Deflation? Inflation? Stagflation? Alles hiervon, und Sozialismus obendrein!


Geschrieben von Miesespeter am 29. November 2002 04:03:22:

Die Inflations/Deflationsdefinition, die vom dottore aufgestellt wird, greift m.E. zu kurz. Sie betrachtet nur die quantitative Geldmenge (die Menge von Schuldzetteln). Inflation aber ist eben erst dann zu konstatieren, wenn man diese in Relation zu den existierenden Wirtschaftsguetern (Assets + Ausbringung von Konsumguetern) stellt, bzw wenn sich Preisveraenderungen aus einer veraenderten Schuld/Gueter-Relation ergeben. Desweiteren fehlt mir auch eine qualitative Beurteilung der 'Geldmenge'.

 Das Preisniveau ergibt sich aus der Menge des Umlaufmittels zu den existierenden Guetern. Die Art des Umlaufmittels ist hierbei unbedeutend. Es ist durchaus denkbar, dass es bei ruecklaeufiger Geldmenge zu einer Inflation kommt (wenn naemlich die Menge der Gueter noch staerker zurueckgeht als die Geldmenge, zB durch Zerstoerung & Krieg). Umgekehrt ist es auch moeglich, dass es trotz steigender Geldmenge zu einer Deflation kommt (wenn die Menge der kaeuflichen Gueter noch staerker steigt als die Menge der umlaufenden Schuldscheine). Genau letzteres ist momentan der Fall.

Die Geldmenge per se ist voellig irrelevant. Heutzutage bedeutet Geld halt umlauffaehig gemachte Schuldscheine. Dadurch erhaelt die Geldmenge eine eigene Dynamik als Funktion aus der Anzahl von neuen Schuldverhaeltnissen. Sie koennte aber ebensogut auch fix sein (Gogos, oder Gold + gleichzeitiges Foerderungsverbot). Am Ende des Tages bestimmt sich das Preisniveau doch immer aus dem Verhaeltnis von Geld zu Guetern.

 Nun zur aktuellen Situation, welche welthistorisch in ihrer Dynamik voellig einmalig ist.

 Zunaechst haben wir einen historischen Unterschied zu den dreissiger Jahren zu verzeichnen, damals gepraegt waren von radikalem Nationalismus und damit einhergehendem extremen Protektionismus (nicht, dass dies fuer die Baelde ausgeschlossen waere, diesmal als Europismus getarnt). Heute ist man jedoch zunaechst einmal in der (un) gluecklichen Lage, dass durch die extrem schnelle Automatisierung (Produktivitaetssteigerung), die Prozessrationalisierungen der letzten Jahre und die Addierung von 1,3 Milliarden extrem fleissiger und billiger Chinesen, fast nochmal sovielen Indern und 300 Millionen Osteuropaern die natuerliche Deflation des kap. Modells erheblich an Fahrt gewonnen hat (in einer Rasanz, die es der Gesellschaft unmoeglich macht, hiermit Schritt zu halten). Ist die natuerliche Deflationsrate in einem theoretisch reinen Kapitalismusmodell mit fixer Geldmenge eine Funktion der Produktivitaetssteigerung und somit recht gemuetlich, bricht die historisch einmalige Eingliederung von 3 Milliarden neuen Billigstarbeitern (mit 60 Stunden Wochen) saemtliche Sicherungen: Fuer die gleiche Geldmenge kann in China (jetzt Teil der selben Dollarweltwirtschaft) getrost die doppelte Warenmenge eingekauft werden wie im wenige Meilen entfernten Japan. Das nenn ich einen Preisverfallsschub!! Und der sickert jedes Jahr mit ein paar Prozenten in die westlichen Volkswirtschaften. Bis alle Daemme brechen.

 Weltwirtschaftlich gesehen stehen nun der gleichen (de facto: um 20% erhoehten) Dollar-Geldmenge ERHEBLICH mehr GUETER (incl. Arbeitskraft) gegenueber. Ergo: Der Gueterpreis sinkt trotz starker Geldmengenausweitung.

