Freitag, 7. November 2003

Was wäre, wenn ... Teil 2

von unserem Korrespondenten Bill Bonner

Unsere Seelen werden getestet, liebe(r) Leser(in). Unsere Überzeugungen ... unsere Vermutungen ... sogar unser Sinn dafür, was richtig oder falsch ist.

 Was wäre, wenn ich Unrecht hätte, frage ich mich? Was wäre, wenn die
Welt doch nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle?

 Nicht, dass ich annehmen könnte, zu wissen, wie die Welt wirklich
funktioniert. Das ist etwas, was uns Menschen nicht gegeben ist. Alles
was wir tun können, ist durch ein dunkles Glas sehen zu können, und
dabei zu versuchen, generelle Muster zu erkennen ... die Regeln und
Prinzipien ... die uns helfen, das zu verstehen.

 Wenn ein Mann zuviel trinkt, dann erwarte ich, dass er hinfällt. Und
offen gesagt: Ich bin etwas enttäuscht, wenn er das nicht tut; das ist
so, als hätte er die Natur irgendwie betrogen.

 Wenn ein Mann seine Frau oder seine Geschäftspartner betrügt ... ich
weiß nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass er dafür einen Preis
zu zahlen hat ... irgendwann ... irgendwie ... irgendwo. Wenn nicht in
dieser Welt - dann vielleicht in der nächsten! Und wenn das nicht so
ist ... nun, dann sollte es so sein.

 Und jetzt haben wir vor uns das Spektakel von Millionen von Leuten,
die denken, dass sie reicher werden können - nicht durch Schweiß oder
die Disziplin des Sparens ... sondern durch das Kaufen von Häusern und
Aktien. Der Kaufpreis scheint egal zu sein, das Geheimnis ist nur, "im
Markt zu sein".

 Und weil sie glauben, dass sie den Weg gefunden haben, wie ein fauler
Mann reich werden kann ... sehen sie keine Notwendigkeit für die
üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Warum sollte man seine Hypotheken nicht
erhöhen ... wenn man weiß, dass der Preis des Hauses weiter steigen
wird? Die amerikanische Sparrate ist auf 1,5 % des BIP gefallen ...
oder weniger als 3 % des verfügbaren Einkommens. Im Gegensatz dazu
arbeiten die Chinesen länger, unter schlechteren Bedingungen, für 1/10
der Bezahlung ... und sie sparen 35 % ihres Geldes!

 Die Amerikaner als Kollektiv sparen nicht nur NICHT, sondern sie geben
auch eine halbe Billion Dollar mehr aus, als sie verdienen ... und sie
leihen sich eine weitere halbe Billion - zum großen Teil von
Dritte-Welt-Ländern, kommunistischen Nationen -, um ihre Regierung
finanzieren zu können.

 Aber keine Sorge - uns wird gesagt: "Amerika ist die größte,
dynamischste Volkswirtschaft der Welt. Wir wachsen doppelt so schnell
wie Europa. Unser Aktienmarkt boomt. Unsere Immobilienpreise steigen.
Wir haben Alan Greenspan bei der Fed und George W. Bush im weißen
Haus. Was könnte da schief gehen?"

 Bis jetzt hat der Dow Jones 57 % der Verluste des Bärenmarktes von
2000-2002 wieder aufgeholt. Im letzten Quartal fiel das
US-Wirtschaftswachstum so hoch wie nie zuvor in den letzten 19 Jahren
aus. Die Investoren sind bullisher als je zuvor. Und selbst der Dollar
ist gegenüber dem Euro wieder gestiegen.

 Kann das sein, liebe(r) Leser(in)? Ist das real? Eine reale Erholung?
Wird die Rechnung niemals kommen?

 Ich warte ... und wundere mich ...

 In der Zwischenzeit zu Addison:

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 Freitag, 7. November 2003

 Bank of England erhöht Leitzinsen

 von unserem Korrespondenten Addison Wiggin in Paris

 "Bären, Bären, Bären ..." beginnt eine typische Email von einem Leser,
"der Markt steigt seit 8 Monaten - denken Sie nicht, dass es Zeit ist,
dass Sie Ihre Meinung ändern sollten?"

