Eigener Kommentar vorab:

Das Buch hat 432 Seiten und setzt sich aus 13 einzelnen Beiträgen und drei Vorworten zusammen (eins davon, siehe unten). Damit will ich sagen, daß die Wiedergabe hier naturgemäß nur ein Bruchteil des Inhaltes zeigt. 

Meine ganz persönliche Empfehlung ist deshalb: Lest euch die folgenden Auszüge durch, quasi zum "Reinschnuppern", und KAUFT euch dann das Buch. Es lohnt sich !! Auch die restlichen Beiträge haben es in sich !!

Auszüge aus:
 

ZENSOR USA

Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird

Kristina Borjesson (Hg.)

Pendo Verlag (2004); ISBN: 3-85842-577-X


Charlotte Dennet: Das große Spiel ums Öl: die bruchstückhafte Berichterstattung im Kampf gegen den Terror

- "Pipelinepolitik
Michael Levine: Die großen Lügen im Kampf gegen die Drogen
 

John Kelly: Verschwiegene Verbrechen –Die CIA und das Gesetz
 

Kristina Borjesson: Die ungeklärte Ursache für den Absturz der TWA 800 

Hierzu nur ein externer Link zur "Flight 800 Independent Researchers Organization", die zum Thema ebenfalls recherchiert hat (Link stammt aus dem Buch).



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JeanZiegler*: Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe
 

Die Agonie der Freiheit

Zensor USA. Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird ist ein bedeutsames, -wichtiges und vor allem hochaktuelles Buch. 

Ein Buch nur für Amerikaner? Keineswegs. Die Weltmacht USA führt präventive Kriege. Im Nordkaukasus unterstützt sie Putins Vernichtungsfeldzug gegen die Tschetschenen. In Palästina finanziert und fördert sie Sharons Staatsterror gegen die wehrlose Zivilbevölkerung. Mit dem Völkerrecht hat sie offiziell gebrochen, und die Vereinten Nationen beschimpft ihr Verteidigungsminister mindestens dreimal am Tag. Kurz: Zur Durchsetzung eigener, engster Öl- und Finanzinteressen verwüstet die Bush-Clique derzeit den Planeten. Sie maßt sich an, im Namen des diffusen »Krieges gegen den Terror« weltweit allen Völkern und Staaten, auch der Schweizerischen Eidgenossenschaft - ihre Gewalt- und Desinformationsstrategie aufzuzwingen. 

Publishers Weekly ist die prestigereiche Branchenzeitschrift der nordamerikanischen Verlags- und Pressezunft. Normalerweise ist ihre Sprache vornehm zurückhaltend. Werturteile scheut sie wie der Teufel das Weihwasser. Zu diesem Buch aber sagt sie: »Jeder normale Leser, der dieses Buch oder auch nur einzelne Essays daraus liest, wird entsetzt sein. Die Berichte darüber, was hinter den Fassaden der mächtigsten Fernseh-, Radio- und Zeitungsgesellschaften gegenwärtig vor sich geht, provozieren einen Schock.«

Die Zensur der freien Gedanken, des investigativen Journalismus, der vorurteilslosen Berichterstattung ist das wussten schon die Römer - die ultima ratio regnum, die letzte und effizienteste Waffe des Imperiums. 

Die »Bush-Männer« hassen das Wort »Zensur«. Ihnen liegt am Erhalt der demokratischen Fassade. Sie haben für ihre Verschleierungs- und Aggressionsstrategien einen schönen, komplizierten und fast unverdächtigen neuen Namen erfunden: Reality perception control, so heißt die ultima ratio, die höchste Waffe des Bush-Wallstreet-Öl-lmperiums. 

Der französische Philosoph Guy Deborde schreibt: »Pour la premiere fois les memes sont les maitres de tout ce que l'on fait et de tout ce que l'on en dit.« (Zum ersten Mal sind dieselben Leute Herr über alles, was getan, und über alles, was darüber gesagt wird.) Deborde war ein Visionär. Er schrieb bereits vor fünf Jahren über das, was wir alle heute konkret und täglich erleben.

Wie funktioniert die "Reality perception control" der Bush-Männer. Die vorliegende eindrückliche Essay-Sammlung von fast zwei Dutzend hochkompetenter, mutiger, investigativer amerikanischer Journalisten gibt detailliert Auskunft darüber. Ich versuche zu systematisieren. 

»Buzzsaw« ist der zentrale Begriff im amerikanischen Originaltitel des Buches. Er heißt wortwörtlich »Kreissäge«. In dieser Ausgabe wird er mit dem Ausdruck »ins offene Messer« übersetzt. Damit wird die gesamtamerikanische Maschinerie der Informationsverhinderung, Präventivzensur und Ausschaltung unbotmäßiger Journalisten bezeichnet. Die bezahlten Söldner der Großkonzerne und der staatlichen Exekutivgewalt verhindern mit allen - wörtlich: allen - Mitteln das Erscheinen kritischer Berichte über die gelebte Wirklichkeit der Bürger. Ein Fernsehreporter, Journalist oder Buchautor, der sich diesem Diktat nicht beugt, wird gnadenlos verfolgt. Seine Karriere wird gebrochen, wie zahlreiche dokumentarisch belegte Beispiele in diesem Band schockierend aufzeigen.

Gore Vidal berichtet folgenden Vorfall: Im Nachrichtensender CNN bedrohte der Sprecher des Weißen Hauses, Arie Fleischer, ganz unverfroren das versammelte Pressecorps der Vereinigten Staaten: »You better watch what you say.«

Was ist die unmittelbare Folge solch hochoffizieller brutaler Drohungen? Charlotte Dennett gibt in ihrem ausgezeichneten Essay »Das Große Spiel ums Öl« (vgl. S. 24) eine lapidare Antwort: »Selbstzensur«. Selbstzensur des Reporters, Journalisten oder Buchautors. Selbstzensur des Produktionsleiters, Redakteurs oder Verlegers. Und Selbstzensur der von der Zensur nicht direkt betroffenen Medienunternehmen, die sich scheuen, über das, was dem konkurrierenden Unternehmen zustößt, auch nur mit einem Wort zu berichten. 

Die Methoden und Schliche der von den Bush-Männern erfundenen und mit kaltem Zynismus durchgeführten Realtiy perception control sind vielfältig. So werden in den USA neuerdings landesweit die Lesegewohnheiten der Bibliotheksbesucher kontrolliert. Auch die größten und finanziell mächtigsten Verlage werden angehalten, möglichst keine arabischen Autoren zu verlegen. Die Manuskripte von Autoren, welche die Ölkriege der Bush-Junta kritisch untersuchen, sterben meist bereits auf dem Tisch des Verlagslektors. 

Das vorliegende Buch gibt Auskunft über den langen, erstaunlichen Kampf, den Michael Moore gegen seine eigenen Verleger geführt hat. Moore gewann ihn schließlich, sein Buch Stupid white men erschien und wurde zum Weltbestseller. Aber Moores Sieg ist eine einsame Ausnahme. 

Eine wahrhaft beeindruckende Erfindung der Bushschen Zensur- und Lügenfabrik sind die so genannten »eingebetteten Journalisten«. Der Krieg zur Eroberung der irakischen Ölquellen sollte in voller Transparenz und unter aktiver Anteilnahme der Öffentlichkeit, das heißt der Presse, geführt werden. Es stellte sich das Problern: Wie kann man freien Journalisten den Zugang zum Schlachtfeld ermöglichen und gleichzeitig ihre freie, eventuell kritische Berichterstattung verhindern? 

Charlotte Dennett beschreibt die Methode. Ausgewählte Journalisten werden ausgewählten Kampfeinheiten zugeteilt. Sie leben, essen, reisen mit der Einheit. Sie können die Soldaten befragen. Sie fahren in gepanzerten Armeefahrzeugen in die eroberten Städte und Dörfer ein. Sie dürfen sich nicht von der Einheit entfernen. Kriegsopfer bekommen sie grundsätzlich nie zu Gesicht. Mit jemand anderem als den Soldaten zu sprechen ist verboten. Bevor der »eingebettete« Journalist seinen Bericht an seine Redaktion im fernen Amerika oder auf einem anderen Kontinent schickt (eingebettet waren nicht bloß amerikanische Korrespondenten), muss er ihn dem kommandierenden Offizier der betreffenden Einheit vorlegen. 

Der Offizier kann den Bericht zensieren oder vollständig verhindern. Seine Legitimation? Die »operative Sicherheit«. 

Während des Vormarsches von Kuwait nach Bagdad im zweiten Irakkrieg 2003 haben zahlreiche amerikanische Kampftruppen, vor allem in der Gegend von Kerbala und Najaf, aber auch in den südlichen Vorstädten von Bagdad, in blutrünstiger Grausamkeit auf alles geschossen, was sich bewegte. Gemäß Schätzungen der UNO sind rund 11 000 irakische Zivilisten ? Frauen, Kinder und Männer ? massakriert. Zehntausende mehr verstümmelt oder verbrannt worden. Beunruhigte amerikanische Fernsehreporter und Journalisten wollten über das eine oder andere Massaker berichten. Dem kamen die Pentagon-Bürokraten zuvor. In einem Interview mit der Washington Post erklärt Oberstleutnant Rick Long: »Reporter sollten nicht unabhängig nach Tatsachen forschen ...Wenn etwas Schlimmes passiert, ist es Aufgabe des Militärs, Ermittlungen anzustellen.«

Eines der dunkelsten Kapitel der Reality perception control ist das Töten von Journalistinnen und Journalisten. Berühmt und immer noch ungelöst ist der Fall von James H. Hatfield. 

Hatfield hatte die Maxime von Thomas Jefferson wörtlich genommen:: »Wenn ein Mann ein öffentliches Amt annimmt, sollte er sich als öffentliches Eigentum betrachten.« Hatfield schrieb die erste, akribisch recherchierte Biographie über George W Bush. Ihr Titel: »Das Bush-Imperium. Wie George W. Bush zum Präsidenten gemacht wurde.« Hatfield war ein hervorragender Journalist. Er lebte in Texas. Seine Frau Nancy gehört in fünfter Generation der republikanischen Aristokratie an. Noch während der Arbeit am Buch wurde Hatfield mit Drohungen, Erpressungs- und Korruptionsversuchen eingedeckt. Gegen massivsten Widerstand publizierte ein Kleinverlag das Manuskript (in dem unter anderem zum ersten Mal der Drogenkonsum des Kandidaten belegt wurde). 

Prozesse und öffentliche Diffamationskampagnen ruinierten den Autor psychisch und finanziell. Am 18. Juli 2001 wurde Hatfield in seinem Haus in Dallas tot aufgefunden. Die lokale Polizei vermutete Selbstmord, die Familie Mord.

In Bagdad war das Palestine-Hotel, nicht weit vom Tigris-Ufer, das Hauptquartier der nicht »eingebetteten« ausländischen Kriegskorrespondenten. Seine Lokalisierung und Funktion war dem Pentagon bestens bekannt. Kurz nach der Eroberung von Bagdad fuhr ein amerikanischer Panzer vor dem Hotel auf und beschoss das Gebäude mit Granaten. Ein britischer und ein spanischer Reporter wurden getötet, andere verletzt. 

Auch andere Fernsehreporter hatten dramatische, dem Pentagon nicht genehme Bilder gesendet. Beispiel: die arabischen Sender al-Dschasira und Abu Dhabi TV. Amerikanische Panzer beschossen die Büros der beiden Sendeanstalten in Bagdad. Sie töteten einen der wichtigsten und kompetentesten Korrespondenten von al-Dschasira und verletzten mehrere seiner Kollegen.

Der Pendo Verlag, dem das hohe Verdienst der Entdeckung dieses Buches für den deutschen Markt zukommt, fragte mich im Oktober, ob ich das Vorwort schreiben wolle. Alljährlich im November muss ich in NewYork vor der UNO-Generalversammlung meinen Bericht über die Vor- und Rückschritte des Menschenrechtes auf Nahrung verteidigen. Wegen der Anfrage des Pendo Verlags ließ ich mir bei der Erstellung des letztjährigen Arbeitsprogramms Zeit für die Lektüre der lokalen und nationalen amerikanischen Presse und die Verfolgung der wesentlichen Fernseh- und Radiosendungen. 

Das Resultat? Am 15. November 2003 wurde der Kommandant der 101. Airborne Division im Irak, General Sanchez, zwanzig Minuten lang vom Chefreporter der FOX-News live über die Lage am Tigris befragt. Der General gab die üblichen Propagandasprüche von sich. Der Chefreporter nickte verzückt, stellte nicht eine kritische Frage und spickte sein ganzes Kurtisanen-Interview mit stets wiederkehrenden devoten Sätzen wie: »lf i'll get you right, general ... Did l understand you correctly, general?« Kurz: Hofjournalismus, wie man ihn sich klebriger nicht vorstellen könnte. 

Ebenfalls in der zweiten Novemberhälfte fanden auf drei Kanälen (CBS, NBC,ABC) Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Folter von Gefangenen statt. Angeleitet von israelischen Folterspezialisten quälen amerikanische Sicherheitsleute inzwischen von Guantanamo über Kuwait bis Afghanistan nicht nur Verdächtige, sondern auch ihre völlig unverdächtigen Familienmitglieder und Bekannte. Methode: langfristiger Schafentzug; Einpferchung des Gequälten in engste Betonzellen, in denen er (oder sie) weder liegen noch stehen, noch sitzen kann; nervenzerstörende Lärmerzeugung 24 Stunden am Tag, etc. 

