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Die
Alchemie des Geldes
Neue Erkenntnisse zu einem
uralten Phänomen
von Bernard
Lietaer
Dieser Artikel
ist erschienen in der Tattva Viveka Nr. 15
Nehmen Sie
einmal an, ein Freund würde Sie wählen lassen zwischen einem
20 DM-Schein und einem Stück Papier mit der Aufschrift »Ich
verspreche, dem Inhaber dieses Papiers 20 DM zu bezahlen«. Welches
von beiden würden Sie einstecken? Vielleicht kennen Sie Ihren Freund
als ehrlichen und vertrauenswürdigen Menschen. Aber wenn Sie versuchen,
den Zettel im Haushaltswarengeschäft gegen einen neuen Gartenschlauch
einzutauschen, werden die Verkäufer nicht mitmachen. Sogar wenn die
Verkäufer Ihren Freund ebenfalls kennen, werden sie daran zweifeln,
daß sie ihre Lieferanten mit seiner Quittung bezahlen können.
So nehmen Sie natürlich lieber den 20 DM-Schein, denn lebenslange
Erfahrung hat Sie gelehrt, daß der 20 DM-Schein von jedermann als
Gegenwert von 20 DM akzeptiert wird. Sie haben die feste Überzeugung
- und das ist der Schlüssel bei der Sache - nicht daß die Banknote
20 DM wert ist, sondern daß jeder andere den Wert von 20 DM anerkennen
wird. Es spielt im Grunde keine Rolle, was Sie über Ihr Geld denken,
Sie wissen jederzeit, Sie können es ausgeben. Sie glauben, daß
jeder andere glaubt, das Geld habe einen bestimmten Wert. Wir sprechen
hier über eine »Überzeugung von einer Überzeugung«.
Überzeugung und soziale Übereinkunft sind mächtig und praktisch
unzerstörbar. In der Geschichte gibt es eine Fülle von Beispielen,
daß Menschen lieber Folter und Tod gewählt haben, als ihre Überzeugungen
aufzugeben. Wir wissen auch, daß jemand hartnäckig an einer
Überzeugung festhalten kann, selbst wenn er mit reichlich Beweisen
für das Gegenteil konfrontiert wird. Glauben und Überzeugung
spielen somit eine beeindruckende Rolle in der menschlichen Psyche.
Eine Ȇberzeugung
von einer Überzeugung« ist indes etwas vollkommen anderes. Sie
ist zerbrechlich und flüchtig. Mag sein, daß nichts meine Überzeugung
erschüttern kann, aber meine Überzeugung von Ihrer Überzeugung
kann durch ein Gerücht ausgehöhlt werden, durch eine unbestimmte
Ahnung, ein Gefühl. Zudem ist eine Kette von Überzeugungen über
Überzeugungen nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Wenn ich
denke, daß jemand am unteren Ende der Welt den Glauben an den mexikanischen
Peso, den thailändischen Baht oder den russischen Rubel verloren hat,
dann fürchte ich, daß es mit seinen Nachbarn bald genauso gehen
könnte. Als Folge kann das ganze Kartenhaus zusammenfallen, wie es
in Mexiko 1994 passierte, in Thailand Ende 1997 und in Rußland im
August 1998.
Das Spiel mit
dem Geld ist, kurz gesagt, genau wie das Orakel in der griechischen Antike
ein Spiel mit Glauben und Vertrauen. Wenn der Kaiser keine Kleider anhat
(d. h., wenn eine »Vertrauenskrise« droht), hoffen die Eingeweihten
inständig, daß kein argloser Bursche eine unvorsichtige Bemerkung
machen wird. In solchen Situationen hilft eine Fassade von erhabenen Vertrauen,
Mysterium, Etikette und Ritualen, die lange und zerbrechliche Kette der
Überzeugungen intakt zu erhalten.
Bankgeld
Jede Deutsche
Mark, jeder Euro und jede andere in Umlauf befindliche nationale Währung
hat als Bankdarlehen begonnen. Wenn Sie z. B. die Bedingungen für
eine Hypothek über 100 000 Euro erfüllen, die Sie für einen
Hauskauf brauchen, überträgt die Bank einen Kredit in dieser
Höhe auf Ihr Konto und schafft diese 100 000 Euro buchstäblich
aus dem Nichts. Dies ist die wahre Geburtsstunde des Geldes. Natürlich
sind solche Darlehen üblicherweise durch einen Vermögenswert
wie ein Haus, ein Auto, eine Bürgschaft o. dgl. gesichert. Sobald
Sie den Kredit haben, können Sie den Betrag wiederum auf das Konto
des Hausverkäufers überweisen; und so zirkuliert das Geld immer
weiter, bis eines Tages jemand ein Darlehen zurückbezahlt. Dann verschwindet
das Geld, kehrt es wieder in das Nichts zurück, aus dem es geschaffen
wurde.
Darum ist Papiergeld
in der Tat »der Teil der Staatsschuld, auf den keine Zinsen bezahlt
werden«, wie es die Radcliff Commission des britischen Parlaments
einmal zusammengefaßt hat.1 Dieser einfache Vorgang der Geldschöpfung
wird im Englischen mit dem passenden, aus dem Lateinischen abgeleiteten
Begriff fiat money (»Fiat«-Geld ohne Edelmetalldeckung) bezeichnet.
Fiat lux, »Es werde Licht, waren nach der Genesis die ersten Worte,
die Gott sprach. Weiter heißt es: »Und es wurde Licht. Gott
sah, daß das Licht gut war.« Wir haben es hier mit der wahrhaft
gottähnlichen Funktion zu tun, etwas aus nichts (ex nihilo) durch
die Kraft des Wortes zu schaffen.