 Jim Rogers hat im neuen Buch von Bill Bonner und mir im Vorwort
Folgendes geschrieben: " ... künstlich niedrige Zinssätze und eine
rapide Kreditexpansion, die von Alan Greenspan und der Fed in Gang
gesetzt worden, führten in den späten 1990ern zu einer
Spekulationsblase am Aktienmarkt ... jetzt macht die Politik, die die
Fed verfolgt, die Spekulationsblase noch schlimmer. Sie ändern diese
Spekulationsblase von einer Blase am Aktienmarkt hin zu einer Konsum-
und Immobilienblase. Wenn diese Blasen platzen, dann wird das
schlimmer als beim Platzen der Spekulationsblase am Aktienmarkt
sein ..."

"Natürlich will das niemand hören", so Rogers weiter, "sie wollen
Aktien kaufen und mindestens 25 % Plus sehen, denn das ist es, was (in
der letzten Spekulationsblase) passiert ist, und das ist es, was sie
im Fernsehen gesehen haben."

 In der Tat - die Rally des Aktienmarktes war beeindruckend. Und
überall in den Nachrichten finden wir - wenn es um die US-Wirtschaft
geht - irreredende Verrückte (meistens Politiker), die von 7,2 %
Wirtschaftswachstum im dritten und 4 % Plus im vierten Quartal reden.

 Selbst wenn diese Zahlen wahr wären - ich habe da meine berechtigten
Zweifel, siehe dazu den Artikel von Dr. Richebächer unten - kann diese
"Erholung" nicht von Dauern sein. Paul Krugman meint dazu: "Wie Bill
Gross, der Fondsmanager des riesigen Pimco-Anleihenfonds, sagt, werden
'früher oder später unsere asiatischen Gläubiger aufwachen und den
Braten riechen.' (Ja, der US-Bundeshaushalt und der Wert des Dollar
hängen jetzt von den Anleihenkäufen der chinesischen und japanischen
Regierungen ab). Wenn sie aufwachen, dann prognostiziert er 'höhere
Importkosten, einen Rückgang der Ausgaben für billige ausländische
Güter, steigende Inflation, vielleicht chaotische Finanzmärkte, einen
niedrigeren Lebensstandard.' Das ist etwas, auf das man sich freuen
kann ... und der Tag der Abrechnung rückt näher ..."

 Ich bin mir sicher, dass zum Beispiel die New York Times und einige
Bestseller-Autoren einige verrückte Vorschläge haben, wie man den Tag
der Abrechnung aufhalten könnte.

 Ich persönlich gebe noch nicht einmal vor, dass ich wüsste, was für
eine Politik man zu diesem Zweck durchführen müsste. Ich setze mich
einfach hin, um mit einem Lächeln auf den Lippen diesen Artikel zu
schreiben ... wie eine müde Mutter, die die Kinder endlich ins Bett
gebracht hat und jetzt einen guten Kriminalroman lesen kann. Auch ich
versuche, die Beweislage genau unter die Lupe zu nehmen ... um zu
sehen, ob ich das Ende voraussagen kann, bevor ich das letzte Kapitel
gelesen habe.

 "Der einfachste Weg, die US-Wirtschaft zu verstehen", schreibt mein
Freund und Kollege Jim Puplava, "ist mit vier Worten zu denken:
Schulden, Konsum, Spekulation und Illusion. Wenn man sich die
US-Wirtschaft aus der Perspektive dieser vier Wörter ansieht, dann
wird es leichter, zu verstehen, warum diese Erholung sich nicht wie
frühere zyklische Erholungen der Vergangenheit verhält."

 Und was ist das? Ein weiterer Hinweis kommt über die Drähte. BBC
berichtet, dass die Bank of England gestern die Leitzinsen auf 3,75 %
erhöht hat. Die Bank of England ist zuletzt immer im Fahrwasser der
amerikanischen Fed geschwommen, sie hat die Zinsen ähnlich schnell wie
die Fed gesenkt. Jetzt haben sie offensichtlich die Kugel gefunden und
beginnen die harte Arbeit, an der Wunde herumzudoktern ...