Während dreier Diskussionsrunden hörte ich nur einmal einen harten Protest gegen die Folter - von einem jungen Vertreter der Organisation Human Rights Watch. Alle anderen Gesprächsteilnehmer ? Universitätsprofessoren, FBI-Leute, Journalistinnen und Journalisten ? fanden, dass die fortgesetzte präventive Folter nicht nur Verdächtiger, sondern auch bloß mit dem Verdächtigen liierter Personen zu Zeiten des »Krieges gegen den Terror« durchaus wünschenswert sei. Auch Sippenhaft und systematische Zerstörung von Wohnhäusern, in denen der Verdächtige vielleicht einmal eine Nacht verbracht hat, seien rechtmäßig und wünschenswert. 

Jeder weiß, dass, seit Gamal Abdel Nasser 1954 die ersten »Muslimischen Brüder« hängen ließ, der Hass zwischen arabischen "Nationalisten" und islamischen Fundamentalisten unauslöschlich und vehement ist. Das gilt heute von Marokko bis Bahrein, vom Sudan bis in den Irak. Trotzdem publizierte  das zweitgrößte Massenblatt NewYorks The NewYork Post (das größte ist Daily News) während dreier Novemberwochen eine Serie völlig undokumentierter substanzloser Artikel über die »intime Zusammenarbeit« vor dem 11. September 2003 zwischen Osama bin Laden und Saddam Hussein. 

Das vorliegende brillante Buch ist eine Sammlung von Essays ganz verschiedener, aber gleicherweise renommierter amerikanischer Journalistinnen und Journalisten. Viele Essays behandeln Erfahrungstatbestände, die nichts mit dem »Krieg gegen den Terror« zu tun haben. Die amerikanische Lügen- und Informationsverhinderungsstrategie, die wir heute erleben, ist das ins Extrem gesteigerte Stadium der Zensurmethoden, die teilweise bereits früher zur Anwendung gekommen sind und von denen ? weil sie sie am eigenen Leibe erfahren haben - die Autoren dieses Bandes kenntnisreich berichten. Mein Vorwort konzentriert sich auf dieses extreme Stadium, den Reality perception control-Feldzug der Bush-Männer und ihrer Komplizen. 

Ich liebe die unglaublich komplexe nordamerikanische Gesellschaft, ihre multikulturellen Wurzeln, die Warmherzigkeit ihrer Menschen. Ich habe lange Jahre in Amerika studiert und dort auch gearbeitet. Diese Jahre gehören zu den schönsten, instruktivsten meines Lebens. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine Zivilgesellschaft von der Effizienz und dem Mut der amerikanischen. Die Bewegung gegen den Vietnamkrieg hat einen amtierenden Präsidenten zum Verzicht auf die nächste Kandidatur gezwungen. Die basisdemokratische Opposition in den späten Sechzigerjahren des 20.Jahrhunderts gegen die Rassendiskriminierung gehört zu den Sternstunden der Menschheit. In den späten Achtzigerjahren hat der Präsident der sozialistischen Internationalen Willy Brandt den amerikanischen Ex- Jesuiten und Kriegsdienstverweigerer Michael Harrison mit der Ausarbeitung des neuen, noch heute gültigen Programms der Sl betraut. 

Dieses Buch zeugt vom klugen, mutigen und zu wenig beachteten Kampf isolierter Journalistinnen und Journalisten gegen die bodenlose Arroganz der Konzerne und ihrer Söldner im Weißen Haus. Die Autoren dieses Buches kämpfen für uns alle, auf weichem Kontinent wir auch wohnen. Sie kämpfen gegen den gemeinsamen Feind, für die gemeinsame Hoffnung. Die Hoffnung auf Gedankenfreiheit, Informationszirkulation und freie, kritische Debatte. Information und Kritik sind der Atem der Demokratie. Wer eine zensierte Weltsicht hat, ist fremdbestimmt. Nur informierte Menschen sind freie Menschen. 

Wendell Philipps schreibt: »Eternal vigilance is the price of liberty.« 

Die Autoren dieses Buches sind Wächter in der Nacht, sie sind die Vorfahren der Zukunft. Für ihre Widerstandskraft, die leuchtende Evidenz ihrer Überzeugungen, für ihren persönlichen Mut schulden wir ihnen tiefe Dankbarkeit und Bewunderung. 

Jean Ziegler
Genf im Januar 2004
 

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* Jean Ziegler ist UNO-Sonderberichtserstatter für das Recht auf Nahrung und Autor mehrer Bücher. Zuletzt erschien von ihm: Die neuen Herrscher der Welt, München, C. Berteismann 2003.

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Charlotte Dennet: Das große Spiel ums Öl: die bruchstückhafte Berichterstattung im Kampf gegen den Terror

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Wie Sheldon Rampton und John Staubert, die Autoren von Weapons of Mass Deception: The Uses of Propaganda in Bush's War on Iraq, in einem Interview sagten, besteht diese Taktik historisch darin, dass die Machthaber eine Lüge ständig wiederholen und diese irgendwann zur Wahrheit wird, wenn die Medien keinen Widerspruch erheben.Von dieser Taktik machte der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels exzessiven Gebrauch. Und es ist besonders beunruhigend, dass eine so primitive Methode wie die Taktik der ständigen Lüge erfolgreich eingesetzt werden konnte, um Unterstützung für einen Präventivkrieg der USA zu mobilisieren.« Die herrschenden Medien in den USA haben es in jedem einzelnen Stadium von Bushs Krieg gegen den Terror versäumt, kritische Fragen zu stellen und ihre verfassungsrechtlich geschützte Aufgabe als vierte Gewalt zum Schutz des amerikanischen Volkes zu erfüllen. Doch die amerikanische Unwissenheit hat noch weitere Ursachen.
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»Isolierte Fakten«, sagte Dr. Leestma, »werfen eine Vielfalt verschiedener Fragen auf. Dagegen kann ein Ermittler mögliche Ursachen eines Verbrechens ausschließen, wenn er >die Fakten im Licht ihres Kontexts betrachtete<« 
   Als ich über diese Äußerung nachdachte, fiel mir auf, dass das Versäumnis, Fakten im Kontext zu betrachten, in den meisten amerikanischen Bildungseinrichtungen einer der schwersten Mängel ist. Nicht nur in unseren Medien, sondern auch an den Schulen und Universitäten fehlt der Kontext. Deshalb wirken viele Amerikaner so hoffnungslos naiv, ja sogar dumm. Tatsächlich jedoch sind sie weder naiv noch dumm, ihnen fehlt nur der Kontext. Der Öl-Kontext, der geographische Kontext, der Klassen-Kontext, der historische Kontext: all das bleibt dem Durchschnittsamerikaner verborgen, wenn er nicht bis 23.30 Uhr aufbleibt und Nachrichten auf BBC oder Nightline auf ABC anschaut. Wer versucht, die isolierenden Nebelwände zu durchbrechen, wird häufig als Verschwörungstheoretiker beschimpft, gleichgültig wie sorgfältig er seine Fakten recherchiert oder dokumentiert haben mag. Was er schreibt, wird unterdrückt, wie in diesem Buch nachzulesen ist.
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Ich selbst habe als Reporterin [...] die Erfahrung gemacht, das die Zensur am stärksten greift, wenn man versucht, die Wahrheit über das Öl zu sagen – darüber, wer es kontrolliert und warum es seit dem Ersten Weltkrieg einen so außerordentlichen Einfluß auf die amerikanische Außenpolitik hat.4

[Anmerkung: 4 Am nächsten kamen die Amerikaner einern Verständnis der »Öligarchen« dieser Welt vielleicht erst kürzlich, als der russische Präsident WIadimir Putin Michail Chodorkowski verhaften ließ, den reichsten Mann Russlands und Chef des größten russischen Ölkonzerns. Erst dann erfuhren wir, dass Chodorkowski auch als Berater der Carlyle Group des ehemaligen Präsidenten George H.W. Bush, einer der größten Investmentfirmen der Welt, fungierte und dass er versucht hatte, seine gewaltige Beteiligung an Yukos teilweise an Exxon Mobil und Chevron Texaco zu verkaufen. Wer die größten Aktionäre der riesigen Ölkonzerne der USA sind, ist in der amerikanischen Öffentlichkeit kein Thema. Und kaum je werden die Verbindungen erwähnt, die George W. Bush durch seine Großväter George Herbert Walker und Prescott Bush zu Brown Brothers Harriman hat. Sie ist eine der renommiertesten privaten Investmentbanken, die riesige Finanzmittel für Bankgeschäfte, Transportmittel und globale Ölgeschäfte mobilisiert.]


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Mit dem Kongress im Schlepptau konnte die Regierung auch die Medien rasch einschüchtern. Binnen eines Monats nach dem 11. September verhinderte der Stellvertretende Außenminister Richard Armitage, dass der Radiosender Voice ofAmerica ein Interview mit einem Führer der Taliban ausstrahlte; Regierungssprecher Ari Fleischer warnte die Journalisten und die Öffentlichkeit, sie sollten »aufpassen,was sie sagen«;und die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice wies die Nachrichtenchefs der fünf größten US-amerikanischen Fernsehgesellschaften an, alle Sendungen mit Osama bin Laden zu säubern. Im November denunzierte eine von Cheneys Frau angeführte Gruppe von Konservativen 117 Professoren als »das schwache Glied in Amerikas Reaktion auf den Angriff« und tadelte sie, weil sie »Toleranz und Meinungsvielfalt als Mittel gegen das Böse« empfohlen hätten. Und als die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union gegen die willkürlichen Festnahmen unter der Regierung Bush und gegen die rechtswidrige Internierung von Moslems protestierte, weigerten sich sowohl CBS als auch CNN, die Bilder von gefesselten Gefangenen mit Säcken über dem Kopf zu zeigen. 

Unterdessen zensierten sich viele Journalisten freiwillig selbst. So gab der CBS-Moderator Dan Rather vor einem britischen Publikum zu, dass es für ihn und seine Kollegen bei den anderen Fernsehgesellschaften beruflicher Selbstmord gewesen wäre, die Politik der Regierung Bush vor oder nach dem 11. September in Frage zu stellen.
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Der Krieg im Irak

Das Sprichwort: »Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges« ist amerikanischen Journalisten und Intellektuellen wohl bekannt.
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Es gab jedoch eine bemerkenswerte Ausnahme: Unmittelbar vor Beginn des Krieges veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Newsweek das bis dahin geheime Protokoll einer Aussage, die der rang- höchste irakische Deserteur, der für die Bewaffnung der irakischen Armee zuständige Generalleutnant Hussein Kamel, 1995 gegen- über der UNO gemacht hatte. Er sagte, dass »alle Waffen - biologische, chemische und atomare sowie Raketen — vernichtet wurden«. Dies geschah 1991, damit die Inspektoren sie nicht finden konnten. (Die Iraker hofften damals, die Produktion wieder aufnehmen zu können, wenn die Inspektoren das Land verlassen hätten.) Diese Geschichte wurde in der restlichen Presse ignoriert, die damals lieber über die Verlegung der Truppen und den endgültigen Showdown mit Saddam Hussein berichtete.
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Im Pentagon war man fest entschlossen, die Fehler zu korrigieren, die während des Vietnamkriegs gemacht worden waren, als die Berichterstattung in den Medien (und die wachsende Zahl der in Plastiksäcken heimkehrenden Amerikaner) schließlich zu einer Antikriegsstimmung in der amerikanischen Bevölkerung geführt hatte. Doch das Pentagon wollte auch den gegenteiligen Fehler des ersten Golfkriegs nicht wiederholen. Damals hatten sich sogar die etablierten Medien beschwert, weil ihnen jeder Zugang zur Front verweigert wurde. Für den zweiten Golfkrieg lautete die Lösung des Pentagons deshalb »Einbettung« der Reporter in die Truppe. »Wir wollen eine intensive Berichterstattung«, erklärte die Stellvertretende Verteidigungsrninisterin Victoria Clarke im Monat vor dem Krieg auf dem Nachrichtensender CNBC. Die meisten Medien kauften ihr das ab und kümmerten sich nicht weiter darum, dass sie früher für die Werbeagentur Hill and Knowlton gearbeitet hatte. Diese Agentur hatte das Propagandamärchen von den irakischen Soldaten fabriziert, die kuwaitische Säuglinge aus den Brutkästen rissen und sterben ließen. Den amerikanischen Fernsehzuschauern wurden rührende Abschiedsszenen präsentiert, als Reporter zum Kriegsschauplatz aufbrachen, um sich »einbetten« zu lassen. Verdienstvollerweise enthüllte die Washington Post, dass diese Kriegsberichterstatter zwar Zugang zu den Soldaten haben würden, aber keinesfalls intensiv recherchieren sollten, wenn etwas schief ging oder nicht den Absichten des Pentagons entsprechend lief. »Reporter sollten nicht unabhängig nach Tatsachen forschen«, erklärte Oberstleutnant Rick Long in einem Interview mit der Post. »Wenn etwas Schlimmes passiert, ist es die Aufgabe des Militärs, Ermittlungen anzustellen.« Die Reporter konnten bei den Soldaten mitfahren, aber deren Offiziere konnten ihre Berichte unter Berufung auf die »operative Sicherheit« zensieren und zurückhalten. Dies hatte zur Folge, dass in den Massenmedien über die Tötung von Zivilisten - ein entschieden »schlimmes« Ereignis — und den Einsatz von tödlichem abgereichertem Uran in panzerbrechender Munition und Fliegerbomben kaum oder gar nicht berichtet wurde. Laut Jim Naureckas, dem Chefredakteur der Monatszeitschrift Extra der Organisation FAIR, »vermieden es die US-Medien anscheinend, über die irakischen Opfer des Krieges zu berichten, und zwar nicht, weil diese Opfer den Amerikanern zu unwichtig waren, sondern weil sie ihnen zu wichtig waren«. Zum Beweis zitierte Naureckas eine Umfrage, die Time und CNN während des Krieges gemacht hatten. Dabei »sagten 47 Prozent der Befragten, sie würden den Krieg nicht unterstützen, wenn durch ihn 5000 irakische Bürger getötet würden«.

