen als Vermarktungsarm der Finanzindustrie? 

Während die "Telebörse" mit Lob aus der Medienkritik überschüttet wurde, hatten ihre Sponsoren ganz anderes als gutes Fernsehen im Sinn. Die beteiligten Banken, aber auch führende börsennotierte Industrieunternehmen machten keinen Hehl daraus, daß sie die Börsenshow als eine Art Dauerwerbesendung betrachteten. Die Geschäftsführung der DBF sprach von einer "PR-Veranstaltung für den Aktienmarkt". Eine Veranstaltung, die sehr unauffällig organisiert wurde: Öffentlich trat die Deutsches Börsenfernsehen GmbH kaum in Erscheinung. Die Gesellschaft wird bis heute in der Presse kaum erwähnt. Sie besitzt keine eigene Firmenbroschüre. 

Am 3. Januar 1994 wechselte die "Telebörse" vom Deutschen Sportfernsehen (DSF), wo sie kurz Unterschlupf gefunden hatte, zu n-tv. Zeitweilig stand sogar eine Plazierung beim Sender 3sat zur Diskussion, der mit der "3satBörse" von Peter Nemec bereits ausgiebig Erfahrung in der Börsen-Animation gesammelt hatte. Doch die Kooperation kam nicht zustande. Uneins war man sich unter anderem über die redaktionelle Verantwortung: 3sat wollte die "Telebörse" selbst betreuen, die Banken bestanden auf privater Kontrolle. 

Das Überleben der "Telebörse", das damals in Frage stand, verdankt sich mächtigen Verbündeten: Gerhard Liener, der Finanzchef von Daimler-Benz, der sich später das Leben nahm, und Veba-Chef Ulrich Hartmann, der heute den Energiekonzern Eon leitet, haben mit Verbindungen zu potentiellen Partnern geholfen, wie Rüdiger von Rosen erläutert. Mit Briefen an Sponsoren hätten sie Unterstützung organisiert. Nötigenfalls wären sie, sagt von Rosen, als Geldgeber selbst eingesprungen. Doch dies erübrigte sich mit dem Wechsel zu n-tv. 

Dem kleinen Berliner Nischenkanal, der als Sendezwerg mit 0,2 Prozent Marktanteil systematisch die Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit unterlief, kam die illustre Gesellschaft gerade recht: n-tv wurde durch die Eingliederung der "Telebörse" einen Konkurrenten los und erweiterte gleichzeitig seine Wirtschaftsberichterstattung. Daß man sich damit zur Plattform eines interessengeleiteten Fremdprojektes machte, schien nicht zu stören. 

Die Banken hatten ihre Einstellung zur Börsenshow auf dem Bildschirm mittlerweile modifiziert. In den Chefetagen der Finanzhäuser hatte man festgestellt, daß mit dem Verkauf von Investmentfonds sehr viel mehr Geld zu verdienen ist als mit Provisionen aus privaten Aktienorders. "Durch Intensivierung der Werbung für Investmentfonds", so Roland Klaus, "wurde versucht, Privatanleger von der Anlage in Einzelwerte in die Fondsanlage zu drängen." 

Mit dem Wechsel der "Telebörse" zu n-tv wurde die Deutsches Börsenfernsehen GmbH neu strukturiert. Die Zahl der offiziellen Gesellschafter wurde reduziert, die Basis jedoch erheblich und - so die Geschäftsführung der DBF - gezielt verbreitert: Die Banken stiegen namentlich als Gesellschafter aus, von den Verlagen blieb nur das "Handelsblatt" dabei. Seit Februar 1994, und bis heute, sind drei Partner an der DBF beteiligt: die Verlagsgruppe Handelsblatt mit 30 Prozent, die Deutsche Börse AG mit 35 Prozent und das Deutsche Aktieninstitut e.V. (DAI), ein Verein zur Förderung der Aktie, mit weiteren 35 Prozent. Die Gesellschaften trugen entsprechend der Höhe ihrer jeweiligen Beteiligung zur Finanzierung der "Telebörse" bei. 
 