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 Freitag, 7. November 2003

 Ernste Worte

 von unserem Korrespondenten Bill Bonner, derzeit in Baltimore

 *** Obwohl die Kleinanleger so bullish wie nie sind, gibt es Zeichen
dafür, dass das Ende der Welt nahe ist.

 Die Investoren, die wissen was sie tun - die Insider, also z.B. die
Unternehmensvorstände -, verkaufen. Die jüngste Untersuchung zeigt,
dass sie für jede gekaufte Aktie 34 verkauft haben.

 *** Auch die größten Investoren warnen. In den letzten Wochen haben
Buffett, Soros und Templeton den Investoren zur Vorsicht geraten.

 *** Während der Dow Jones sich so erholt hat, dass fast alle denken,
es sei ein echter Bullenmarkt, erinnert uns Richard Russell daran,
dass die Aktienmärkte auch nach dem großen Crash 1929 eine ähnliche
Erholung hinlegten. Der Dow Jones ist jetzt um 57 % gestiegen - und in
den frühen 1930ner ist er um 52 % gestiegen. Und das war kein neuer
Bullenmarkt!

 *** Mist. Der Goldpreis steigt wieder. Anfang der Woche war er noch
gefallen. Ich hatte so gehofft, dass ich mein aktuelles Kaufziel -370
Dollar - noch einmal erreichen könnte, damit ich mehr Gold kaufen
könnte. Aber der Goldpreis ist nur bis auf 377 Dollar gefallen und
dann wieder gestiegen.

 *** "Wie geht's Edward", fragte ich meine Frau nach unserem Sohn, als
ich sie von Baltimore aus anrief, um mit der Familie in Kontakt zu
bleiben.

 Ich hatte mit Edward ernst gesprochen. Er hatte sein Verbrechen (siehe
Investor's Daily vom 5.11.) gestanden ... und jetzt bedauerte der
kleine Junge, dass er jemals diese "Got ya"-Schreckschuss-Pistole
haben wollte.

 Meine Frau meinte dazu: "Ich habe gestern mit seiner Lehrerin
gesprochen. Sie sagte, dass er sich danach sehr gut benommen habe, was sehr ungewöhnlich sei ... das sei sehr bemerkenswert, betonte sie."

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 Freitag, 7. November 2003

 Der Kaiser ohne Kleider

 von Dr. Kurt Richebächer

 Amerikas wirtschaftliche Erholung und deren Stärke waren und bleiben
die größte wirtschaftliche Sorge der Welt.

 Laut allgemeiner Ansicht wird die US-Wirtschaft in der zweiten
Jahreshälfte so schnell wie nie seit den späten 1990ern wachsen. Laut
einer monatlichen Umfrage des Wall Street Journal Online unter 53
Ökonomen wird für das vierte Quartal ein Wachstum von 4 % erwartet.

 Während ein paar Ökonomen davor gewarnt haben, dass die Entwicklung
dieser Erholung enttäuschen könnte, ist meine Meinung, dass die hohen
Wachstumsraten im zweiten Quartal völlig trügerisch waren. Wenn man
sich nur auf die harten wirtschaftlichen Zahlen stützt wie
Beschäftigung, persönliche Einkommen, Produktion, Investitionen und
Gewinne - dann sehe ich überhaupt keine Erholung in den USA.

 Seit 2001 haben die USA auf monetärer und fiskalischer Ebene die
Wirtschaft finanziell stimuliert, wie man es in diesem Ausmaß vorher
noch nie gesehen hat. Im Juli führten die Steuersenkungen zu einem
Zuwachs der Einkommen von 19 Milliarden Dollar - was letztlich zu
einem Zuwachs von 120 Milliarden Dollar bei den verfügbaren Einkommen
führte.

 Laut der herrschenden allgemeinen bullishen Stimmung wirkt die Medizin
jetzt. Nach der Revision des BIP-Wachstums für das zweite Quartal -
der Wert wurde von 2,4 % auf 3,1 % erhöht - ist eine Euphorie
ausgebrochen.

 Diese Wachstumsraten sind übrigens aufs Jahr hochgerechnet. Wenn
amerikanische Ökonomen also von einem Wachstum von 4 % sprechen, dann meinen sie eigentlich 1 %, und das ist nicht unbedingt besonders viel. Die Wachstumsraten in Nachkriegs-Erholungen lagen in den USA in den ersten zwei Jahren nach einer Rezession bei durchschnittlich 5,4 % -
und sie brauchten nur sehr wenig monetäre und fiskalische
Stimulierung.