[Zitat aus dem Vorwort: "Gemäß Schätzungen der UNO sind rund 11 000 irakische Zivilisten Frauen, Kinder und Männer massakriert. Zehntausende mehr verstümmelt oder verbrannt worden."]


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Tatsache ist nämlich, dass die heutigen Ereignisse lediglich die jüngste Phase jenes Großen Spiels um das Öl sind, das nicht erst vor 30 Jahren,  sondern schon vor über 100 Jahren begann. Es war und ist ein Spiel, bei dem Länder mit imperialen Ambitionen in einem tödlichen Konkurrenzkampf stehen. Oder, um es mit den bis heute aktuellen Worten auszudrücken, mit denen der US-amerikanische Botschafter den Plan der USA kommentierte, eine transarabische Pipeline zu bauen: »Petroleum ist heute das Lebenselixier der industrialisierten Welt, und es werden die erstaunlichsten Intrigen und teuflischsten Listen gebraucht, um in den Besitz neuer Ölvorräte zu kommen.« Von den Zwanziger- bis in die Vierzigerjahre waren Großbritannien, die Niederlande, Deutschland, Russland und die USA die wichtigsten Konkurrenten um die Ölvorräte der Welt. Heute sind es immer noch dieselben Länder (plus China, der Iran und Malaysia), nur dass die USA heute die auffälligste Rolle spielen. Dabei geht es in dem Großen Spiel nicht nur um das Öl als solches, sondern auch um die Arterien, die es auf den Weltmarkt pumpen: die Pipelines.


Pipelinepolitik

Auch Amerikaner, die sich für gebildet und gut informiert halten, wissen nichts von diesem Hintergrund. Sogar ich selbst weiß nur davon, weil mein Vater, als einer der ersten amerikanischen Meisterspione im Nahen Osten, in das Große Spiel verwickelt war und ihm als einer der ersten Amerikaner zum Opfer fiel. Sein rätselhafter Tod nach einem geheimen Besuch in Saudi-Arabien im März 1947 ist das Thema des Buches, das ich 2005 mit Gerard Colby veröffentlichen will. Im Folgenden ist eine kurze Zusammenfassung unserer Rechercheergebnisse abgedruckt. Ein Referat, dem wir den Titel »Pipelinepolitik: Wie die amerikanische Außenpolitik durch das Öl im Nahen Osten beeinflusst wird« gegeben haben. 

Wir begannen unser Projekt, indem wir untersuchten, was in dem Monat vor dem Tod meines Vaters im Nahen Osten und in Saudi-Arabien geschehen war. Ein Artikel der New York Times vom 2. März 1947 entpuppte sich als hervorragender Einstieg. »Pipeline for U. S. Adds to Middle East lssues« lautete seine Überschrift. Daneben war eine Karte abgedruckt, die »Eine neue Pipeline für den Nahen Osten« zeigte. 

»Bis 1950«, begann der Artikel, »werden über 100 Millionen amerikanische Dollar in einer Pipeline verbaut. Sie führt durch die arabische und syrische Wüste und die Territorien von vier Ländern im Nahen Osten und wird an der Mittelmeerküste enden.« Der Schutz dieser Investition, hieß es in dem Artikel weiter, »und die da- für erforderlichen militärischen und wirtschaftlichen Garantien werden unvermeidlich eines der Hauptziele der amerikanischen Außenpolitik in dieser Region werden, die schon jetzt ein Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik und eines der Zentren des Ost-West-Konflikts ist« [Hervorhebung der Autorin]. 

Der Artikel wird unter der Überschrift »Pipelines and Politics« fortgesetzt: »Der Bau einer Pipeline, einer der größten und längsten der Welt, bedeutet auch, dass außer Großbritannien nun auch Amerika starke Interessen im Nahen Osten hat. Die angloamerikanische Partnerschaft, die diese Woche erneut durch kleinliche Kritik in der Palästinafrage erschüttert wurde, wird entweder weiter gefestigt werden oder - eine andere Möglichkeit -, es werden neue Konfliktbereiche zwischen den beiden Ländern aufbrechen. Wenn es zu einer Festigung der Partnerschaft kommt, steht nicht zu erwarten, dass sich andere Mächte widerspruchslos mit einem angloamerikanischen de facto Monopol über das ÖL im Nahen Osten abfinden werden.« 

Als ich diesen Artikel las, erkannte ich, dass mehrere Staaten, darunter insbesondere Frankreich und die Sowjetunion, aber vielleicht auch Großbritannien, keineswegs glücklich darüber waren, dass die Amerikaner sich in Saudi-Arabien engagierten, um die Pipeline zu schützen. Genauso faszinierend wie der Artikel selbst war die neben ihm abgedruckte Karte. Sie zeigte nicht nur die geplante Route der transarabischen Pipeline, sondern auch eine ältere, verzweigte Pipeline, die das Öl des Irak zu zwei Häfen im Östlichen Mittelmeer brachte: nach Tripoli im nördlichen Libanon und nach Haifa in Palästina. Kurz gesagt, in nur einem Artikel erführen wir, dass das saudi-arabische und das irakische Öl über Pipelines direkt in den Libanon und nach Palästina flössen, zwei der konfliktträchtigsten Regionen der Erde. 

Diese Erkenntnis brachte uns auf den Gedanken, den Ursprung der Pipelines zu erforschen, die das irakische Öl ans Mittelmeer transportierten. Wie sich herausstellte, hatten sich Briten und Franzosen, nachdem sie mit dem ehemals osmanischen Besitz auf der arabischen Halbinsel und seinen mesopotamischen (irakischen) Ölvorräten den wertvollsten Preis für den Sieg im Ersten Weltkrieg errungen hatten, nicht auf einen einzigen Endpunkt der Pipeline einigen können, die das Öl ihrer neu gegründeten Irakischen Erdölgesellschaft auf die europäischen Märkte pumpte. Deshalb verzweigte sich die Pipeline in zwei Leitungen: Die nördliche transportierte das französische Öl durch das neu geschaffene französische Mandat Syrien und endete im christlich beherrschten Libanon, und die südliche transportierte das britische Öl durch die neu geschaffenen britischen Mandate Irak. Jordanien und Palästina. Sie endete in der Hafenstadt Haifa, die ab 1948 unter der Kontrolle europäischer Juden stehen sollte. 

Später erfuhren wir, dass die Grenzen von Jordanien eigens so gezogen wurden, dass die Pipeline auf jordanischem Gebiet verlief." Deutschland, wo man schon 1901 erkannt hatte, dass Mesopotamien ein »See von Petroleum« war,» förmlich durchtränkt mit Bitumen, Naphta und gasförmigen Kohlenwasserstoffen«, war natürlich der große Verlierer, gemeinsam mit seinem Verbündeten, der Türkei. So viel zur ersten Runde des Großen globalen Spiels, dem Kampf um die Beutestücke aus dem besiegten Osmanischen Reich. 

Die beiden Zweige der Pipeline, durch die das irakische Öl ans Mittelmeer gepumpt wurde, waren 1935 fertig. Vor ihrem Bau hatten die Europäer das Öl mit Tankern zu ihrer Industrie und ihren Kriegsmaschinen transportiert. Im Ersten Weltkrieg war die Verschiffung mit Tankern gefährlich geworden: Die Briten verloren in der ersten Hälfte von 1917 doppelt so viel Tonnage durch deutsche U-Boote wie im selben Zeitraum 1916. Die US-amerikanische Standard Oil of New Jersey verlor insgesamt sechs Tanker, und dass die Deutschen den für Shell fahrenden Oltanker Murex versenkten, war für sie nicht nur ein materieller, sondern auch ein psychologischer Erfolg: Die Murex war als erster Tanker durch den Suezkanal gefahren. Der Kanal war das geistige Kind des jüdischen Kaufmanns Marcus Samuel aus Ostlondon. Samuel tat sich 1882 mit den Rothschilds zusammen, einer der mächtigsten Bankiersfamilien Europas, die nördlich des Iran, im russischen Baku, gewaltige Ölreserven besaß. Samuel und die Rothschilds wollten beim Verkauf von Kerosin in Asien gegenüber Rockefellers Standard Oil einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Indem sie ihre Tanker durch den Suezkanal schickten, verkürzten sie deren Weg um 6400 Kilometer. Sie reduzierten ihre Transportkosten gewaltig und konnten so die Amerikaner unterbieten, die mit ihrem in Dosen abgefüllten Kerosin immer noch das afrikanische Kap der Guten Hoffnung umschifften. 

Im Jahr 1917 waren die im Weltkrieg eng verbündeten Briten und Franzosen sehr besorgt über die wachsende Ölknappheit. Der amerikanische Botschafter in London schickte im Juli ein verzweifeltes Telegramm nach Washington. Darin hieß es: »ln letzter Zeit wurden so viele Öltanker mit Treibstoff versenkt, dass dieses Land bald in eine gefährliche Lage geraten könnte. Selbst die britische Flotte wird dann vielleicht nicht mehr genug Treibstoff haben ... Es handelt sich um eine sehr schwere Bedrohung.« Der britische Kolonialminister richtete im Oktober einen ähnlich leidenschaftlichen Appell an das britische Unterhaus: »Sie haben vielleicht genug Männer, Munition und Geld, aber wenn Sie kein Öl haben... sind all Ihre anderen Vorteile von vergleichsweise geringem Wert.« Der Ölmangel in Großbritannien wurde so schlimm, dass die britische Regierung erstmals eine Ölpolitik entwickelte. Sie fand eine einzige Lösung für das Problem: mehr Tanker, und zwar amerikanische Tanker. Dies löste zwar das Versorgungsproblem, aber die Verschiffung von Öl, insbesondere aus dem Nahen Osten, war immer noch ein gravierendes Sicherheitsproblem. 

An dieser Stelle kommt ein zusätzlicher Kontext ins Spiel. Er hat mit Geographie und Ölbaronen zu tun und wirft ein neues Licht auf das Gelobte Land. Just in jenem Sommer 1917 verdoppelten nämlich einige der mächtigsten zionistischen Führer in Großbritannien ihre Anstrengungen. Sie hatten bei der britischen Regierung früher stets erfolglos um Unterstützung für die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina geworben. Nun jedoch betonten sie, dass ihr Projekt im strategischen und imperialen Interesse Großbritanniens liege. Der Suezkanal wäre nutzlos, sagten sie, wenn Mesopotamien den Deutschen in die Hände fiele. Die Juden in Palästina hatten sich bereits als verlässliche Informanten erwiesen, was die türkischen Truppenbewegungen betraf, und ihr Ring von Siedlungen um Haifa konnte sich als ähnlich nützlich erweisen. Am 19.Juni 1917 stattete Chaim Weizman, Präsident der Zionistischen Weltorganisation und der Jewish Agency, die die Interessen der Juden in Palästina vertrat, gemeinsam mit Lord Rothschild, einem großen Förderer der jüdischen Besiedlung Palästinas, dem britischen Außenminister Sir Arthur Balfour einen Besuch ab. Balfour war Churchills Nachfolger als Erster Lord der Admiralität gewesen, bevor er sein neues Amt angetreten hatte. Weizman und Rothschild sagten ganz offen, es sei höchste Zeit, dass sich die britische Regierung in einer offiziellen Erklärung für eine nationale Heimstätte der Juden in Palästina ausspreche. Balfour entsprach ihrem Willen, und der Rest ist Geschichte. Im November verabschiedete das britische Kriegskabinett auf Empfehlung der Regierung Ihrer Majestät die berühmte Balfour-Deklaration, die sich für »die Gründung einer nationalen Heimstätte des jüdischenvolkes in Palästina« aussprach. 

Premierminister Churchill gab später zu, dass die Balfour-Deklaration weniger von humanitärer Besorgnis über das Schicksal der europäischen Juden als von den strategischen Überlegungen der Kriegszeit motiviert war. Sie betrafen damals wie heute den Schutz des Suezkanals und der britischen Handelswege nach Indien. Balfours Vergangenheit als Erster Lord der Admiralität und seine Besorgnis über die Ölknappheit in den Jahren 1916/17 werden in den Geschichtsbüchern kaum je erwähnt, und normalerweise ist den Lesern der Balfour-Deklaration nicht bewusst, dass sie eigentlich ein Brief an Lord Rothschild war, der aus einer der reichsten Familien Europas stammte. Meines Wissens wurde auch die Tatsache, dass die britischen Handelswege auch Tankerrouten waren, nie genauer erforscht, vermutlich weil Großbritannien genau wie die USA seine Öl-Interessen stets unter Berufung auf die nationale Sicherheit geheim hielt. 

Zwei Beispiele für diese Geheimhaltungspolitik mögen genügen: Als Briten und Franzosen im so genannten Sykes-Picot-Abkommen das alte Osmanische Reich (einschließlich Mesopotamiens) unter sich aufteilten, blieb alles geheim, bis es durch die Russische Revolution ans Licht kam. Das Abkommen fiel den Bolschewiki in die Hände, und sie ließen seinen Inhalt an einen Reporter des Manchester Guardian durchsickern. Wie Philip Knightley in seinem Buch The First Casualty berichtet, »war die Veröffentlichung des Abkommens den Briten sehr peinlich, da sie den Arabern als Belohnung für deren Aufstand bereits die Unabhängigkeit versprochen hatten. T. E. Lawrence musste versuchen, den Arabern zu erklären, warum die Briten sie betrogen hatten.« 1920 schloss der alliierte »Rat der Vier« mit der Türkei einen Vertrag, durch den die Parzellierung der potenziell lukrativen arabischen Länder offiziell bestätigt wurde. Er wird in den meisten Geschichtsbüchern als Abkommen von San Remo bezeichnet, obwohl in zeitgenössischen Dokumenten des US-amerikanischen Außenministeriums von einem Öl-Abkommen von San Remo die Rede ist. 