Bewohner der
Insel Yap mit Geldsteinen. Die hier präsentierten "Münzen" sind
eher als "Kleingeld" einzustufen. Viele Steine sind mehr als mannshoch,
einzelnen erreichen einen Durchmesser von vier Metern.
Kein Wunder,
daß Sie sich womöglich beklommen fühlen, wenn Sie das nächste
Mal bei Ihrer Bank in aller Bescheidenheit einen Kreditantrag stellen!
Genau wie der Zauberer, der ein Taschentuch über dem Hut schwenkt,
bevor er das Kaninchen herauszieht, braucht auch der Verantwortliche bei
der Bank einen Schleier. Im Vorgang der Schaffung von Geld wird Ihre Aufmerksamkeit
auf langweilige technische Details gelenkt, womöglich auf die Mechanismen,
die den Wettbewerb um Kundengelder zwischen den Banken fördern sollen,
auf Mindestreservevorschriften und die Rolle der Zentralbank bei der Feineinstellung
der Ventile des Systems. Diese technischen Einzelheiten haben alle ihre
sinnvolle Bestimmung (genau wie das Taschentuch des Zauberers), aber sie
regeln nur, wieviel ungedecktes Geld eine jede Bank schaffen kann (wie
viele Kaninchen aus welchem Hut gezaubert werden können).
Besonders einfallsreich
an dem Ablauf, der bis ins spätviktorianische England zurückverfolgt
werden kann, ist die Tatsache, daß auf diese Weise Gesellschaften
den scheinbaren Widerspruch zwischen zwei Zielen lösen können:
Nationalstaaten zusammenschweißen sowie stärken und zugleich
die individuelle Initiative und den Wettbewerb zwischen den Staaten ausnutzen.
Vor allem ist dieses Verfahren eine bequeme Möglichkeit, die Geldschöpfung
der Landeswährung zu privatisieren (was theoretisch eine öffentliche
Aufgabe ist) in der Form eines Privilegs des Bankensystems insgesamt, während
zugleich der Wettbewerbsdruck auf die einzelnen Banken erhalten bleibt,
möglichst viel Einlagen von Kunden einzusammeln.
Die Geldschöpfung
durch die Banken hat noch einen sehr wichtigen inhärenten Aspekt,
Jackson und McConnell haben dies in der Formel zusammengefaßt: »Giralgeld
verdankt seinen Wert der Tatsache, daß es im Verhältnis zu seinem
Nutzen knapp ist.«2 Mit anderen Worten: Damit ein auf Bankdarlehen
gegründetes Währungssystem ohne Edelmetalldeckung überhaupt
funktioniert, muß Knappheit künstlich erzeugt und systematisch
eingeführt und erhalten werden. Dies ist einer der Gründe, warum
unser heutiges Währungssystem nicht selbstregulierend ist, sondern
aktive Zentralbanken braucht, die für Knappheit sorgen. Man kann sogar
sagen, daß die Zentralbanken miteinander wetteifern, ihre jeweilige
Währung international möglichst stark zu verknappen. Mit Hilfe
der Knappheit wird der relative Wert erhalten.
An dieser Stelle
sei darauf hingewiesen, daß es noch andere Arten von Währungen
gibt, sog. »wechselseitige Kreditsysteme«3, die eher selbstregulierend
sind als nationale Währungen und deren Wert durch die Güter und
Dienstleistungen gewährleistet ist, für die sie innerhalb der
jeweiligen Gemeinschaft stehen. Solche Währungen können in ausreichender
Menge verfügbar sein und erfordern keine künstlich erzeugte Knappheit.
Die Alchemie des Geldes
Die Alchemie
des modernen Geldes (oder mit der offiziellen Bezeichnung der »Geldmengenmultiplikator«)
beginnt damit, dass, sagen wir, 100 Millionen »Zentralbankgeld«
in das Bankensystem eingeschossen werden, z.B. weil die Zentralbank Rechnungen
der Regierung in dieser Höhe begleichen muß. Diese Mittel werden
schließlich von den Empfängern irgendwo im Bankensystem hinterlegt,
und das ermöglicht der Bank, die eine solche Einlage erhalten hat,
irgend jemandem ein Darlehen über 90 Millionen zu geben (die restlichen
10 Millionen werden »stillgelegte Mittel«). Das Darlehen über
90 Millionen wird wiederum eine Einlage in entsprechender Höhe erbringen,
damit ist die nächste Bank in der Lage, ein weiteres Darlehen über
81 Millionen zu vergeben - usw. Auf diese Weise können auf dem Weg
durch das Bankensystem aus den ursprünglich 100 Millionen der Zentralbank
900 Millionen als »Kreditgeld« entstehen.
Geheimnis des modernen
Geldes
Das Geheimnis
bei der Schaffung von Geld besteht darin, die Menschen dazu zu bringen,
daß sie die Aussage »Ich schulde dir etwas« (das Versprechen,
in der Zukunft zu zahlen) als Tauschmittel akzeptieren. Wer immer diesen
Trick beherrscht, kann aus dem Vorgang ein Einkommen ziehen (im Mittelalter
die Gebühren des Goldschmieds, heute die Zinsen auf das Darlehen,
aus dem das Geld entsteht).
Nachdem der
Nationalstaat die maßgebliche Macht geworden war, schlossen die Regierungen
und das Bankensystem einen Handel ab. Das Bankensystem erhielt das Recht,
Geld als »gesetzliches Zahlungsmittel« in Umlauf zu bringen,
und im Gegenzug verpflichtete es sich, jederzeit finanzielle Mittel in
der von der Regierung benötigten Höhe zur Verfügung zu stellen.