 Natuerlich sieht das ueber die Warengruppen unterschiedlich aus: Warengruppen, die durch die deflationaeren Faktoren besonders betroffen sind, sind preislich auch weiterhin weich (zB Hardware, Elektronik, Textilien, Industriearbeiter), wohingegen Warengruppen, die vom Aussenhandel und von Produktivitaetssteigerungen unberuehrt sind, den vollen Effekt der Reinflationierung aushalten duerfen (zB. Grund& Boden, Brot und Butter, Buerokratie, Finanzmaerkte). Weils so schoen ueber die Warengruppen verteilt ist, sieht der eine Deflation, der andere Inflation und der Dritte meint, eine Stagflation gesichtet zu haben.

Die FED aber unternimmt nichts weiter als den Versuch, die ganze Welt zu reflationieren!

Wie macht sie das, wenn sie doch neue Schuldner finden muss, da sonst die Druckpressen nicht laufen duerfen (und sie laufen doch auf Hochtouren!) ? Wieso waechst die Geldmenge denn um 1,6 Billionen Dollar in knapp 12 Monaten? Wer nimmt denn diesen Schuldenberg auf? Die Wirtschaft ist's doch wohl nicht!

 Und hier kommt eben die Qualitaet der Geldmenge ins Spiel. Ein Schuldschein ist so gut wie die Bonitaet des Schuldners, der ihn ausgestellt hat. Die einzigen Schuldner, die jetzt noch auftreten, sind aber die, welche noch nie in ihrer jahrhundertealten Existenz auch nur einmal zurueckbezahlt haben, die Schuldner mit der schlechtesten Bonitaet, die Kreditbetrueger! Aber die nehmen mit dankender Hand jeden Kredit, den sie kriegen koennen! Muss es morgen noch ein bisschen mehr sein? Aber gerne, das nehmen wir in Kauf! Und wenn die es nicht mehr nehmen, ich nehm es ganz bestimmt!!

Neuschuldner finden ist kein Problem. Solange man auf die Bonitaet nicht achten muss.

 Und wenn der Sparer, der Inhaber frueher datierter gesuenderer Schuldversprechen, auch heute weiss: wenn das Staatsbudget nur noch aus Krediten finanziert wird, dann ist sein Schuldschein nichts wert............dann macht man es halt anders. IWF, World Bank, Ausserbudgetaere Kreditgarantien, Schuldenschnitte fuer die dritte Welt, direkte Bankenbailouts durch Notenbanken, u.v.a., das Instrumentarium, um hinter dem Ruecken der Oeffentlichkeit faule Schulden in Umlauf zu bringen ist endlos. Und zudem: Wer sagt denn, dass bei der Notenbank jedem ausgegebenem Schuldschein auch ein Schuldner zugeordnet sein muss. Auch das ist eine selstauferlegte Konvention, die morgen schon ganz anders aussehen kann. Was fuer ein Fest wird das erst am sozialistischen Hof ! Und wenn der Sparer es wider erwarten doch merken wuerde, dann wird man ihm halt das Abheben verbieten.

Und wenn endlich jeder Geldschein nur noch durch Staatsschulden gedeckt ist, dann ist er wieder zu dem geworden, was er im Sozialismus auch war: ein von der Buerokratie nach Gutduenken verteilter Gutschein. Nur dass man damit dann wieder keine Gueter mehr erhalten wird. Aber das grosse keynesianische Projekt wird endlich vollendet sein: die Euthanasie des Sparers:

 'But whilst there may be intrinsic reasons for the scarcity of land, there are no intrinsic reasons for the scarcity of capital. . . . It will be, moreover, a great advantage of the order of events which I am advocating, that the euthanasia of the rentier, the functionless investor, will be nothing sudden, merely a gradual but prolonged continuance of what we have recently seen in Great Britain, and will need no revolution.'

 ~ John Maynard Keynes General Theory, p. 376

 Irgendwann geht's dann halt mit dem 'gradual' nicht mehr ganz auf. Wer wissen will, wie das dann aussieht, der braucht nur einen Urlaub in Osteuropa zu buchen. Die Sparer, die ihre Rentenansprueche sicher in allersichersten Titeln verpackt haben, koennen sich dort bei den Pensionaeren schon mal Rezepte fuer Kartoffelsuppe oder Brotsuppe notieren. Nur Mut, das schmeckt hervorragend!