Palästinas Bedeutung für die nationale Sicherheit Großbritanniens wurde, zumindest für die britische Regierung, noch größer, als sie sich für Haifa als Endpunkt der irakischen Pipeline entschied und dort die größte Raffinerie im östlichen Mittelmeer errichtete. Auch dieser Umstand wird von der Geschichtswissenschaft kaum oder gar nicht beachtet. 

Einig sind sich die Historiker allerdings darüber, dass Großbritannien, um seine Herrschaft im Nahen Osten zu sichern, im Ersten Weltkrieg das Gelobte Land zwei verschiedenen Völkern versprach: den Juden in der Balfour-Deklaration und den Arabern als Dank für ihre Unterstützung bei der Vertreibung der Türken (unter Führung der abenteuerlichen Gestalt des Briten »Lawrence von Arabien« und des Arabers Prinz Faisal). 

Hier liegt die Wurzel des gesamten Nahost-Konflikts. Sein Ursprung ist die Rivalität zwischen Kolonialmächten, deren Industrie — und deren Kriegsmaschinen — vom Öl und der Kontrolle über die Fördergebiete abhängig waren. Wenn wir nun noch einmal die New York Times vom 2. März 1947 zur Hand nehmen (den Artikel, der zwei Wochen vor dem Tod meines Vaters erschien), finden wir dort eine Weltkarte, die in verblüffendem Schwarz-Weiß-Druck zeigt, dass Großbritannien damals auf beiden Seiten des Persischen Golfs und bis hinauf zum Suezkanal fast jeden Quadratzentimeter Land kontrollierte — mit nur einer wichtigen Ausnahme: der Küste Saudi-Arabiens. Sie wurde von den »New Kids on the Block« kontrolliert, den Amerikanern. 

Trotzdem könnte man in einer amerikanischen Universitätsbibliothek Hunderte von Büchern aus den Regalen ziehen, die über den Nahost-Konflikt geschrieben wurden, und würde in ihren Registern verblüffend wenig Verweise auf Erdöl finden. Die meisten Amerikaner stellen nicht in Frage, dass das Öl sich in der Golfregion befindet und Israel keine Ölvorräte besitzt, obwohl Ölmächte häufig Ölquellen vertraglich geschlossen halten, bis eine bessere Zeit für ihre Ausbeutung anbricht. Dies gilt zum Beispiel für die Ölfelder im Westen des Irak, die jetzt als die große Beute des 21. Jahrhunderts betrachtet werden. Aber selbst wenn es wirklich kein Öl in Israel gibt, haben die amerikanischen Medien die Tendenz, unsere Aufmerksamkeit auf einzelne Staaten zu lenken, anstatt uns zu zeigen, dass deren Grenzen kaum eine Rolle spielen, wenn man sie wie die Ölbarone des 20.Jahrhunderts als eine einzige Ölregion betrachtet. 

Auch können die Amerikaner die Schuld am Nahost-Konflikt nicht allein den Europäern in die Schuhe schieben. Schon 1919 fragte Walter Teagle, der damalige Präsident von Standard Oil of New Jersey, ganz offen, »ob es irgendeine Möglichkeit gibt, sich an dem Ölförderspiel in Mesopotamien zu beteiligen«. Laut Aussage eines hohen Angestellten von Gulf Oil waren bis 1920 alle führenden Ölindustriellen in das amerikanische Außenministerium bestellt worden, wo man ihnen empfahl, »sich das Zeug [das Öl in Mesopotamien] doch zu holen« 1924 erklärte der neu gewählte Präsident Calvin Coolidge, dass »die Überlegenheit von Völkern auf dem Besitz des verfügbaren Petroleums und der daraus hergestellten Produkte beruhen kann«. Inzwischen stand Washington, wie die New Republik schrieb, »bis zu den Schultern im Öl ... Die Auslandskorrespondenten berichten von nichts anderem mehr. In den Hotels, auf den Straßen, beim Dinner ist Öl das einzige Gesprächsthema. Und im Kongress bleiben alle anderen Aufgaben liegen.« 

Am Ende wurde John D. Rockefellers Standard Oil of New Jersey als Belohnung für die amerikanischen Kriegsanstrengungen ein Anteil an der Irakischen Erdölgesellschaft zugesprochen. Doch erst im Zweiten Weltkrieg, in dem mein Vater als einer der amerikanischen Spionageabwehrexperten des Office of Strategie Services (OSS) im Libanon stationiert war, wurden die USA selbst zu einer großen Ölmacht im Nahen Osten. Dies hatten sie der Erschließung und Ausbeutung der saudischen Ölfelder durch die brillanten Ingenieure von Standard Oil of California zu verdanken. Inzwischen hatte man im (damals so genannten) Kriegsministerium, im Außenministerium und beim OSS begriffen, dass eines der wichtigsten Kriegsziele der USA die »Kontrolle des Öls um jeden Preis« sein musste. Es wurde nicht nur zur Versorgung ihrer Industrie, sondern auch als Treibstoff für ihre moderne Militärmaschine gebraucht, ein Punkt, der von Umweltschützern und Pazifisten oft übersehen wird, wenn sie sich für alternative Energiequellen einsetzen, um die USA aus ihrer Abhängigkeit vom Öl zu befreien. Wie es in der mitten im Zweiten Weltkrieg von der US-Regierung veröffentlichten Publikation World Oil, Fact und Policy richtig heißt, war »der Zweite Weltkrieg ein Krieg mit Öl und um Öl. Das Erdöl ist eine der wichtigsten Waffen in einem modernen militärischen Konflikt.« Noch prägnanter formulierte es der Präsident des American Petroleum Institute im November 1943 vor Kongressmitgliedern: »Öl ist Munition. Es ist das Geheimnis hinter den Geheimwaffen dieses Krieges ... Wir schweben in diesem Krieg nicht dem Sieg entgegen, wir erkämpfen jeden Zentimeter unseres Weges mit Öl — zu Lande, auf den sieben Meeren und in der Luft. Millionen Tote, ganze Völker, die in Armut gestürzt werden, und ganze Königreiche, die mit mechanischen Mitteln in die Erde gestampft werden, führen mit grausamer Klarheit vor Augen, dass in diesem Kampfmehr als jede andere Waffe das Öl über Leben und Tod der Zivilisation entscheidet.« 

Ein Großteil dieser Dokumente kam erst kürzlich ans Licht, als Akten des OSS und des Militärs freigegeben wurden, weil sie über 50 Jahre alt waren. Zum Teil sind die Informationen jedoch auch in den gebundenen Bänden der Foreign Reports of the United States (FR.US) enthalten, die in jeder großen amerikanischen Bibliothek oder Universitätsbibliothek stehen. Sie enthalten Berichte und Memoranden des US-amerikanischen Außenministeriums, in denen zahlreiche offizielle Berichte von Diplomaten an Washington zitiert werden. Zum Beispiel findet sich dort eine Einführung in die Politik des Nahen Ostens, die 1947 von einem britischen Diplomaten verfasst wurde. Darin heißt es: Der Nahe Osten ist »ein zentrales Ziel für jede Macht, die an globalem Einfluss oder globaler Vorherrschaft interessiert ist«, da die Kontrolle der Welt-Ölreserven auch die Kontrolle der Weltwirtschaft bedeutet. John D. RockefellerJr., der Erbe des großen Standard-Oil-Vermögens, formulierte es 1947 ein wenig anders: »ln den nächsten zehn Jahren könnte Europa von einer Kohle- zu einer Ölwirtschaft wechseln, und deshalb kann, wer immer im Nahen Osten am Ölhahn sitzt, das Schicksal Europas bestimmen.« lm Jahr 1956 war der Kampf zwischen Briten und Amerikanern um die Kontrolle des Öls im Nahen Osten so hart geworden, dass sich das Wall Street Journal veranlasst sah, folgende sensationelle Enthüllung zu veröffentlichen: »lm Unterhaus vertreten sowohl Sozialisten als auch Konservative die Ansicht, dass ein Großteil der Unruhen im Nahen Osten durch die >Rivalität< zwischen amerikanischen und britischen Ölinteressen verursacht ist. Außenminister Selwyn Lloyd besteht eisern darauf, dass dies nicht der Fall ist, aber privat räumen die Parteiführer ein, dass ihm die meisten Mitglieder des Parlaments nicht glauben. Auch in Gesprächen mit wichtigen Briten aus dem Ölgeschäft ist die Abneigung gegen die Aramco (Arabian American Oil Company) deutlich zu. Was wir heute erleben, ist Phase drei des »Großen Spiels um das Öl«. Es hat ursprünglich in den USA begonnen. Der Begriff wurde vom Gründer der Standard Oil,John D. Rockefeller, geprägt, als er Ende des 19. Jahrhunderts in den USA das Monopol bei der Raffinierung und dem Vertrieb von Öl zu erringen suchte. Zur gleichen Zeit wurde das Spiel in Übersee von den Briten und Russen um die Kontrolle der Ölfelder von Baku am Kaspischen Meer gespielt, bis ihm die Russische Revolution von 1917 ein Ende setzte. Danach waren die dortigen Ölfelder 70 Jahre lang für den Westen unzugänglich und wurden erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder interessant. Jede wichtige Phase des Großen Spiels fiel mit einem Weltkrieg zusammen, bei dem um die Anteile an einem geschlagenen Reich gekämpft wurde. Phase l folgte auf den Sieg der Alliierten im Ersten Weltkrieg und endete mit der Niederlage des Osmanischen Reichs, das mit Mesopotamien seine wertvollste Ölregion an die Briten und Franzosen und zu einem geringeren Teil auch an die Amerikaner verlor. Phase II war der Kampf um die Nachfolge des britischen Weltreichs während und nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Vereinigten Staaten ersetzten, vor allem dank ihrer Kontrolle über Saudi-Arabien, das stark geschwächte Britische Empire als wichtigste Ölmacht im Nahen Osten. In Phase III geht es um die weitere Expansion der US-amerikanischen Macht im Nahen Osten und in Zentralasien (wobei Großbritannien, das kein Weltreich mehr besitzt, nun eine Unterstützerrolle spielt). Diese Phase wurde durch den Zusammenbruch des sowjetrussischen Imperiums ausgelöst, und die amerikanische Expansion trifft auf den Widerstand der wieder erstarkten Industrienationen Frankreich und Deutschland, eines sich modernisierenden Russland und eines erwachten, sich industrialisierenden China.

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Das Große Spiel um den Irak

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Schon lange bevor der Krieg begann, versuchte die Regierung Bush ihr Interesse am irakischen Öl herunterzuspielen. »Das einzige Interesse der Vereinigten Staaten an der Region besteht darin, die Sache des Friedens und der Stabilität zu fördern«, sagte der Regierungssprecher Ari Fleischer vor einem Jahr. Er wolle »nicht einmal Vermutungen darüber anstellen, was das Militär tun oder lassen wird«, wenn die irakischen Ölfelder von Saddam Hussein befreit sind. Wie die Welt erfahren sollte, steuerte das amerikanische Militär jedoch schnurstracks auf die Ölfelder zu, sobald die Invasion begonnen hatte, und der frühere Chef von Shell und heutige amerikanische Staatsbürger Philip J. Carroll wurde zum Aufseher über die irakische Ölindustrie gekürt.
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Und wie wird das Öl auf den Markt kommen? Durch Pipelines, natürlich. Und eine der Pipelines, die heute in der Diskussion sind, könnte vielleicht die wieder geöffnete zwischen Kirkuk und Haifa sein, die 1935 gemeinsam von amerikanischen, britischen und französischen Ölfirmen erbaut und im Israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 geschlossen wurde oder eine neue Pipeline, die parallel dazu verläuft.
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Eigene Ergänzung:

[Zum Vergrößern bitte draufklicken]

http://www.cooperativeresearch.org/wot/iraq/mosulhaifapipeline.html


Grüne Linie=Pakistani proposed oil-pipeline; Braune Linie=pakistani proposed oil-pipeline
Aus:  http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/caspgrph.html#FIG2 und http://asia.cnn.com/SPECIALS/2001/trade.center/military.map.html
Siehe auch: http://www.miprox.de/USA_speziell/USA-Afghanistan-OEL.pdf
 



Michael Levine: Die großen Lügen im Kampf gegen die Drogen
 

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Ich war ein gut ausgebildeter und erfahrener Undercoveragent, der im Zweifelsfalle die Augen aufhielt und das, was er sah, dokumentierte, aber keine Handlungen ergriff- meiner Meinung nach einer der Gründe, warum ich noch am Leben bin. Und zu Beginn der 1970er-Jahre war kaum jemand in den Vereinigten Staaten in einer besseren Position als ich, die Entwicklung des Scheinkriegs gegen die Drogen zu beobachten und dokumentieren. 

Meine Einheit, die Hard Narcotics Smuggling Squad des US-Zolls, bestand aus sechzehn bis zwanzig Agenten. Unser Auftrag lautete, den Heroin- und Kokainschmuggel durch New York zu überwachen. Nahezu zwangsläufig war meine Einheit damals an der Untersuchung jedes größeren Drogenfalls in den USA beteiligt - und mussten wir nahezu ebenso zwangsläufig mit ansehen, wie die CIA Großdealer beschützte. 