Die älteste überlieferte Vereinbarung dieser Art ist die Lizenz
der »Bank der Reichsstände« in Schweden aus dem Jahr 1668
(1867 wurde der Name in »Riksbank« geändert, und so heißt
die schwedische Zentralbank bis heute).
Das schwedische
Modell wurde ein Jahrzehnt später in Großbritannien mit der
Gründung der Bank of England (1688) kopiert, und von dort aus verbreitete
es sich über die ganze Welt. Die kleine alte Dame aus der Threadneedle
Street, wie die englische Zentralbank in der Londoner City heißt,
»ist in jeder Hinsicht für das Geld, was der Petersdom für
den christlichen Glauben darstellt. Und der Ruf ist wohlverdient, denn
der größte Teil der Kunst des Umgangs mit Geld, einschließlich
aller ihrer geheimnisvollen Elemente, nahm von hier seinen Ausgang.«4
Eine Zentralbank
nimmt jede Staatsanleihe, die die Öffentlichkeit nicht kauft, entgegen
und stellt im Gegenzug einen Scheck über die entsprechende Summe aus.
Der Scheck deckt die Ausgaben der Regierung, und die Empfänger lösen
sie auf ihre eigenen Bankkonten ein. An dieser Stelle kommen die geheimnisvollen
»Mindestreserven« ins Spiel. Jede Bank kann für jede Einlage,
die sie entgegennimmt, neues Geld ausgeben, hauptsächlich in Form
eines Darlehens an einen Kunden, wobei das Darlehen bis zu 90 Prozent des
Werts der Einlage ausmachen darf.
Das neue Darlehen
beispielsweise eine Hypothek, damit Sie ein Haus kaufen können hat
zur Folge, daß der Verkäufer des Hauses irgendwo im Bankensystem
eine neue Einlage tätigt. Im Gegenzug darf die Bank, die die Einlage
erhält, ein weiteres Darlehen über 90 Prozent der neuen Einlage
gewähren, und so fließt die Kaskade über Einlagen und Darlehen
durch das Bankensystem. Was als Scheck der Zentralbank über 100 Millionen
begonnen hat (sog. Zentralbankgeld), erlaubt auf dem Weg durch die Geschäftsbanken
die Schaffung von weiteren 900 Millionen in Form von Darlehen.
Wenn Sie diese
»Alchemie des Geldes« verstanden haben, haben Sie bereits das
tiefste Geheimnis unseres Geldwesens gelüftet.
Durch dieses
Zusammenspiel wird der Handel zwischen den Regierungen und dem Bankensystem
umgesetzt, und deshalb steht hinter »Ihrem« Geld letztlich
das gesamte Bankensystem Ihres Landes. Geld und Schulden sind somit buchstäblich
die beiden Seiten einer Münze. Wenn wir alle schlagartig unsere sämtlichen
Schulden zurückzahlen müßten, würde das Geld aus unserer
Welt verschwinden, weil der gesamte Prozeß der Schaffung des Geldes
weiter oben beschrieben als »Alchemie des Geldes« sich damit
umkehrte. Die Rückzahlung aller Kredite hätte in der Tat die
Auflösung aller Einlagen zur Folge. Selbst das Zentralbankgeld würde
sich in Luft auslösen, wenn die Regierung ihre Schulden zurückzahlen
könnte.
Zinsen
Das letzte
offensichtliche Merkmal aller offiziellen nationalen Währungen sind
die Zinsen. Wieder glauben wir, daß Zinsen irgendwie naturgemäß
dazugehören, und vergessen dabei, daß dies die meiste Zeit in
der Geschichte ganz und gar nicht der Fall war. Alle drei »Offenbarungsreligionen«
haben den »Wucher« nachdrücklich verdammt, und Wucher
bedeutete jede Form, Zinsen auf Geld einzustreichen. Nur islamische Religionslehrer
halten bis heute an diesem Grundsatz fest. Bisweilen gerät in Vergessenheit,
daß die katholische Kirche beispielsweise bis ins 19. Jahrhundert
an vorderster Front gegen die »Sünde des Wuchers« -kämpfte.
Die folgende
Geschichte aus Australien veranschaulicht, wie Zinsen in den Stoff unseres
Geldes hineinverwoben sind und wie sie den Wettbewerb zwischen den Menschen
stimulieren, die mit einer Zinsen enthaltenden Währung umgehen.
Das elfte Lederstück
Es war einmal
ein kleines Dorf im australischen Busch. Dort bezahlten die Menschen alles
mit Naturalien. An jedem Markttag spazierten sie mit Hühnern, Eiern,
Schinkenkeulen und Broten herum und verhandelten lange miteinander über
den Tausch der Güter, die sie brauchten.
In wichtigen
Zeiten im Jahr, etwa zur Ernte oder wenn jemand nach einem Unwetter seinen
Stall reparieren mußte, erinnerten sich die Menschen wieder an die
Tradition, einander zu helfen, die sie aus der alten Heimat mitgebracht
hatten. Jeder wußte, wenn er einmal in Schwierigkeiten geraten sollte,
würden die anderen ihm helfen.
An einem Markttag
tauchte ein Fremder auf. Er trug glänzende schwarze Schuhe und einen
eleganten weißen Hut und beobachtete das Treiben mit einem sardonischen
Lächeln. Beim Anblick eines Farmers, der verzweifelt versuchte, die
sechs Hühner einzufangen, die er gegen einen großen Schinken
eintauschen sollte, konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. »Die
armen Leute«, stieß er hervor, »wie primitiv sie leben.«
Die Frau des
Farmers hörte seine Worte und sprach ihn an. »Meinen Sie, Sie
kämen mit den Hühnern besser zurecht?« fragte sie ihn.