Und wenn man gleich im Osten vor Ort ist, kann man es auch nutzen, um seine Altersversorgung auf solide Fuesse zu stellen: Einen Teil der Ruecklagen liquidieren, bevor es alle versuchen, und diese zu einem guten Teil dort anzulegen, wo der Crash bereits vorbeigezogen ist. Meine Tips: Jugoslawien, Rumaenien, Bulgarien. Konservativ, Immobilien, gute alte Nachkriegsprofiteur-Strategie. Aufgrund der Kapitalknappheit in diesen Laendern sind die Immopreise dort laecherlich niedrig, die Mietrenditen liegen entsprechend bei 15% p.a. Und mit der Kapitalknappheit wird es ein baldiges Ende haben, schliesslich sind diese Laender alle willige Kreditnehmer und Nettoempfaenger von milden Kreditgaben und Transferleistungen. So kann man der Show gelassen zuschauen!
 

Und jetzt noch ein kleines Wort an die Arnulf Baring Fans:

 Eins darf man nicht aus den Augen verlieren: Wenn man einen Damm hat, und auf der einen Seite des Dammes ist der Wasserstand hoch, auf der anderen Seite jedoch gering............. und nun oeffnet man diesen Damm, dann wird es unweigerlich zu einem allmaehlichen Gleichstand des Wasserpegels kommen. Fuer die Hochwasserregion bedeutet das zwangslaeufig eine Abnahme des Wasserstandes.

Alle gegenteiligen Beschwoerungen und Bekreuzigungen sind reines Schauspiel und Agitation. Die dritte Welt, insbesondere die ehemals unfreien Staaten des kommunistischen Blocks fordern nun ihren Teil an der Weltwirtschaft ein, und dies wird einhergehen mit einer Abnahme des Lebensstandards im Westen. Ricardo hin und her, wenn komparative Kostenvorteile ueberhaupt in so einer Situation postitiv auswirken, dann erst nach einer gewaschenen Anpassungskrise. Freier Handel und Wettbewerb ist ein humanes und schoenes Credo. Es ist ein schoener Versuch, die Schleusen zu oeffnen, wenn der damm wegbricht. Es aendert aber nichts daran, dass das Wasser abfliesst.

 Solange noch die geburtenstarken Jahrgaenge massiv Nettoeinzahler in die Sozialsysteme waren, konnte man deren Einzahlungen und Altersruecklage mit vollen Haenden aus allen Fenstern schmeissen. Jetzt aber kippt die Alterspyramide, vorbei ists mit den Ueberschuessen, die Altersversorgung ist verplempert, da stellt sich die Frage: wie soll man denen jetzt doch nocht die Rente finanzieren? Ein bisschen hier und da streichen wirds nicht tun..... nicht mal, wenns demnaechst Rente erst ab 70 gibt (Bloss, wer beschaeftigt denn den Greis bis 70..:))))

Und als wenn das nicht schon unloesbar genug waere, muss man auch noch mit dem einmaligen historischen Umbruch einer ganzen Welt in China, Indien, Russland fertigwerden, ein Riesenflutwelle, die ebenfalls nicht aufzuhalten ist. Dort wo diese beiden Flutwellen aufeinandertreffen, moechte ich nicht stehen!!!!

Ich werds mir aber gern im Fernsehn angucken.................
 




Geschrieben von MC Muffin am 29. November 2002 15:36:12:

Als Antwort auf: Deflation? Inflation? Stagflation? Alles hiervon, und Sozialismus obendrein! geschrieben von Miesespeter am 29. November 2002 04:03:22:
 

Sehr schöner Beitrag ich sehe das genau so.

Interessant ist eigendlich auch was Wohlstand eigendlich ist.Ein Bekannter sagte mir uns geht es doch gut ( zweifellos )aber warum? Der Deutsche Bürger ist pro Kopft 10 mal so hoch verschuldet wie der Bulgare!

Mein Bekannter sagt wir können mehr leisten wegen Maschinen usw. ( Investutionsgüter )

Darauf ich: wenn die Bulgaren ihre Verschuldung ver 10 fachen haben sie diese ganzen Geräte auch. 

Fazit: alles eine Frage wie viel Kredit man bekommt und das Wissen auch ein paar Politiker. Darum Osterweiterung, denn ihre Verschuldung sind zumindest am Anfang wo die Wirtschaft noch nicht steht unserer Verdienst. Die Frage kommt dies schnell genug? Wenn ja kann es mit dem Untergang noch Jahrzehnte dauern. Ansonsten früher bum.

MFG 
 

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