Tatsächlich wurde in Südostasien während des gesamten Vietnamkriegs, während aus dem Goldenen Dreieck (das Grenzgebiet von Nordthailand, Laos und Birma) riesige Mengen an Heroin die USA überschwemmten und Zehntausende amerikanische Soldaten drogenabhängig nach Hause zurückkehrten, nicht eine einzige bedeutende Drogenfabrik von amerikanischen Fahndern aufgedeckt. Das war kein Zufall. Nach dem Vorbild von USA gegen Liang Sae Tiew und andere musste eine Operation nach der anderen abgebrochen werden, entweder aufgrund einer Intervention der CIA oder des Außenministeriums, und es gab rein gar nichts, was wir dagegen hätten unternehmen können. 

Wie wir ebenfalls in dieser Zeit erkannten, beschränkte sich die CIA längst nicht mehr nur auf den Schutz »ihrer« Drogendealer. Von der »Agency« betriebene Fluggesellschaften wie Air America wurden dazu benutzt, Drogen durch ganz Südostasien zu transportieren, vorgeblich zur Unterstützung unserer dortigen »Verbündeten«. Die Gewinne aus diesen Drogengeschäften wusch die CIA über ihre Bank- und Finanzgesellschaften rein. Die CIA lernte das Drogengeschäft, und sie lernte es schnell.
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Da ich fließend Spanisch spreche, wurde ich 1972 zu den Ermittlungen gegen einen großen internationalen Drogenring hinzugezogen, dem unter anderem hochrangige panamaische Beamte angehörten, die mit Diplomatenpässen ausgestattet große Mengen Heroin und andere Drogen in die USA schmuggelten. Im Laufe der Ermittlungen zeigte sich, dass ein Mann namens Manuel Noriega eine Schlüsselrolle spielte- und dass direkt hinter ihm die CIA stand und ihn vor dem Zugriff der amerikanischen Drogenfahnder schützte. Seit Präsident Nixons Kriegserklärung an die Drogen hat der Kongress die Haushaltsmittel für den Krieg gegen die Drogen ebenso zuverlässig wie die Steuern erhöht, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Parallel dazu nahmen die CIA und das State Department rund um die Welt immer mehr und politisch immer mächtigere Drogenhändler unter ihre schützenden Fittiche: die afghanischen Mudschahedin, die bolivianischen Kokainkartelle, die Spitzen der mexikanischen Regierung, hochrangige panamaische Geldwäscher, die Contras in Nicaragua, rechtsgerichtete kolumbianische Drogenhändler und Politiker und andere mehr.

Nach amerikanischem Recht galt (und gilt) der Schutz von Drogenhändlern als Verschwörung zum Handel von Drogen - und damit nach Bundesrecht als Kapitalverbrechen. »Jeder, der beim Drogenhandel in die andere Richtung schaut, ist ebenso schuldig wie der Drogendealer«, verkündete einst George Bush der Ältere in seiner Zeit als Präsident - derselbe George Bush, der nicht allzu viele Jahre zuvor als CIA-Chef die Aufnahme Manuel Noriegas auf die Lohnliste der CIA autorisiert hatte, obwohl der kleine Diktator bereits damals in bis zu 40 DEA-Datenbanken als Drogendealer geführt wurde. Insofern scheint es nur angemessen, dass die CIA ihr Hauptquartier nach George Bush benannt hat. 

So oder so, für uns Insider im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel stand fest, dass der Kongress entweder sehr genau über die Vorgänge Bescheid wusste oder aber hoffnungslos unfähig war. Ebenso klar war für uns, dass das Schutzprogramm der CIA für die internationalen Narco-Dealer in hohem Maße auf die Bauernfängerdienste der Massenmedien angewiesen war. 

Diese Dienste der Medien bestanden und bestehen darin: Erstens mit keinem Wort auf die riesigen Drogenmengen eingehen, die ungestraft in die USA geschleust werden. Und zweitens die Öffentlichkeit vom wahren Sachverhalt ablenken und sie davon überzeugen, dass der Krieg gegen die Drogen ein legitimer ist. Dazu wurden der Öffentlichkeit die wenigen Drogenlieferungen, die wir an den Grenzen abfangen durften, als bedeutende »Siege« verkauft, auch wenn wir damit in Wahrheit nicht mehr erreichten, als die Konkurrenten der ClA-Schützlinge auszuschalten.

Irgendwann fielen mir die unzähligen Drogengeschichten in den Medien auf. Fast im Wochentakt wurde - und wird - ein anderer »Drogenbaron« oder eine andere von Drogen korrumpierte Regierung als neue »Bedrohung« der amerikanischen Jugendlichen präsentiert. Jeder neue Fall - an vielen war ich selbst beteiligt - wurde mit einer Schlagzeile in der Art von »Erfolgreiche Aktion der US-Behörden gegen Drogenkartell XY« publik gemacht. Jedes Land und jeder nationale Führer, das oder den die CIA und das State Department verleumden wollten (sprich Castro und Kuba, die nicaraguanischen Sandinistas sowie überhaupt alle linken Guerillabewegungen), wurde unter Headlines wie »US-Quellen sagen, XY stellt neue Drogengefahr dar« öffentlich angeprangert. Ausländische Politiker und Regierungen, deren Ruf die CIA und das State Department sauber halten wollten (sprich Manny Noriega für zwei Jahrzehnte sowie Mexiko und jeden mexikanischen Präsidenten seit Unterzeichnung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens), bekamen Schlagzeilen wie »Washington lobt XY für neues Programm zur Drogenbekämpfung«

Daran hat sich bis heute nichts geändert: Die Medien erledigen ihren Job als Bauernfänger nach wie vor mit gewohnter Effizienz, und der Drogenkriegsschwindel verzeichnet ebenso kräftige Zuwachsraten wie der Drogenkonsum in unserem Land.
 

Der »Kokain-Putsch«

Am 17. Juli 1980 übernahmen zum ersten Mal in der Geschichte Drogenhändler faktisch die Kontrolle über ein ganzes Land. Dabei handelte es sich nicht um irgendein Land, sondern um Bolivien, zu der Zeit Ursprungsland praktisch des gesamten Kokains, das in die Vereinigten Staaten geschleust wurde. Der »Kokain-Putsch« war der blutigste Umsturz in der Geschichte Boliviens. Von der CIA rekrutierte Söldner und Drogenhändler - kollektiv als »Todesengel« bezeichnet- stürzten die Übergangspräsidentin Lydia Gueiler Tejada, eine (laut CIA) Linke, die Washington als Regierungschefin nicht genehm war. Die Drogenkartelle nutzten die günstige Gelegenheit, zusammen mit ihren Konkurrenten gleich auch noch alle mutmaßlichen DEA-Informanten zu eliminieren und den Kokaanbau und die Kokainproduktion zusammenzuführen, um die explodierende Nachfrage auf dem US-Markt besser befriedigen zu können. Aus diesen Anfängen heraus entstand eine Organisation, die unter dem Namen La Corporacion - Die Firma - bekannt wurde und gewissermaßen zur OPEC des Kokainhandels aufstieg. 

Unmittelbar nach dem Putsch wurde die Kokainproduktion sprunghaft ausgeweitet, bis nach nicht allzu langer Zeit das Angebot die Nachfrage überstieg. Das war der eigentliche Beginn der Kokain- und Crack-»Seuche«,wie die Medien und scheinheiligen Politiker dazu zu sagen nicht müde werden. Der 17. Juli 1980 ist ein Tag, der im Gedächtnis der amerikanischen Nation gleich neben dem 7. Dezember 1941 stehen sollte, als die Japaner Pearl Harbour überfielen. Man tut sich schwer, ein Ereignis in unserer Geschichte zu finden, dass dem amerikanischen Volk mehr und dauerhafteren Schaden zugefügt hat als der »Kokain-Putsch« in Bolivien. Was der amerikanischen Öffentlichkeit niemals gesagt wurde -obwohl die Massenmedien darüber Bescheid wussten und es einen hochrangigen Insiderinformanten gab, der bereit war, mit der Story an die Öffentlichkeit zu gehen-, war, dass der Putsch in Bolivien mit Hilfe und Unterstützung der CIA ausgeführt worden war. Besagter Informant hätte auch belegen können, dass die CIA sich, um den Putsch durchzuziehen und gleichzeitig ihre kriminellen Partner in der Drogenszene zu schützen, mit dem Außen- und dem Justizministerium zusammengetan hatte und eine DEA-Ermittlung -USA gegen Roberte Suarez und andere- hatte auffliegen lassen. Woher ich das alles weiß? Weil ich dieser Insiderinformant war.

Sämtliche Ereignisse, auf die ich mich hier beziehe, habe ich in meinem Buch The Big White Lie detailliert ausgeführt, ein Buch, das bis heute von den Massenmedien ignoriert wird - und zwar, wie ich hoffe in diesem Kapitel zu belegen, aus gutem Grund. Ich habe die in dem Buch vorgestellten Fälle in strikter Übereinstimmung mit den gängigen Techniken und Verfahren dokumentiert, wie sie an den vier bundesstaatlichen Polizeiakademien gelehrt werden, an denen ich ausgebildet wurde. Ich habe exakt dieselben Vorkehrungen getroffen, die ich auch getroffen hätte, hätte ich das Material zur Präsentation vor einem Gericht zusammengestellt, und habe jede Behauptung mit soliden Beweisen in Form von Zeugenberichten und auf Band aufgezeichneten Gesprächen untermauert. 

Im Buchhandel ist The Big White Lif vergriffen, kann aber in Bibliotheken ausgeliehen werden. Ich kann alle Leser, insbesondere solche, die in der Strafverfolgung und in juristischen Berufen tätig sind, nur auffordern, das Buch zu lesen und seinen Beweiswert selbst zu beurteilen. In den Monaten nach dem Staatsstreich in Bolivien verfolgte ich mit wachsendem Erstaunen die massive Berichterstattung der Medien über die Vorgänge. Nichts von dem, was gedruckt oder gesendet wurde, kam den wahren und leicht belegbaren Ereignissen auch nur annähernd nahe. Nur in einem Punkt berichteten die Massenmedien die Wahrheit: dass in der neuen bolivianischen Regierung Exilnazis wie Klaus Barbie und Drogenbosse vom Schlage eines Roberto Suarez saßen und dass die Macht und der Einfluss der Drogenwirtschaft in Bolivien weitaus größer war, als sich die US-Experten das hätten träumen lassen. Die wichtigste Tatsache aber -dass der Putsch von der CIA inszeniert und die bolivianischen Drogenbosse mit amerikanischen Steuergeldern an die Macht gehievt worden waren-, wurde in den Medien konsequent totgeschwiegen. 

Wie in meinem Buch ausführlich beschrieben, war es dieses Versäumnis der amerikanischen Medien, über das wohl bedeutsamste Ereignis in der Geschichte des Kriegs gegen die Drogen zu berichten, das mich dazu bewog, mein Schweigen zu brechen. Glauben Sie mir, ich war kein Held. Ich war ein Undercoveragent, der sich im System auskannte und keine unbedachten Risiken einging. Andererseits war es noch nicht allzu lange her, seit Woodwards und Bernsteins aggressive Berichterstattung über die Watergate-Affäre zu gerichtlichen Verurteilungen und Gefängnisstrafen für Verbrechen geführt hatten, die weit weniger schlimm waren als das, was ich zu berichten hatte. Die Medien schienen mir immer noch ein wenig Hoffnung zu bieten. Ich wollte einfach nicht glauben, dass sie es absichtlich unterlassen hatten, wahrheitsgemäß über den Kokain-Putsch zu berichten. Ich war bereit, ihnen die fehlenden Puzzlestücke zu liefern und mit der Wahrheit über den Krieg gegen die Drogen auszupacken. 

Der Fall Roberto Suarez, eine aufwändige verdeckte DEA-Operation, die wir gerade einmal zwei Monate vor dem Kokain-Putsch erfolgreich abgeschlossen hatten, birgt stichhaltige Beweise für die Beteiligung der CIA an dem Staatsstreich. Die Operation gipfelte in der Verhaftung der beiden bolivianischen Kartellführer Roberte Gasser und Alfredo Gutierrez vor einer Bank in Miami, nachdem ich den beiden acht Millionen Dollar für die damals größte Kokainlieferung in der Geschichte der USA übergeben hatte. Einige Elemente aus der Operation, die von den Massenmedien zum bis dato erfolgreichsten Undercovereinsatz im Krieg gegen die Drogen hochstilisiert wurde, fanden später Eingang in das Drehbuch für den Film Scarface mit Al Pacino. 

Was die amerikanische Öffentlichkeit dagegen erst aus meinem Buch erfuhr, war, dass Gasser und Gutierrez nur ein paar Wochen nach ihrer schlagzeilenträchtigen Verhaftung wieder auf freien Fuß kamen. Als ich auf meinem Posten in Argentinien erfuhr, dass just diese beiden Männer und ihr Drogenkartell eine Schlüsselrolle beim Kokain-Putsch in Bolivien gespielt hatten und die ganze Sache von der CIA inszeniert und unterstützt worden war, setzte ich mich hin und schickte anonyme Briefe an die New York Times, die Washington Post und den Miami Herald. 

Ungeachtet der Tatsache, dass die Briefe ausreichend Informationen enthielten, die belegten, dass es sich bei ihrem Verfasser um einen hochrangigen Informanten handelte, der weitere Informationen und Quellen nennen konnte, die einen guten Enthüllungsjournalisten schnell zur Wahrheit führen würden, passierte nichts.
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Derweil druckten die Massenmedien mit der Effizienz von Bauernfängern das ungefragt hervorgestoßene Geblöke aller Politiker, Bürokraten und sonstigen »Experten« ab, die sich darüber ausließen, dass aufgrund des Kokain-Putsches nun dringender denn je mehr Gelder, mehr Agenten und mehr Soldaten für den Krieg gegen die Drogen bereitgestellt werden müssten. Präsident Carter befahl der CIA gar ausdrücklich, sich am Kampf gegen die Drogen zu beteiligen. 