 Der zweite Grund, warum mich die angeblich hohen Wachstumsraten nicht überzeugen, ist die Tatsache, dass sie hauptsächlich den erhöhten
Staatsausgaben zu verdanken sind. Im vierten Quartal war der Anstieg
der Staatsausgaben für 24,5 % des Wachstums verantwortlich, im ersten
Quartal 2003 für 40,7 % und im zweiten Quartal für 38,2 %.

 Der wichtigste negative Punkt ist allerdings die angebliche Erholung
bei den Investitionen der Unternehmen nur ein statistisches Wunder
ist. Im zweiten Quartal 2003 lagen die IT-Investitionen bei 1,1199
Billionen Dollar - nach 1,1268 Billionen Dollar im ersten Quartal
2002.

 Ich muss Sie nicht daran erinnern, dass eine wirkliche wirtschaftliche
Erholung im Kern sowohl durch einen Anstieg der Konsumausgaben als
auch durch einem Anstieg der Investitionen zustande kommt. Aber was
ist mit diesen beiden Faktoren in der ersten Jahreshälfte 2003
passiert?

 Lassen Sie uns den Anstieg des aggregierten BIP betrachten. In
aktuellen Dollar ist es im ersten Quartal um 99,6 Mrd. Dollar und im
zweiten Quartal um 105,5 Mrd. Dollar gewachsen, kaum eine
Beschleunigung.

 Wenn man sich die Nachfragekomponenten ansieht - mit den
Konsumausgaben als der größten Komponente - dann sieht man, dass es in diesem Bereich einen Rückgang von 87,1 Mrd. Dollar auf 83,1 Mrd.
Dollar gab. Die Investitionen von Ausländern fielen im ersten Quartal,
erreichten im zweiten Quartal aber wieder ihr voriges Niveau. Vom
ersten zum zweiten Quartal verlangsamte sich das Wachstum der
Regierungsausgaben von 40,7 Mrd. Dollar auf 33,6 Mrd. Dollar. Das
stark steigende Handelsbilanzdefizit nahm im ersten Quartal 11,1 Mrd.
Dollar vom BIP-Wachstum, im zweiten waren es 23,8 Mrd. Dollar.

 Aber dieses durchwachsene Bild - gemessen in aktuellen Dollar -
änderte sich radikal, nachdem die Statistiker diese Zahlen mit ihren
Preisindizes behandelt hatten. Demnach hat sich das BIP-Wachstum von
33,8 Mrd. Dollar auf 73,5 Mrd. Dollar beschleunigt. Das Wachstum der
Konsumausgaben explodierte regelrecht, von 33 Mrd. Dollar auf 62,4
Milliarden Dollar, und das Wachstum der Regierungsausgaben erhöhte
sich von 1,7 Mrd. Dollar auf 31,7 Mrd. Dollar.

 Den größten Beitrag zum BIP-Wachstum lieferte jedoch die
Preisanpassung bei den Computern. In aktuellen Dollar sind die
Investitionen in diesem Sektor im ersten Quartal um 0,8 Mrd. Dollar
und im zweiten um 6,3 Mrd. Dollar gestiegen, aber der Preisfaktor
führte zu einem Anstieg von 15,3 und 38,4 Mrd. Dollar! Damit waren die
Wachstumsraten bei den Ausgaben für Computer für 43 % des gesamten
BIP-Wachstums im ersten und für 44 % des gesamten BIP-Wachstums im
zweiten Quartal verantwortlich.

 Die breite Finanzpresse hingegen nahm den angeblichen Anstieg der
Computer-Investitionen als Beleg für die Rückkehr der
Hightech-Investments. Die Wall Street zelebrierte das mit einem
Anstieg des Nasdaq-Composite um 56 % seit März.
 
 

Englisches Original:
http://www.dailyreckoning.com/body_index3.cfm?id=7159&tp=a

Übersetzung:
http://www.investor-verlag.de/main.investor-verlag.phtml#10