Mit den Hühnern nicht«, erwiderte der Fremde, »aber es
gibt einen viel besseren Weg, sich den ganzen Ärger zu ersparen.«
»Ach ja, und wie soll das gehen?« »Sehen Sie den Baum
dort?« sagte der Fremde. »Ich gehe jetzt dorthin und warte,
bis einer von euch mir eine große Kuhhaut bringt. Dann soll jede
Familie zu mir kommen. Ich werde euch den besseren Weg erklären.«
Und so geschah
es. Er nahm die Kuhhaut, schnitt gleichmäßige runde Stücke
davon ab und drückte auf jedes Stück einen kunstvoll gearbeiteten,
hübschen kleinen Stempel. Dann gab er jeder Familie ein rundes Stück
und erklärte, daß es den Wert von einem Huhn habe. »Jetzt
könnt ihr mit den Lederstücken Handel treiben anstatt mit den
widerspenstigen Hühnern.«
Das leuchtete
den Farmern ein. Alle waren sehr beeindruckt von dem Mann mit den glänzenden
Schuhen und dem interessanten Hut. »Ach, übrigens«, meinte
er noch, nachdem jede Familie ihre zehn runden Lederstücke entgegengenommen
hatte, »in einem Jahr komme ich zurück und sitze wieder unter
diesem Baum. Ich möchte, daß jeder von euch mir elf Stücke
zurückgibt. Das elfte Stück ist ein Unterpfand der Wertschätzung
für die technische Neuerung, die ich in eurem Leben eingeführt
habe.«
»Aber
wo soll das elfte Stück denn herkommen?« fragte der Farmer mit
den sechs Hühnern. »Das werdet ihr schon sehen«, erwiderte
der Mann und lächelte beruhigend.
Angenommen,
die Bevölkerungszahl und die Produktion bleiben im folgenden Jahr
genau gleich, was, glauben Sie, wird geschehen? Bedenken Sie, daß
das elfte Lederstück gar nicht abgeschnitten wurde. Darum, so lautet
die Schlußfolgerung, muß jede elfte Familie ihre gesamten Lederstücke
verlieren, auch wenn alle gut wirtschaften, den nur so können die
übrigen zehn ihr elftes Stück bekommen.
Als das nächste
Mal ein Unwetter die Ernte einer Familie bedrohte, waren die Menschen nicht
so schnell bei der Hand mit dem Angebot, beim Einbringen der Ernte zu helfen.
Zwar war es wirklich sehr viel bequemer, an Markttagen nur die Lederstücke
auszutauschen und nicht die Hühner, aber die neue Sitte hatte die
unbeabsichtigte Nebenwirkung, daß sie die traditionelle spontane
Hilfsbereitschaft im Dorf hemmte. Statt dessen entwickelte das neue Geld
einen systembedingten Sog zum Wettbewerb zwischen allen Beteiligten.
Genauso bringt
das heutige Währungssystem alle am Wirtschaftsleben Beteiligten in
eine Konkurrenzsituation zueinander. Die Geschichte von den australischen
Bauern isoliert die Rolle des Zinses des elften Lederstücks im Rahmen
des Prozesses der Geldschöpfung und seine Auswirkungen auf die Beteiligten.5
Wenn die Bank
Geld schöpft, indem sie Ihnen einen Hypothekenkredit über 100
000 Euro zur Verfügung stellt, schafft sie mit dem Kredit nur das
Ausgangskapital. Sie erwartet nämlich, daß Sie ihr im Laufe
der nächsten, sagen wir einmal, 20 Jahre 200 000 Euro zurückbringen.
Wenn Sie das nicht können, verlieren Sie Ihr Haus. Ihre Bank schafft
nicht die Zinsen, sondern sie schickt Sie hinaus in die Welt in den Kampf
gegen alle anderen, damit Sie am Schluß die zweiten 100 000 Euro
mitbringen. Weil alle anderen Banken genau das gleiche tun, verlangt das
System, daß einige der Beteiligten bankrott gehen, denn anders kommen
Sie nicht zu den zweiten 100 000 Euro.
Um es auf eine
einfache Formel zu bringen: Wenn Sie der Bank Zinsen auf Ihr Darlehen zahlen,
brauchen Sie das Ausgangskapital von jemand anderem auf.
Mit anderen
Worten: Der Mechanismus, mit dem die für die Giralgeldschöpfung
unverzichtbare Knappheit erzeugt wird, bedingt, daß die Menschen
miteinander um das Geld konkurrieren, das noch nicht geschaffen wurde,
und bestraft sie im Falle des Mißerfolgs mit dem Bankrott.
Wir verfolgen
die Zinspolitik der Zentralbanken mit Interesse, und das ist einer der
Gründe dafür. Wenn die Zinsen angehoben werden, verursacht das
zusätzliche Kosten, und dies wiederum führt unweigerlich zu einem
Anstieg der Konkurse in der nächsten Zukunft. Damit kehren wir zu
den Zeiten zurück, als die Hohepriester entschieden, ob die Götter
mit dem Opfer von nur einer Ziege zufrieden wären oder ob sie statt
dessen den erstgeborenen Sohn verlangen würden. Weiter unten auf dem
Totempfahl, wenn Ihre Bank Ihre Kreditwürdigkeit überprüft,
checkt sie in Wirklichkeit, ob Sie in der Lage sind, mit den anderen Spielern
zu konkurrieren und gegen sie zu gewinnen, d.h. etwas aus ihnen herauszupressen,
was gar nie geschaffen wurde.