Auf diese Meldung hin beschloss ich -nur um mich später darauf berufen zu können-, bei der Botschaft in Buenos Aires einen kleinen Test durchzuführen, und bat den ClA-Stationsleiter, mir für eine Undercoveroperation in Buenos Aires eine Spionagekamera auszuleihen, »lch bin wieder am bolivianischen Kartell dran«, setzte ich hinzu. Ohne zu zögern oder auch nur einmal zu blinzeln, beschied der CIA-Mann mir, er habe nicht eine einzige Kamera verfügbar. Warum sollte er auch? Warum sollte die CIA mir bei einer Ermittlung helfen, die ihre »Partner« gefährden könnte, gleich wie gering dieses Risiko auch sein mochte? Ihre »Partner«, mit denen sie lateinamerikanische Regierungen beeinflussen, einschüchtern, kontrollieren oder stürzen konnte; ihre »Partner«, die mit Drogengeldern eigenständige und von der CIA inszenierte paramilitärische Operationen in der Region finanzierten. Der Kokainhandel stellte eine wichtige Finanzierungsquelle für die verdeckten Operationen der CIA dar. Indem die CIA Drogengelder statt vom Kongress bewilligte Mittel verwendete, konnte der Geheimdienst schalten und walten, ohne für seine Aktionen und Ausgaben der US-Regierung Rechenschaft ablegen zu müssen.
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Dann machte die Story die Schlagzeilen, die mich unwiderruflich zum Fahnenflüchtigen werden ließ, die Story, die mein Leben veränderte. Newsweek brachte eine Reportage von Larry Rohter und Steven Strasser über den bolivianischen Kokain-Putsch, die meiner Meinung nach die Wasserstoffbombe der Krieg-den-Drogen-Schauermärchen war, wenn nicht sogar die größte Krieg-gegen-die-Drogen-Abzocke aller Zeiten. Rohter und Strasser führten in dem Artikel nicht nur en Detail auf, wie der Kokain-Putsch in Bolivien mit Drogengeldern finanziert worden war, sondern wie mit Drogendollars seitdem auch Revolutionen in allen Teilen der Welt finanziert wurden. Wie viele dieser Revolutionen, fragte ich mich, wurden von der CIA unterstützt und von den amerikanischen Steuerzahlern mit finanziert? Und wie sollten Rohter und Strasser ohne einen Insiderinformanten, der sie in die richtige Richtung stieß jemals der Wahrheit auf die Spur kommen? Ohne groß nachzudenken, legte ich los.
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Ich setzte mich an meinem Tisch in der amerikanischen Botschaft und schrieb einen Brief, wie ihn zu schreiben ich mir nie hätte träumen lassen. Unter Angabe meines vollen Namens und Dienstgrads führte ich auf drei Seiten auf offiziellem Botschaftsbriefpapier ausreichend Belege für meine Behauptungen auf, um ein ganzes Wolfsrudel von Enthüllungsjournalisten damit zu füttern. Zudem erklärte ich meine Bereitschaft, mich als Quelle zitieren zu lassen. Ich adressierte den Brief an Newsweek, zu Händen von Strasser und Rohter, und verschickte ihn als Einschreiben mit Rückschein. Nach zwei Wochen bekam ich den Rückschein (den ich noch heute aufbewahre) und wartete voller Nervosität auf eine Antwort von den beiden. Zwei schlaflose Wochen später saß ich immer noch in meinem Büro in der Botschaft und starrte das Telefon an. Nochmals drei Wochen später klingelte es. 

Der Anruf kam von der Dienstaufsicht der DEA: Sie hatten eine interne Ermittlung gegen mich eingeleitet. Mir wurde, erfuhr ich, so ziemlich alles vorgeworfen, angefangen davon. Schwarzmarktgeschäfte betrieben und während einer Undercoveroperation Sex mit einer verheirateten DEA-Agentin gehabt zu haben, bis dahin, »im Büro laute Rockmusik laufen zu lassen und andere Botschaftsmitarbeiter zu stören«. Die Anschuldigungen waren völlig aus der Luft gegriffen, was aber nichts daran änderte, dass die Ermittlungen gegen mich mir das Leben in den nächsten vier Jahren immens erschwerten. Meine Karriere als Insiderinformant war zu Ende, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Dabei sollte ich weitaus mehr Glück haben als die meisten hochrangigen Denunzianten in Regierungsdiensten. Ich überlebte. Vielleicht auch deshalb, weil ich ein gut ausgebildeter Undercoveragent mit dem Überlebensinstinkt einer Kakerlake aus der Bronx war.
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Im DEA-Hauptquartier

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Gleich am ersten Tag meiner Rückkehr in den »Palast der Anzüge« in Washington, D.C., ich war der Kokainabteilung zugeteilt, rief mich ein Journalist von einer Nachrichtenagentur an. Wie hoch war der Anteil der in die USA geschmuggelten Drogen, so seine Frage, der an den Grenzen abgefangen wurde? Im Laufe meiner verdeckten Verhandlungen mit dem bolivianischen Kartell hatte ich erfahren, dass sie mit einem Verlust von unter 1 Prozent an den US- Grenzen kalkulierten. Bevor ich antworten konnte, sagte einer meiner neuen Kollegen, der das Gespräch mitgehört hatte, zu mir: »Sagen Sie ihm 10 Prozent. Das ist die [offizielle] Zahl.« Ich tat wie geheißen, und 10 Prozent war der Anteil, den der Journalist später für seinen Agenturbericht übernahm. 

So einfach war das. Dieser frei erfundene Prozentsatz wurde die nächsten zwei Jahrzehnte wieder und wieder zitiert, ohne dass auch nur ein so genannter Journalist auf die Idee gekommen wäre, die logische nächste Frage zu stellen: Wie können Sie überhaupt wissen, dass Sie 10 Prozent abfangen? Wer stellt diese Berechnung an und auf welcher Grundlage? Hier sollte angemerkt werden, dass diese magische Zahl erst jüngst drastisch erhöht wurde und inzwischen auch Hollywood unter die Bauernfänger gegangen ist. 

Als ich vor nicht allzu langer Zeit den Kinohit Traffic sah, fiel mir eine manipulierte Szene auf. (Vergessen Sie nicht, dass der Film mit der Unterstützung und in Zusammenarbeit mit den amtlichen Betrügern im Krieg gegen die Drogen gedreht wurde.) In der Szene inspiziert der von Michael Douglas gespielte »Drogenzar« einen Grenzübergang zwischen Mexiko und den USA. Er fragt einen (für den Film verpflichteten echten) Grenzbeamten, wie hoch der Anteil der an der Grenze abgefangenen Drogen ist. Die unpassend laut herausgebrüllte Antwort: »48 Prozent.« 

Von 10 auf 48 Prozent in 20 Jahren, und trotzdem gibt es heute mehr Drogen auf den Straßen als jemals zuvor? Der Film wurde mit einem Oscar ausgezeichnet? Wenn das keine Bauernfängerei ist, dann weiß ich auch nicht.
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Operation Hun und die South Florida Task Force

Ich verbrachte einen guten Teil des Jahres 1983 damit, zwischen einem Undercovereinsatz im Rahmen der »0peration Hun« und einem temporären Posten als Teamleiter der von Vizepräsident Bush eingesetzten South Florida Task Force hin und her zu pendeln.
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Darüber hinaus war ich Teamleiter der Einsatzgruppe auf dem Flughafen von Miami, eine Funktion, in der mir vierzehn bis sechzehn DEA- und Zollagenten unterstanden. Unsere Aufgabe bestand hauptsächlich darin, in den Fällen von am Flughafen geschnappten Drogenschmugglern Folgeuntersuchungen anzustellen. Das Problem mit den beiden Jobs und der South Florida Task Force überhaupt war, dass es sich dabei um eine für viel Geld inszenierte PR-Kampagne handelte, eine groß angelegte Bauernfängerei. 

Mit Hilfe der stets verlässlichen Medien gaukelten Vizepräsident Bush und sein Drogenzar Murphy der Öffentlichkeit vor, dass sich die Zahl der Drogenfahndungserfolge verdoppelt habe. Es gab keinen Sonntagmorgen, an dem Admiral Murphy -der »kleine Admiral«, wie wir ihn zu nennen pflegten- nicht auf zwei, drei oder sogar vier populären Nachrichtensendungen die Siegesfahne des Kriegs gegen die Drogen schwenkte. Die Medien betrieben in dieser Zeit eine gnadenlose Irreführung der Öffentlichkeit in Sachen Krieg gegen die Drogen. Prüfen Sie es nach, im Internet lässt sich das leicht recherchieren. Diese Siegesmeldungen von der Drogenfront wiesen nur einen Makel auf: Sie waren der reinste Betrug - erstunken und erlogen und leicht widerlegbar. 

Was der DEA, der Küstenwache und dem Zoll vor der Aufstellung der Task Force in Südflorida an Drogenschmugglern ins Netz gegangen war, wurde nun schlicht der Task Force zugeschrieben und als deren Erfolg hinausposaunt. In Wahrheit wurden nicht mehr Drogen abgefangen als zuvor. Ein, wenn überhaupt möglich, noch größerer Betrug war, dass seit Einsetzung der Task Force die abgefangenen Drogenlieferungen für die Haushaltsanhörungen im Kongress doppelt gezählt wurden. Fielen dem Zoll 500 Kilogramm Marihuana in die Hände, wurde der Stoff an die Task Force übergeben und dann von beiden, vom Zoll und von der Task Force, in ihren jeweiligen Jahresstatistiken für den Kongress ausgewiesen. Die Medienpunkte gingen samt und sonders an die Task Force des Vizepräsidenten, die Rechnung, wie immer, an die amerikanischen Steuerzahler. 

Kannten die Medien die Wahrheit und verschwiegen sie? Ich selbst gab unter der Hand mindestens einem Dutzend Journalisten, die anriefen und um Informationen baten, Tipps, und ich weiß von einigen Kollegen, die das ebenso hielten. Unsere Aussagen zu überprüfen hätte es nicht viel Recherchearbeit bedurft - nicht mehr als ein paar Anrufe bei den mit der Sache befassten Behörden. Andererseits, seit wann weihen die Bauernfänger ihre Opfer in ihre Tricks ein?
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Operation Trifecta - Deep Cover

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Unter dem Cover eines puertorikanisch/sizilianischen Mafiabosses gelang es mir, zusammen mit einem kleinen Kader von DEA- und Zollagenten die Topebene der Drogenszene in drei Ländern zu unterwandern: Bolivien, Panama und Mexiko. Bei der DEA hieß der Einsatz »Operation Trifecta«, beim Zoll »0peration Saber«. In Bolivien gelang es unserer fiktiven kleinen »Mafia«, einen Deal über die Lieferung von 15 Tonnen Kokain abzuschließen. Unser Lieferant in spe war das unter dem Namen La Corporacion firmierende Drogenkartell –eben das Kartell, dem die CIA 1980 in Bolivien mit an die Macht verhelfen hatte und von dem bis heute der Löwenanteil der in Kolumbien weiterverarbeiteten Kokapaste stammt. 

Versteckte Videokameras liefen, als ich Preis und Menge des Stoffes mit den Bossen des Kartells aushandelte. Nachdem das Geschäft besiegelt war, schickte ich Undercoverpiloten in den Dschungel von Bolivien, die überprüften, ob das Kokain tatsächlich vor Ort zur Lieferung bereitstand. Anschließend handelte ich mit hochrangigen mexikanischen Regierungsbeamten militärischen Geleitschutz für den Transit der 15 Tonnen durch Mexiko in die Vereinigten Staaten aus. Zu den Männern, mit denen ich persönlich verhandelte, gehörten der Oberst Jaime Carranza, der Enkelsohn des ehemaligen mexikanischen Präsidenten Venustiano Carranza, und ein Leibwächter des designierten neuen mexikanischen Präsidenten Carlos Salinas de Gortari.
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Im Laufe dieser Operation sammelte unser Team hieb- und stichfeste Beweise in Form von Video- und Tonbandaufnahmen, Beobachtungen aus erster Hand und Geheimdienstberichten, die eindeutig belegten, dass mexikanische Militärs und Mitarbeiter des designierten mexikanischen Präsidenten Salinas de Gortari planten, die mexikanische Grenze nach de Gortaris Amtsantritt und der Unterzeichnung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) für den Drogenschmuggel zu öffnen. Mehr noch, wir hatten Beweise, dass sie bereits angefangen hatten, ihren Plan in die Tat umzusetzen. 

Dabei fielen uns auch Hinweise darauf in die Hände, dass die korrupten mexikanischen Beamten, mit denen wir verhandelten, direkt an der Ausbildung der von der CIA unterstützten Contras beteiligt waren. Außerdem stießen wir auf bis dahin unbekannte persönliche Verbindungen zwischen amerikanischen Agenten (darunter mindestens einer von der DEA) und korrupten mexikanischen Beamten, von denen einige an der Folterung und Ermordung des DEA-Agenten Enrique »Kiki« Camarena beziehungsweise an der Vertuschung des Verbrechens beteiligt gewesen sein könnten. 

Vor allem aber hatten wir Beweise, dass die paramilitärische Operation der USA in der Andenregion (damals »0peration Snowcap«, heute »Plan Colombia« beziehungsweise »Andean Initiative«) ein vorsätzlicher Betrug am amerikanischen Volk und von Anfang an nicht darauf ausgelegt war, den Drogennachschub in irgendeiner Weise zu unterbinden.