Banken steigen aus. 

Hinter diesen drei Partnern stehen die Größen der deutschen Wirtschaft: Im DAI, dem 1953 gegründeten "Arbeitskreis zur Förderung der Aktie", versammelt sich, was am Finanzmarkt Rang und Namen hat. Die Mitgliederliste liest sich wie ein "Who's who" der Börse: Platzhirsche wie die Deutsche Bank und Telekom, aber auch kleine Nager wie EM.TV sind vertreten. Mit der Beteiligung des Deutschen Aktieninstituts an der DBF gewann das Projekt "Telebörse" eine breite Basis: Deutschlands Aktiengesellschaften finanzierten die Börsenberichterstattung von n-tv. 

Und dies nicht nur indirekt: Denn zur Finanzierung der Finanznachrichten des Berliner Kanals setzte das DAI nicht Eigenmittel ein, sondern Kapital, das von einem sogenannten "Sponsorenkreis Telebörse" aufgebracht wurde. Dieser setzte sich aus rund dreißig börsennotierten Unternehmen, wie Siemens, Daimler und Veba, zusammen. Viele Mitglieder des DAI, aber auch Nichtmitglieder steuerten bei. Rüdiger von Rosen organisierte die Sammelaktion: Als Chef des DAI und Initiator der DBF war er dazu hervorragend positioniert. 

Laut Angaben der Geschäftsführung der DBF wurde die "Telebörse" bis zum 31. Dezember 2000 von ihren Unterstützern aus der Wirtschaft finanziert. Als Hausnummer nennt von Rosen einen Betrag von "nicht mehr als 35 Millionen Mark", der seit Bestehen der Sendung in deren Förderung investiert worden sei. Weitere Finanzspritzen in der Zukunft würden als nicht mehr nötig erachtet, da n-tv mittlerweile kostendeckend arbeite. 

"Wir sind also nicht ausgestiegen", macht Freiherr von Rosen klar, "wir haben erreicht, was wir wollten." Der Übergang war langfristig geplant, die Beiträge an den Sender wurden jährlich um zehn Prozent reduziert. Bis n-tv auf eigenen Füßen stand: Im Geschäftsjahr 2000, als n-tv in der Gewinnzone war, flossen noch zwei Millionen Mark an die Macher der "Telebörse". Mit dieser Zahlung, knapp eineinhalb Jahrzehnte nach Beginn der Förderung der Sendung durch die Spitzen der Ökonomie, wurde die "Anschubfinanzierung" eingestellt. 

Nicht ohne Stolz betont von Rosen, daß die finanziellen Zuwendungen "in keinem proportionalen Verhältnis zum Ergebnis" standen. "Die Basisarbeit der ,Telebörse' hatte einen besonders hohen Anteil an der Popularisierung der Aktie", so der Börsenförderer. Diese Multiplikatorenwirkung sei an der "eigentlich lächerlichen" Höhe der geflossenen Gelder nicht zu messen. Der intellektuelle Input, die Sponsorentreffen, das Coaching der Redaktion, so von Rosen, seien in gewisser Hinsicht sehr viel wichtiger gewesen. Dadurch habe man wesentlich zur Stabilisierung von n-tv beigetragen. 

"Die ,Telebörse'", folgerte Roland Klaus bereits 1997, "und das gesamte Wirtschaftsprogramm von n-tv werden somit von der Industrie wesentlich mitfinanziert." Finanzmarkt und Finanzfernsehen, so schien es schon damals, sind aufs innigste verbunden: Börse, Börsenförderer und Börsenberichterstatter sitzen in einem Boot. 

Seitens n-tv heißt es heute, die finanzielle Verbindung von DBF und "Telebörse" habe zu "keiner expliziten Meinungsbeeinflussung" geführt. Mitarbeiter des Senders erklären, man sei "relativ frei" in der journalistischen Arbeit. Dies schließt jedoch nicht eine implizite Meinungsbeeinflussung aus: von der Sorte, wie sie sich in der Vermeidung kritischer Berichte, einer schonenden oder einer besonders wohlwollenden Behandlung der Sponsoren niederschlägt. 