Zusammenfassend
halten wir fest, daß das moderne Währungssystem uns dazu zwingt,
uns kollektiv zu verschulden und mit anderen in der Gemeinschaft zu konkurrieren,
damit wir die Mittel erhalten, die Austausch zwischen uns ermöglichen.
Kein Wunder, daß die Welt hart ist und daß Darwins Erkenntnis
vom »Überleben des Stärksten« im England des 18.
Jahrhunderts bereitwillig als offensichtliche Wahrheit akzeptiert wurde,
genau wie bis heute alle Gesellschaften fraglos die Prämissen ihres
Währungssystems akzeptiert haben und wir es heute tun. Glücklicherweise
haben wir heute reichlich Belege, die für eine weniger strenge Definition
der »natürlichen Welt« sprechen.
Und heute?
»Ich
denke, wir haben allen Grund zu glauben, daß das Zeitalter der Moderne
zu Ende ist. Heute deutet vieles darauf hin, daß wir uns in einem
Übergangsstadium befinden, in dem offensichtlich etwas verschwindet
und etwas anderes unter Schmerzen entsteht. Es ist, als ob etwas bröckelt,
zerfällt und sich selbst erschöpft, während sich etwas anderes,
noch Unbestimmtes aus den Trümmern hebt.« Worauf könnte
sich Václav Havel, der Präsident der Tschechischen Republik,
in seiner Äußerung bei der Verleihung der Freiheitsmedaille
am 4. Juli 1994 in Philadelphia bezogen haben?
Normalerweise
kann man sich bei der Beschäftigung mit solchen tiefgreifenden Paradigmawechseln
nur auf Ahnungen und Anekdoten verlassen. Ein Experte zu diesem Thema meint
sogar: »Wenn Sie Paradigmapioniere dazu auffordern, ihre Entscheidung
für einen Paradigmawechsel zu rechtfertigen, können sie das nicht
mit Zahlen machen. Denn es existieren keine Zahlen.«6
Für unser
Thema trifft das aber nicht zu, denn zumindest von einem wichtigen Land
liegen uns Zahlen vor: Die größte aktuelle Umfrage zum Wertewandel
in Amerika wurde 1995 von Paul Ray und der American Lives Inc. durchgeführt.
Es gibt jedoch Hinweise darauf, daß sich diese Entwicklung in der
gesamten westlichen Welt vollzieht, vermutlich geschieht sie sogar global.
Auf der Grundlage von Umfrageergebnissen bei 100000 Amerikanern und 500
Zielgruppen ließen sich in den USA drei verschiedene »Subkulturen«
identifizieren: die sog. »Traditionalisten« die »Modernisten«
und die »kulturell Kreativen«.7
Die Traditionalisten
Traditionalisten
sind, wie Paul Ray und Sherry Ruth Anderson beobachtet haben, in erster
Linie die »religiös Konservativen«. »Nachdem wir
zahlreiche Diskussionen in Zielgruppen angehört hatten, kristallisierte
sich allmählich heraus, daß es eine traditionalistische Denkart
gibt … Der amerikanische Traditionalismus beinhaltet auch den Wunsch nach
Vereinfachung, traditionellen Sicherheiten, einem weniger hohen Entwicklungsstand
und weniger Säkularismus, nach einer religiösen Monokultur sowie
nach nationaler und ethnischer Einheit … Traditionalisten glauben an die
Wiederkehr der Kleinstadt und der Religion in Amerika, an ein nostalgisches
Bild aus der Zeit von 1890 bis 1930 … Zum Schatten des Traditionalismus
gehören die radikalen Gruppen und der ultrarechte Flügel.«8
Diagramm 1:
Prozentzahlen und Weltbild der drei Subkulturen (nach Paul Ray)
»Die
Traditionalisten werden anhand ihrer traditionellen und konservativen Werte
und Vorstellungen identifiziert. Sie sind im Durchschnitt älter und
weniger gebildet als die Modernisten oder kulturell Kreativen … Diese familienorientierte
Gruppe fällt am leichtesten auf politische Lehren religiöser
Führer herein. Im Laufe der Zeit geht ihre Anzahl eher zurück:
Ihr Durchschnittsalter liegt derzeit bei 53 Jahren, außerdem sterben
die Traditionalisten schneller, als sie durch jüngere Leute ›ersetzt‹
werden.«9
Bis von kurzem
gab es neben den Traditionalisten - deren Anteil an der US-amerikanischen
Bevölkerung etwa 24 Prozent ausmacht, wobei ihre Bedeutung seit dem
Zweiten Weltkrieg zurückgeht - nur noch eine weitere Gruppe: die sog.
Modernisten.
Die Modernisten
Praktisch alle
Menschen des westlichen Kulturkreises sind der »modernistischen«
Weltsicht ausgesetzt. Sie ist so durchdringend, daß die Modernisten
die einzigen sind, die mit der Idee durchkommen, ihre Haltung sei keine
Weltanschauung von mehreren. Einige glauben vielmehr immer noch, daß
sie »die Weit so sehen, wie sie wirklich ist«. Diese Einstellung
prägte das industrielle Zeitalter und dominiert nach wie vor in der
westlichen Welt. Mit 47 Prozent (88 Millionen Erwachsene) stellen die Modernisten
in der US-amerikanischen Bevölkerung noch immer den größten
Anteil. Dieser geht zwar mit der Zeit allmählich zurück, doch
ihre modernistische Weltsicht wird weiterhin von den Massenmedien wiedergegeben.