Wie in Deep Cover ausführlich beschreiben, schaltete sich die CIA ein, sobald in Washington bekannt wurde, worauf wir gestoßen waren. Wir waren zu weit gegangen und mussten aufgehalten werden. Die Operation »Trifecta« wurde sang- und klanglos eingestellt, und die Drogenbosse, der in Panama sitzende Chefgeldwäscher der Drogenkartelle und die hochrangigen mexikanischen Regierungsbeamten, die wir praktisch schon im Sack hatten, kamen dank der CIA ungeschoren davon.
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Was ich an der Sache aber wirklich erschreckend und deprimierend fand, war: Obwohl ein Team amerikanischer Undercoveragenten stichhaltige Beweise für die massive Drogenkorruption innerhalb der mexikanischen Regierung und für ihre Beteiligung an der Folterung und Ermordung eines DEA-Agenten vorgelegt hatte, hatte der Kongress Mexiko im Krieg gegen die Drogen den Status eines »Kooperationslandes« gewährt. Mit anderen Worten, die korrupten mexikanischen Politiker wurden für ihre Verbrechen auch noch mit amerikanischen Steuergeldern belohnt. Damit nicht genug: Obwohl die »0peration Snowcap«,wie in Deep Cover fundiert belegt wird, ein bewusst inszenierter Schwindel war, weitete der Kongress den mit militärischen Mitteln geführten Krieg gegen die Drogen in Südamerika aus, ohne sich auch nur mit einer einzigen der von mir erhobenen Beschuldigungen auseinander zu setzen.
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Die Invasion in Panama

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Weil Noriega schon so lange unter dem Schutz der CIA stand und dieser Umstand so allgemein bekannt war, hatte bei der CIA niemand daran gedacht, dem DEA-Agenten Danny Moritz und dem Bundesstaatsanwalt Richard Georgie zu sagen, dass man die Hände von dem Kerl lassen sollte.
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So erfuhr die CIA [...] das nach zwei Jahrzehnten folgreicher Zusammenarbeit »ihr« Drogendealer, Manny »Ananasgesicht« Noriega, unter Anklage gestellt worden war. Damit hatte die CIA ein Problem am Hals, das den vollen Einsatz ihrer Augenwischer in den Massenmedien erforderte.

Am Abend des 20. Dezember 1989 saß ich vor dem Fernseher und sah mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen zu, wie Noriegas zur Festung ausgebautes Haus zusammen mit Chorillo, dem Innenstadtbezirk von Panama City, in Grund und Boden gebombt wurde. Das Bombardement war der Startschuss für die erste offene militärische Invasion eines Landes im Rahmen des Kriegs gegen die Drogen. Je nachdem, welcher Quelle man glaubt, kamen dabei Hunderte oder Tausende Panamaer ums Leben. Frauen, Kinder und Babys wurden von unseren besten und modernsten Waffen zerfetzt, verbrannt und durchlöchert. (Auf amerikanischer Seite kamen 26 Soldaten ums Leben, die meisten davon durch eigene Fehler.) Was für eine großartige Gelegenheit, unsere Tarnkappenbomber und Kampfjets auszuprobieren! Ich konnte mir nicht helfen, aber der Angriff erinnerte mich an die Bombardierung Guernicas durch die deutschen Nationalsozialisten. 

Ganz offensichtlich eine erfolgreiche Taktik. 
So viel Zerstörungskraft und so viele Tote, nur um einen Mann zu verhaften, der seine Drogengeschäfte nahezu zwei Jahrzehnte lang unter dem Schutz der CIA abgewickelt hatte. Wie, fragte ich mich, wollten die Generäle des Drogenkriegs und die CIA die Wahrheit hinter dieser grotesken Gräueltat verbergen? 

Die Bauernfänger der Medien eilten zur Rettung herbei. Binnen weniger Monate hatten sie Manuel Noriegas wahre Geschichte und seine Verbindungen zur CIA und DEA aus dem öffentlichen Bewusstsein geknüppelt und die Invasion zu einem wichtigen »Sieg« im Kampf gegen die Drogen uminterpretiert. So überzeugend war die Propagandakampagne, dass George Bush Senior, statt als Mitverschwörer angeklagt zu werden, in den Beliebtheitsumfragen kräftig zulegte. Der Vorsitzende der Republikanischen Partei Lee Atwater bejubelte den brutalen Angriff auf Panama sogar als »politischen Jackpot«.
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Atwaters zynischer Ausspruch vom »politischen Jackpot« war der Tropfen, der bei mir das Fass zum Überlaufen brachte. Da ich gerade meinen Rücktritt eingereicht hatte und mich (fälschlicherweise) relativ sicher vor Sanktionen fühlte, verschickte ich Artikel an alle Redaktionen und Sender, die mir einfielen. Mir war zwar bewusst, dass das, was ich da tat, von vornherein zum Scheitern verurteilt war, aber ich musste es einfach versuchen. In den alternativen Medien und dem damals gerade erwachenden Internet konnte man die Wahrheit zwar lesen, aber wer schenkte dem schon Beachtung? Solange die unabhängigen, kritischen Medien keinen Einfluss auf die Meinungsumfragen haben, haben sie auch keinen politischen Einfluss. Nach wie vor stehe ich vielen Männern und Frauen nahe, die ihr Leben lang gegen das Verbrechen gekämpft haben. Nach ein paar Drinks in der Geborgenheit eines vertrauten Wohnzimmers kommt irgendwann unweigerlich der Moment, an dem sie mit gesenkter Stimme eine Wahrheit aussprechen, die kein Mainstream-Journalist jemals aussprechen würde: Dass jeder normale Polizist für die Verbrechen, die Noriegas Beschützer begangen haben, schon längst in einem Bundesgefängnis vor sich hin modern würde und dass alle, die für die Invasion in Panama verantwortlich sind, als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt gehörten. Die Erkenntnis, dass wir mit unserem Schweigen mit Schuld daran trugen, dass die Geschichte sich immer wieder wiederholte, bestärkte mich darin, gegen das Propagandabollwerk der Medien anzurennen und der Öffentlichkeit die Wahrheit über Noriega zu erzählen.
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Die CIA als Drogenschmuggler-der Fall der venezolanischen Nationalgarde

Nehmen wir einmal, rein hypothetisch, an, die Central Intelligence Agency würde auf frischer Tat dabei ertappt, ebenso viel Kokain in die USA zu schmuggeln wie das Medellin-Kartell, und zwar in direktem Verstoß gegen die amerikanischen Gesetze und ohne jede politische Notwendigkeit? Wie würden wirklich unabhängige Massenmedien auf eine solche Situation reagieren? Nun, wir brauchen gar nichts anzunehmen, denn ebendas ist passiert. Irgendwann 1990 fing der US-Zoll am Miami International Airport eine Tonne Kokain ab. Hinter der Lieferung steckte, wie Zoll und DEA schnell herausfanden, die venezolanische Nationalgarde unter Führung von General Guillen. Der venezolanische General wiederum behauptete, auf Befehl und unter Schutz der CIA gehandelt zu haben, was die CIA, wenn auch zögernd, schließlich bestätigte. Zunächst schien es, als hätte die CIA -wie schon bei Noriega- einmal mehr vergessen, Zoll und DEA in ihre Machenschaften einzuweihen. Das war jedoch, wie sich zeigen sollte, nicht der Fall.
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Die Bauernfänger der CIA in den Redaktionen und Sendern sind bei weitem zahlreicher und einflussreicher als die gewöhnlichen Propagandisten des Kriegs gegen die Drogen, und in diesem Fall drohten beide Betrüger -CIA und die offiziellen Krieger gegen die Drogen-, mit Pauken und Trompeten aufzufliegen. Postwendend machte sich die Öffentlichkeitsabteilung der CIA an die Arbeit. Mit durchschlagendem Erfolg: Drei Jahre lang wagte niemand in den Vereinigten Staaten, etwas über die Story zu bringen.
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Erst 1993, als die Times erfuhr, dass 60 Minutes ebenfalls an der Story dran und fest entschlossen war, damit auf Sendung zu gehen, wurde die Sache als »druckreif« erachtet.
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Der Höhepunkt des Beitrags in 60 Minutes ist ein Interview mit dem damaligen DEA-Leiter, Bundesrichter Robert Bonner. Bonner gab gegenüber Mike Wallace Folgendes zu Protokoll: »Man kann nicht anders dazu sagen, Mike, das [was die CIA getan hat] ist Drogenschmuggel. Es ist illegal.« Dieses Urteil, enthüllte Bonner, beruhte auf dem Ergebnis einer geheimen gemeinsamen Untersuchung der Dienstaufsicht der DEA und der CIA. Ins selbe Horn wie Bonner blies die DEA-Agentin Annabelle Grimm, zur Zeit der fraglichen Ereignisse Länderattaché der DEA in Venezuela, als sie vor laufender Kamera aussagte, dass die CIA in direktem Verstoß gegen eine Vielzahl amerikanischer Gesetze große Mengen Drogen ins Land geschmuggelt hatte.
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Insgesamt, so ergaben meine Recherchen, hatte die CIA nicht nur weit mehr als die eine Tonne Kokain, mit der sie erwischt worden war, ins Land geschmuggelt -sondern 27 Tonnen. Die DEA hatte die CIA sogar ausdrücklich gewarnt, die Operation durchzuführen. Die angeblich der »lnformationsbeschaffung« dienende CIA-Operation sei nicht nur völlig abstrus, sondern stelle zudem eine kriminelle Verschwörung dar, die nach amerikanischem Recht mit bis zu lebenslänglichem Freiheitsentzug bestraft werden konnte. 

Von mindestens zwei CIA-Mitarbeitern, die die DEA-Warnung wissentlich missachtet und die groß angelegte Schmuggeloperation weitergeführt hatten, waren die Namen der DEA zur strafrechtlichen Verfolgung übermittelt worden. Statt sich aber auf diese Verbrecher zu konzentrieren, nahmen die DEA-Ermittler Annabelle Grimm und andere ins Visier. 

Während ich den Fall recherchierte, verbreitete der damalige ClA-Chef James Woolsey in jeder Fernseh- und Radioshow (darunter auch im öffentlichen National Public Radio), die ihn zu Wort kommen ließ, dass es bei der Operation zu keinerlei kriminellen Handlungen gekommen sei und es sich bei der ganzen Sache um einen »Ausrutscher..., eine aus dem Ruder gelaufene gemeinsame Operation von CIA und DEA« gehandelt habe.

Woolseys Erklärung stand in direktem Widerspruch zu der von Bundesrichter Bonner geäußerten Einschätzung. Die vorliegenden Beweise, versicherten mir meine DEA-Quellen, ließen nur einen Schluss zu: Der gelernte Anwalt Woolsey log, und die Massenmedien hielten ihm den Rücken frei. Jeder gute Journalist hätte tun können, was ich getan habe, aber mit Ausnahme der Reporter von 60 Minutes brachte keiner den Mut dazu auf. Gab es jemals eine wichtigere Nachrichtenstory als die, die mit Schlagzeilen wie »CIA verrät Amerika - Geheimdienst schmuggelt mehr Drogen ins Land als das Medellin-Kartell« oder »Der Krieg gegen die Drogen ein Billionen-Schwindel? « die Nation hätte aufrütteln können?
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John Kelly: Verschwiegene Verbrechen - Die CIA und das Gesetz

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Die Information, dass die CIA Verbrechen begeht stammt nicht von Amnesty International oder von Seymour Hersh - dem investigativen Journalisten, der das Massaker von My Lai aufdeckte. Sie stammt von der CIA selbst, wie der Geheimdienstausschuss im Repräsentantenhaus berichtete. »Der CS (der Clandestine Service der CIA) ist die Organisation der Geheimdienste, ja der Regierung, in der Hunderte von Mitarbeitern angewiesen werden, täglich rund um den Erdball schwere Verstöße gegen die Gesetze anderer Länder zu begehen«, heißt es in einem vom Stab des Ausschusses erstellten Gutachten. »Einer zuverlässigen Schätzung zufolge sind Beamte des DO (Directorate of Operations) täglich mehrere hundert Mal (also mindestens hunderttausend Mal im Jahr) mit extrem illegalen Aktivitäten beschäftigt.«

Man könnte meinen, der Kalte Krieg sei nie zu Ende gegangen. In dem zitierten Gutachten wurden die verdeckten Operationen der CIA zum ersten Mal offiziell zugegeben und als Verbrechen bezeichnet. Doch der Ausschuss betrachtete sie, ohne dies zu begründen, als wichtige Operationen im Interesse der nationalen Sicherheit. Mit anderen Worten, für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten ist es erforderlich, dass jedes Jahr über 100000 schwere Verbrechen begangen werden.
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Man sollte meinen, dass 100000 schwere Verbrechen pro Jahr eine wichtige Nachricht für die Medien wären, gleichgültig wie die CIA sie zu rechtfertigen versucht. Zumindest hätten sich Experten in der Presse darüber Gedanken machen können, wie diese Verbrechen die nationale Sicherheit der USA verbessern konnten, zu mal der Ausschuss sich mit dieser Frage nicht befasst hatte. Er hatte auch nicht geklärt, welchen Einfluss diese Verbrechen auf friedliche diplomatische Beziehungen haben könnten, noch hatte er ihre moralischen und juristischen Konsequenzen untersucht. Tatsächlich hatte er sogar angedeutet, es mache nichts aus, wenn Gesetze gebrochen würden, da es sich um die Gesetze anderer Staaten handle. Die Behauptung, im Interesse unserer nationalen Sicherheit müssten über 100 000 Verbrechen im Jahr begangen werden, ist als Aussage und Operationsgrundlage doch ziemlich krass, insbesondere da sich in der Welt mehr und mehr der Eindruck durchsetzt, dass die USA handeln, als gäbe es ein Gesetz für Amerika und ein anderes für den Rest der Welt. Obendrein könnten diese Verbrechen die nationale Sicherheit des USA sogar bedrohen, weil sie den USA Feinde machen. Welcher Staat rollt sich schon freiwillig auf den Rücken, stellt sich tot und akzeptiert widerspruchslos, dass die USA im Interesse ihrer nationalen Sicherheit seine Gesetze brechen?