Solche Bedenken werden von zahlreichen Beteiligten als Spitzfindigkeiten abgetan, womit jedoch nicht die Grundlosigkeit des Einwands, sondern nur die Sorglosigkeit der Reaktion erwiesen wäre. Professor Wolfgang Gerke von der Universität Erlangen-Nürnberg ist der Ansicht, daß es wichtig war, die Finanzmärkte in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Jedoch selbst Gerke sieht einen Interessenkonflikt, wenn ein Nachrichtenmedium von denjenigen subventioniert wird, über die es berichtet. Siegfried Weischenberg, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, hält es für angebracht, bei einer solchen Konstruktion eher von Public Relations zu sprechen. "Im Grunde genommen", so Weischenberg, "handelt es sich um einen wesentlichen Verstoß gegen die Grundregeln des Journalismus." Die nämlich geböten eine sichtbare Trennung zwischen redaktionellen Inhalten und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. "Eine Börsenberichterstattung", so der Medienwissenschaftler, "die im dunkeln beeinflußt werden könnte, nützt auf Dauer niemandem." 

Ein Vertreter von n-tv bezeichnete die Konstellation als "potentiell kritisch". Die meisten jedoch erklären, sie wüßten nichts, andere, die davon wissen müßten, erklären nichts: Bernd Heller, seit dreizehn Monaten Anchorman der Sendung und damit erst in der Spätphase des DBF-Engagements bei der "Telebörse", hat zwar von der Gesellschaft schon gehört. Er sagt jedoch, daß er keine Kenntnis über die finanzielle Unterstützung der Fernsehshow durch die Wirtschaft habe. 
 

35 Millionen Mark. 

Matthias Hofmann-Werther, bis April 2001 als Geschäftsführer für die Fernsehaktivitäten der Verlagsgruppe Handelsblatt zuständig, gibt zu verstehen, daß er die Angelegenheit lieber abhaken würde. "Der Vorgang ist bei uns abgeschlossen", erklärt er. Soviel jedoch läßt Hofmann-Werther durchblicken: "Ohne eine Unterstützung breiter Kreise der Finanzindustrie wäre der Sender n-tv nicht erfolgreich geworden." 

Jenseits des Börsenabgrunds ist die Sicht sehr viel klarer: Die "Popularisierung der Aktie", welche Banken, Verlage und Industrie strategisch avisiert hatten, ist erreicht worden. Die Zahl der deutschen Wertpapierbesitzer ist allein von 1999 auf 2000 um 44 Prozent gestiegen und beläuft sich aktuell auf 13,4 Millionen. Sämtliche Beobachter sind sich einig, daß die "Telebörse" einen maßgeblichen Anteil daran hatte, den deutschen Kleinanleger zu erwecken. 

Doch die vorläufige Gewinn- und Verlustrechnung aus dem Börsenboom mutet schief an: Die Geldhäuser meldeten für das Jahr 2000 Rekorde, so die Deutsche Bank mit dem besten Konzernergebnis ihrer Geschichte. Die Deutsche Börse steigerte ihren Gewinn um mehr als hundert Prozent. n-tv, mittlerweile ein profitabler Fernsehsender, verdreifachte seinen Profit. Die Bilanz des gemeinen Börsenbürgers aber läßt sich am Siechtum der Aktienindizes ablesen. Und diese bilden Milliardenverluste in den Wertpapierdepots ab. 

Von unserem Autor ist zur nächste Woche beginnenden Frankfurter Buchmesse im Rowohlt Taschenbuch Verlag der Titel "Die Geldfalle. Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen", erschienen, Preis 9,90 Euro. 



 

Aus:

Schuster, Thomas : Die Geldfalle. 
Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen. ( Tb) 
(rororo sachbuch). 
ROWOHLT TASCHENBUCH VERLAG 1001 Kt, 224 S., 
Libri: 5800323
EAN: 9783499608704

ISBN: 3-499-60870-7 

DM 19.36