Der Modernismus
entwickelte sich als Reaktion auf die »traditionalistischen«
Gesellschaften in Ablehnung des vom Glauben bestimmten Weltbildes, das
im ausgehenden Mittelalter fast die einzige Weltanschauung darstellte.
Als »modern« (synonym mit »hochentwickelt, fortschrittlich,
urban und/oder unvermeidlich« verwendet) gelten somit Werte, Technologien
und Vorstellungen, die im Gegensatz zu den »rückständigen«,
»unterentwickelten« Gesellschaften früherer Zeiten stehen.
Die Sichtweise
der Modernisten kommt in zwei verschiedenen Bereichen zum Tragen:
-
1. Auf persönlicher
Ebene: Modernisten schätzen im allgemeinen universelle Normen und
Säkularität (im Gegensatz zu Provinzialismus und religiösen
Dogmen). Dennoch praktizieren viele einen orthodoxen Glauben (40 Prozent).
Bei ihnen genießen persönliche Freiheit und eigene Leistungen
oberste Priorität, außerdem schätzen sie den finanziellen
Materialismus (82 Prozent). Ihre Werte konzentrieren sich auf persönlichen
Erfolg, Konsum, Materialismus und technische Rationalität.
-
-
2. Auf kollektiver
Ebene. Hinsichtlich Management und Technik glauben die Modernisten an Praktiken
aus dem Industriezeitalter, darunter auch an die traditionellen Wirtschaftswissenschaften.
Sie sind der Ansicht, daß sich die Technik letztlich gegenüber
den negativen Konsequenzen bestehender Verfahren durchsetzen wird. Meist
werden die negativen Folgen (Umweltschäden, gesellschaftliche Verwerfungen)
heruntergespieIt. Politisch können die Modernisten rechts oder links,
stehen, Liberale oder Konservative sein. Ihr konservativer Flügel
teilt beispielsweise mit den religiösen Fundamentalisten die Ansicht,
daß Frauen nicht im Berufsleben stehen sollten.
Die kulturell Kreativen
»Die
Bezeichnung ›kulturell Kreative‹ stammt daher, daß sie die neuesten
Ideen in der amerikanischen Kultur haben und an der Spitze des kulturellen
Wandels stehen.«10 Diese letzte Subkultur ist gerade erst im Entstehen
begriffen, weswegen die Werte, die diese Weltsicht tragen, sich vor 20
Jahren statistisch noch gar nicht erfassen ließen. Heute treten etwa
29 Prozent der amerikanischen Bevölkerung (d. h. 52 Millionen Erwachsene)
für das »transmoderne« Denken ein.
Diagramm 2:
Zeitliche Entwicklung der drei Subkulturen (Millionen Erwachsene, USA,
1965-2000)
Die kulturell
Kreativen sind in fast allen Regionen der USA vertreten. Sie zählen
zur mittleren bis oberen Mittelklasse (46 Prozent gehören zum oberen
Einkommensviertel der Bevölkerung). Das Alter der kulturell Kreativen
beträgt im Mittel 42 Jahre. Mit einem Anteil von 30 Prozent College-Absolventen
verfügen sie über eine bessere Ausbildung als alle anderen Subkulturen.
Die Geschlechtsverteilung liegt bei 40 Prozent Männern und 60 Prozent
Frauen.
So wie die
Sichtweise der Modernisten als Reaktion auf eine in ihren Augen zu Vereinfachungen
und Exzessen neigenden Weltsicht des Spätmittelalters entstand, bildete
sich die Subkultur der kulturell Kreativen als Reaktion auf die Blindheit
und Übertreibungen der modernistischen Tradition.
Doch wenden
wir uns nun dem Wertesystem der kulturell Kreativen auf persönlicher
und kollektiver Ebene zu:
1.
Auf persönlicher Ebene besteht ihr Hauptanliegen in der Selbstverwirklichung;
d. h., ihnen liegt mehr an inneren Werten und innerem Wachstum als an äußerem
sozialem Prestige. Sie sind »an der Welt« interessiert (85
Prozent sind Fremdem gegenüber aufgeschlossen). Bei persönlichen
Beziehungen ist die Qualität für sie entscheidend (diese Ansicht
vertreten 76 Prozent, bei den Modernisten 49 Prozent und bei den Traditionalisten
65 Prozent). Außerdem sind sie meist besser informiert als die Gesellschaft
an sich.
2. Auf der
kollektiven Ebene gilt die Sorge der kulturell Kreativen dem Zerfall des
Gemeinsinns und der Umwelt. (92 Prozent wollen den Gemeinsinn wieder stärken;
87 Prozent glauben an einen ökologisch nachhaltigen Umgang mit der
Umwelt.) Sie werden von Paul Ray als »altruistischer« als jede
andere Gruppe eingestuft und erklärten sich zu persönlichen Opfern
bereit (84 Prozent sind altruistisch, bei den Modernisten 51 Prozent und
bei den Traditionalisten 55 Prozent). Sie wollen sogar persönlich
die Initiative für eine Gesellschaft ergreifen, an die sie glauben
(45 Prozent mochten sich »engagieren« [im Vergleich zu mageren
29 Prozent bei den Modernisten und 34 Prozent bei den Traditionalisten]).
Erfolg ist den kulturell Kreativen nicht so wichtig (70 Prozent), sie legen
größeren Wert auf ihre Freizeit. Frauen im Beruf werden als
selbstverständlich betrachtet (69 Prozent). Die kulturell Kreativen
sehen die Zukunft außerdem etwas optimistischer als die anderen (35
Prozent gegenüber 24 Prozent bei den Modernisten und 26 Prozent bei
den Traditionalisten).
Bedeutungsvoll
ist auch, was die kulturell Kreativen ablehnen: die Intoleranz der religiösen
Rechten, den gedankenlosen Hedonismus der kommerziellen Medien heute und
die gedankenlose Umweltzerstörung im Namen des Big Business. Die Zahl
der kulturell Kreativen, die binnen einer Generation scheinbar aus dem
Nichts aufgetaucht sind, ist erstaunlich. Auch Menschen, die zu dieser
Subkultur gehören, betrachten sich selbst als isolierte Ausnahmen.
Der Eindruck von Isolation entsteht aus zwei Gründen Es gibt erstens
keine Organisation, Partei, religiöse Massenbewegung oder dergleichen,
mit der man sie in Verbindung bringen kann. Zweitens werden sie von den
Medien nicht beachtet, die sich fast ausschließlich immer noch mit
dem modernistischen Standpunkt befassen.
Als der Modernismus
aufkam, wußten die »Modernisierenden« sehr gut, daß
sie eine Bewegung verkörperten, Die »Medien« der damaligen
Zeit verfolgten beispielsweise jeden Schritt von Erasmus von Rotterdam.
Dabei machten sie nur 1 oder 2 Prozent der damaligen Bevölkerung aus
- im Gegensatz zu den 24 Prozent, die die integrative Subkultur bereits
heute umfaßt. Wenn die soziopolitische Realität dieser Entwicklung
also eines Tages in Erscheinung tritt, müssen wir mit deutlich schnelleren
Veränderungen rechnen als beim Modernismus. Genau das geschieht bereits
heute, wenn man Václav Havel glaubt (s. oben).
Ray unterscheidet
bei den kulturell Kreativen zwei Typen: die »grünen« kulturell
Kreativen und den sog. »harten Kern«, den ich lieber als »integrierte«
bzw. »integrative« kulturell Kreative bezeichnen möchte.
1.
Die grünen kulturell Kreativen (16 Prozent oder 28 Millionen Erwachsene
in der amerikanischen Bevölkerung) befassen sich mit der Umwelt und
sozialen Aspekten aus weltlicher Sicht. Sie treten häufig aktiv in
der Öffentlichkeit auf. Sie konzentrieren sich auf die Lösung
der Probleme ihrer Umwelt und sind weniger an der Entwicklung ihrer Persönlichkeit
interessiert. Sie gehören meist der Mittelklasse an.
2. Die integrierten
bzw. integrativen kulturell Kreativen (nach Rays Untersuchung 13 Prozent
oder 24 Millionen Amerikaner) sind sowohl an der Entwicklung der eigenen
Persönlichkeit als auch am Umweltschutz interessiert. Typische Vertreter
dieser Gruppe beschäftigen sich ernsthaft mit Psychologie, dem spirituellen
Leben, der Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung. Sie probieren gern
neue Ideen aus, sind sozial engagiert, beschäftigen sich mit der Emanzipation
der Frau und/oder dem Umweltschutz. Sie zählen in der Regel zur oberen
Mittelklasse. Das Verhältnis männlich zu weiblich liegt bei 33
zu 67, es sind also doppelt so viele Frauen wie Männer.
»Mit
der Entstehung der kulturell Kreativen ist die Heilung alter Risse verbunden:
zwischen Innerem und Äußerem, Spirituellem und Materiellem,
dem einzelnen und der Gesellschaft. Die Möglichkeit einer neuen Kultur
kreist um die Wiedereingliederung dessen, was der Modernismus zerschlug:
die Integration des Selbst und Authentizität, die Einbeziehung der
Gemeinschaft und die Verbindung zu anderen nicht nur daheim, sondern auf
der ganzen Welt; die Verbundenheit mit der Natur und das Lernen, Ökologie
und Ökonomie zu integrieren, und eine Synthese verschiedener Ansichten
und Traditionen.«11
Genau diese
Eigenschaften wurden von Gebser mit seiner integrativen Bewußtseinsstruktur
vorhergesehen. Wir können daher den Schluß ziehen, daß
die Gesellschaft, die die kulturell Kreativen unbemerkt und unangekündigt
schaffen, eine integrative Kultur ist.
Für die
globale oder zumindest europäische Entwicklung gibt es keine Untersuchung,
die sich mit der von Paul Ray vergleichen ließe. Allerdings verwendete
das Generalsekretariat der Europäischen Union Rays Fragebogen zur
Erkennung kulturell Kreativer in ihrer monatlich erscheinenden Umfrage
im Euro-Barometer, die bei allen 15 Mitgliedsländern durchgeführt
wird (800 Interviews pro Land). Zur allgemeinen Überraschung fand
man heraus, daß der Anteil der kulturell Kreativen an der Bevölkerung
mindestens so hoch wie in den USA ist.
Duane Elgin
sammelte auf der ganzen Welt Daten zu diesem Thema. Er kommt zu dem Schluß:
»Insgesamt betrachtet, deuten die Trends darauf hin, daß sich
ein weltweiter Wertewandel vollzieht.«12 Die Weltbevölkerung
ist in der Entwicklung zu einer integrativen Gesellschaft den Staatsoberhäuptern
und Medien überall voraus. Dieser Trend prägt sich bemerkenswerterweise
in den Entwicklungsländern fast genauso stark aus wie in den Industrienationen.
Elgin verweist
auf einen weiteren interessanten und bisher meist vernachlässigten
Beleg für integrative Werte: die zunehmende Hinwendung zu einer ganzheitlichen
Heilkunde und die Abkehr von der konventionellen Schulmedizin der Modernisten.
Und nach einem Artikel in der Zeitschrift Time ist bei Ärzten in Europa
der Trend zu ergänzenden alternativen Behandlungsmethoden »enorm«.13
Jede dieser
Veränderungen wird für sich genommen häufig als »Marotte«
oder kurzlebiger Modetrend gesehen. Wenn man sie jedoch als Gesamterscheinung
betrachtet, läßt sich daran ein allgemeiner Wertewandel hin
zu einer integrativen Kultur ablesen. Am erstaunlichsten sind auch hier
wieder die Unauffälligkeit, die Geschwindigkeit und das Ausmaß
des Wandels.
Diagramm 2
zeigt die zeitliche Entwicklung der drei Kulturen und Diagramm 1 fasst
ihre wichtigsten Eigenschaften und ihren Anteil an der amerikanischen Bevölkerung
im Jahr 1995 schematisch zusammen.
Es können
zusammenfassend drei Gebiete identifiziert werden, für die bereits
Methoden und Ansätze zur Schaffung einer Welt des nachhaltigen Wohlstandes
vorhanden sind:
1.
Informationstechnologien zugänglich machen: Die technologische Revolution,
die bereits auf dem besten Wege ist, bietet für eine wachsende Zahl
von Menschen beispiellose Wachstumsmöglichkeiten im Bereich des Wissens.
2. Neue Geldsysteme
kreieren: Eine Währung ist nicht mehr als eine Übereinkunft innerhalb
einer Gesellschaft, etwas als Tauschmittel zu verwenden.
3. Dafür
sorgen, daß die kulturell Kreativen sich ihrer Zahl und ihrer Rolle
bewußt werden: Dies ist eine »Subkultur«, die Wertmaßstäbe
für den nächsten Entwicklungsschub der Zivilisation erschafft.
Diese drei Phänomene
könnten gemeinsam unsere Welt revolutionieren. Eine Synergie zwischen
ihnen hat das Potential, uns in eine neues Weltsystem hinein zu katapultieren,
in dem Nachhaltigkeit und Wohlstand gleichzeitig gedeihen können.
Wir haben
in der Geschichte viele Veränderungen erlebt, doch unsere Auffassung
von Geld blieb dabei bemerkenswert unberührt. Wenn wir als Gesellschaft
an einen unbekannten Ort reisen wollen, müssen neue Wege erkundet
werden. Die bewußte Wahl der Währungsform, die wir untereinander
verwenden wollen, könnte sich als das mächtigste Werkzeug für
die Übergangsphase erweisen, die wir gerade durchlaufen. Die Mittel
sind also vorhanden, was Sie nun damit machen wollen, hängt von Ihrer
Kreativität und Arbeit ab:
Unser Geld
ist unser Spiegel. Es kann mehr als nur unsere Schatten widerspiegeln.
Es ist ein Spiegel unserer Seele.
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Anmerkungen:
1 Committee
on the Working of the Monetary System: Report, London 1959, Paragraph 345,
S.117.
2 Jackson
und McConnell: Economics, Sydney 1988
3 Hierunter
fallen die Tauschringe und Gemeinschaftswährungen wie Talente, Time
Dollars, LETS, Curitiba, Tlaloc, ROCS, usw. oder auch das Freigeldexperiment
in Wörgl mit dem Tauschwert "Wära". Siehe Bernard Lietaer: Das
Geld der Zukunft, S. 260 ff., insbesondere S. 353-357, München 1999
4 Galbraith,
John Kenneth: Geld. Woher es kommt, wohin es geht, München 1976, S.
39
5 Die Geschichte
vom elften Lederstück ist eine vereinfachte Darstellung für Nichtökonomen,
bei der die Auswirkungen von Zinsen auf das Geldsystem beleuchtet werden.
Um diese Variable zu isolieren, habe ich eine Gesellschaft ohne Wachstum
angenommen: kein Bevölkerungswachstum, kein Wachstum der Produktion
und der Geldmenge. In der Praxis wachsen diese Variablen im Laufe der Zeit
natürlich an und verschleiern die Wirkung der Zinsen. Der springende
Punkt bei der Geschichte ist der, daß - wenn alle anderen Faktoren
gleichbleiben - die Konkurrenz, um das Geld zu bekommen, mit dem die Zinsen
bezahlt werden können, dem Währungssystem strukturell inhärent
ist.
6 Barker,
Joel: Paradigms: The Business of Discovering the Future, New York 1993
7 Vgl. dazu
Lietaer: Das Geld der Zukunft, a.a.O., S. 410-417 sowie Lietaer: Mysterium
Geld, München 2000, S. 283-292
8 Ray, Paul
u. Anderson, Sherry Ruth: The Culturell Creatives, New York 1999, Kapitel
1, S. 11f.
9 Ray, Paul:
"The Emerging Culture", in: American Demographics, Ithaca, 1997, S. 5
10 Ray, Paul:
The Integral Culture Survey: A Study of Emergence of Transformational Value
in America, Forschung finanziert vom Fetzer Institute of Noetic Sciences,
1996, S. 5
11 Ray, Paul
u. Anderson, Sherry Ruth: The Cultural Creatives, a.a.O., S. 36
12 Elgin,
Duane u. LeDrew, Coleen: Global Paradigme Change: Is a Shift Underway?,
San Fransisco, State World Forum, 2. bis 6.10.1996, S. 20
13 Langone,
John: "Alternative Therapies Challenging Mainstream", in: Time, Sonderheft
Herbst 1998, S. 40
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