Nicht ein einziges Wort von alledem stand in der Presse. Nicht einmal die alternativen Medien berichteten darüber, ein Versäumnis, das angesichts der Schwere der von der CIA begangenen Ver- brechen besonders beunruhigend ist. Wie das Gutachten vermuten ließ, wurden im Auftrag der CIA auch Morde begangen. 
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Andere Regierungsdokumente, darunter auch Berichte der CIA, beweisen, dass die Verbrechen der CIA Terrorismus, Mord, Folter und die systematische Verletzung von Menschenrechten umfassen. Die Dokumente beweisen auch, dass diese Verbrechen integraler Bestandteil einer bewussten Politik der CIA sind.
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Wie das IOB berichtete, setzten die von der CIA gedungenen Mörder und Folterknechte die Politik des Geheimdiensts durch. CIA-Beamte wurden belohnt und befördert, wenn sie möglichst viele dieser so genannten Informanten rekrutierten, selbst wenn diese eine kriminelle Vergangenheit hatten. Im Gegensatz zur Behauptung des Geheimdienstausschusses stellte das IOB fest, dass auch bestimmte US-amerikanische Gesetze, die die CIA betrafen, verletzt wurden. So berichtete der Generalinspekteur der CIA höchstpersönlich, hochrangige bezahlte CIA-Informanten hätten in Honduras eine Todesschwadron namens Bataillon 316 gegründet und geführt, die laut der Regierung von Honduras mindestens 184 Menschen ermordet habe." Laut einer geheimen Studie der CIA wurden die Szenarien von Guatemala und Honduras in ganz Lateinamerika kopiert und rund um den Erdball über 1000 »unappetitliche Charaktere« als Informanten eingesetzt. Selbst führende ClA-Mitglieder sollen verblüfft gewesen sein, wie viele Menschenrechtsverletzungen von CIA-Informanten begangen wurden. Die einzige Sorge, die den Geheimdienstausschuss bezüglich dieser brutalen CIA-Informanten und anderer Gesetzesbrecher der CIA plagte, bestand darin, dass sie vielleicht verhaftet und vor Gericht gestellt würden. Der Ausschuss empfahl der CIA keineswegs, mit ihren Rechtsverletzungen aufzuhören oder sie wenigstens zu reduzieren.
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In Reaktion auf die Sorgen des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, legte der Geheimdienstausschuss des Senats ein Gesetz vor, das CIA-Mitarbeitern, die auf Befehlverträge und internationale Abkommen verletzen, Straflosigkeit garantiert. Das ist klassische Nazi-Logik. Das Gesetz wurde von beiden Kammern des Kongresses verabschiedet und am 27. Dezember 2000 von Präsident Bill Clinton unterzeichnet. 

Es handelt sich um Paragraf 308 des Intelligence Authorization Act for Fiscal Year 2001. Er lautet: »Kein Bundesgesetz, das am oder nach dem Inkrafttreten des Intelligence Authorization Act for Fiscal Year 2001 einen Vertrag oder ein anderes internationales Abkommen für gültig erklärt, soll so ausgelegt werden, dass es eine ansonsten gesetzlich zulässige und autorisierte geheimdienstliche Aktivität der Regierung der Vereinigten Staaten oder ihrer Beschäftigten oder aller anderen Personen, die solche Aktivitäten im Namen und auf Anweisung der Vereinigten Staaten durchführen, für ungesetzlich erklärt. Es sei denn, ein solches Bundesgesetz würde sich ausdrücklich auf eine solche geheimdienstliche Aktivität beziehen.« 

Man muss erst einmal tief Luft holen, wenn man das liest. Wörtlich genommen heißt es, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten für die CIA oder irgendwelche Mitarbeiter der US-amerikanischen Geheimdienste nicht gilt, auch nicht für geheimdienstlich gedungene Mörder. Warum? Weil in der amerikanischen Verfassung steht, dass alle Verträge für das ganze Land oberstes Gesetz sind. Nicht nur Gesetz, sondern oberstes Gesetz: - ohne Ausnahme. 

Obwohl sich Paragraf 308 auf künftige Abkommen bezieht, wird er von der CIA, wenn die jüngste Geschichte nicht trügt, breit und rückwirkend interpretiert werden. Das heißt, der Dienst fühlt sich an das gesamte Völkerrecht nicht mehr gebunden. Welch tragische Folgen eine solche Immunität haben kann, zeigte sich, als im April 2000 über Peru ein Flugzeug mit amerikanischen Missionaren abgeschossen wurde. 1994 hatte der Kongress unter Missachtung des Völkerrechts ein Gesetz verabschiedet, nach dem die CIA Zivilflugzeuge abfangen durfte, in denen Drogen vermutet werden, und das ihren Mitarbeitern auch bei »Fehlern« absolute Straflosigkeit zusicherte. Der Flugzeugabschuss über Peru war eine von der CIA geleitete Operation. Der Geheimdienstausschuss des Senats räumte schließlich ein, dass die CIA für den Vorfall verantwortlich war, doch es wurden keine Anklagen erhoben oder sonstige Konsequenzen gezogen.

Eigentlich bezieht sich Paragraf 308 nur auf Verträge und internationale Abkommen, aber wie die Praxis zeigt, deckt er auch die Verletzung der Gesetze anderer Länder durch die CIA. So heißt es in einem Bericht der Föderation of American Scientists: »Ein Mitarbeiter aus dem Stab des Kongresses sagte, die neue Vorschrift (Paragraf 308) werde dringend gebraucht, da die CIA im Ausland routinemäßig strafbare Handlungen begehe.«
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Niemand steht über dem Gesetz. Niemand hat das Recht, irgendeine Person über das Gesetz zu stellen. Trotzdem erklärte der Geheimdienstausschuss des Senats, als er am 4. Mai 2000 den Paragraf 308 vorlegte, dass einige Gesetze für die CIA nicht gelten würden. Die Erklärung war eine Kopie der Aussage von Stanley Sporkin, dem früheren Chefsyndikus der CIA, dass einige Gesetze »für die US-Regierung keine Gültigkeit besitzen«. Mit anderen Worten, die CIA steht über dem Gesetz, und der Paragraf 308 hat diese Tatsache lediglich in ein offizielles Gesetz gegossen, damit CIA-Beamte, wie der Ausschuss es formulierte, »nicht durch die Unsicherheit belastet werden, dass Gesetze, die für ihre Handlungen nie Gültigkeit besitzen sollten, so interpretiert werden könnten«.

Auch in dieser Sache kam von den Medien kein Piep, obwohl die Geschichte weder ihre Werbeeinnahmen noch die Profite der Konzerne beeinträchtigt hätte. Ich sprach über das Problem mit Vernon Loeb, der für die Washington Post über die CIA berichtet. Er teilte meine Ansicht, dass der Paragraf 308 ziemlich besorgniserregend ist, genau wie die Tatsache, dass die Geheimdienstausschüsse zu dem Gesetz keine Anhörungen abhielten. Trotzdem schrieb er nichts darüber, obwohl er mehrere Artikel über den Intelligence Authorization Act veröffentlichte. 

Offensichtlich waren die Geheimdienstausschüsse der Ansicht, dass die de facto Immunität für die Verübung von 100 000 Verbrechen im Jahr und die de jure Immunität für die Verletzung von Verträgen noch nicht ausreichten, damit die CIA die nationale Sicherheit ordentlich schützen konnte. Also forderten sie, während sie Paragraf 308 durchdrückten, die Aufhebung sämtlicher Restriktionen bezüglich Anwerbung und Einsatz so genannter »unappetitlicher Charaktere«, auch wenn diese Informanten der CIA rund um den Erdball Morde und Terrorakte verübten.
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Die so genannten Restriktionen, die die Geheimdienstausschüsse aufgehoben sehen wollten, waren kaum der Rede wert. Es waren bloße Richtlinien für die Anwerbung von Informanten, die der damalige CIA-Direktor John Deutch erlassen hatte, als die Öffentlichkeit von den Aktivitäten eines besonders anrüchigen Charakters erfahren hatte.
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Es gab nur einen sechsmonatigen Anwerbestopp. Schon wenige Monate nach Einführung der Richtlinien verkündete der neue CIA-Direktor George Tenet dem Kongress, dass nicht ein einziger Bewerber abgelehnt worden sei. Danach verlangte der Kongress die Aufhebung von Deutchs Richtlinien und die aggressive Rekrutierung von Informanten. Tenet gehorchte nicht nur, sondern heuerte höchstwahrscheinlich auch einige der entlassenen Informanten wieder an. Und um wirklich zu zeigen, dass die gute alte Zeit von Mord und Totschlag wieder angebrochen war, verlieh er die Distinguished Career Intelligence Medal der CIA an Terry Ward, einen CIA-Agenten, der wegen seiner Rolle bei der Ermordung von DeVine, Bamaca und anderen entlassen worden war.

Ganz plötzlich hatten sich die »unappetitlichen Charaktere« in wichtige nachrichtendienstliche Quellen im Kampf gegen den Terrorismus verwandelt. Man bekämpfte den Teufel mit dem Beelzebub, rekrutierte Terroristen, um Terroristen zu fangen.
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Eine Untersuchung der CIA über die 1000 entlassenen Informanten hatte das Ergebnis, dass 90 Prozent von ihnen »nutzlos« waren. Andererseits existiert umfangreiches Beweismaterial dafür, dass die CIA selbst Informanten als Terroristen einsetzt.
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Wie erwähnt, hieß es im Gutachten des IOB, dass die Informanten der CIA in Wirklichkeit eine verbrecherische Politik des Geheimdiensts durchgesetzt hätten, anstatt nur Nachrichten zu beschaffen. Der frühere Botschafter Robert White teilt diese Ansicht. Er schrieb, dass Manuel Noriega in Panama, Oberst Julio Alpirez in Guatemala, General Gustavo Alvarez Martinez in Honduras, Oberst Nicolas Carranza in El Salvador und Emmanuel Constant in Haiti, die sich alle schwerer  Menschenrechtsverletzungen  schuldig machten, CIA-Informanten waren. Sie hatten »lukrative vertragliche Vereinbarungen mit der CIA, und zwar nicht weil sie besonders wichtige Informanten waren, sondern weil sie sich als bezahlte Einflussagenten für die von der CIA in ihren Ländern angestrebten politischen Ziele und Maßnahmen einsetzten.«
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White berichtete außerdem, dass die CIA in Haiti ihre eigene Politik zur Förderung des Terrors verfolgt habe, und zwar so extrem, dass sie »einen brutalen Verbrecher anheuerte und bezahlte, der Anhänger von Präsident Aristide verfolgte und ermordete«. Ähnlich verhielt es sich auch in Bosnien. Laut dem früheren Beamten im amerikanischen Außenministerium Richard Nuccio weigerte sich die CIA, Kriegsverbrecher und Terroristen in Bosnien zu identifizieren, als sie dazu aufgefordert wurde, weil dies ihre »Fähigkeit zur Rekrutierung beeinträchtigt hätte.« Nuccio berichtete außerdem, die CIA habe in Guatemala ihre eigene Politik verfolgt, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass sie weiterhin den Terrorismus unterstützte und damit die US-amerikanischen Friedensbemühungen sabotierte. »Die CIA widersetzte sich systematisch den amerikanischen Anstrengungen, den Bürgerkrieg zu beenden, indem sie sich weigerte, ihre Verbindungen zu den Folterknechten im guatemaltekischen Geheimdienst aufzulösen«, sagte Nuccio.
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Im Hinblick auf Paragraf 105 als möglicher Rechtsgrundlage für verdeckte Operationen fügte Houston hinzu: »Aus dem Kontext gerissen, und ohne dass man die Geschichte des Gesetzes kennt, sind solche Paragrafen fast jeder Interpretation zugänglich.« Genau das nutzte der Nationale Sicherheitsrat (NSC) natürlich aus. Im Dezember 1947 wies der NSC die CIA »gemäß Paragraf 102 (d), 5 des National Security Act« an, ein Programm der verdeckten psychologischen Kriegführung gegen die Sowjetunion zu starten. Im Juni 1948 berief er sich in der Direktive 10/2 erneut auf das Gesetz und erweiterte das Programm so, dass es auch paramilitärische Aktionen, wirtschaftliche Kriegführung und politische Aktionen mit einschloss. 1955 wurden das Programm wieder unter Berufung auf Paragraf 102 durch die NSC-Direktive 5412/2 abermals erweitert. 
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Als das Justizministerium Houstons Absichtserklärung von 1954 als unwirksam einstufte, setzte die CIA ihre Anstrengungen fort, gesetzliche Immunität gegen Strafverfolgung zu erlangen. Im Jahr 1981 drängte CIA-Direktor William Casey den Justizminister William French Smith in einem Brief, das amerikanische Strafrecht so zu reformieren, dass es allen Mitarbeitern der CIA für genehmigte Operationen strafrechtliche Immunität zugestand. Casey versuchte nicht einmal den Anschein zu erwecken, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit läge. Drei Jahre später versuchte er zu erreichen, dass die CIA von der Strafverfolgung gemäß einem geplanten Gesetz gegen Mordkomplotte ausgenommen würde. Der damalige Unterstaatssekretär im Justizministerium Mark M. Richard sagte vor dem Kongress aus, Casey sei leidenschaftlich gegen das Verbot von Mordkomplotten gewesen: »Casey wollte Garantien, dass autorisierte Aktionen des Dienstes nicht unter das Gesetz fallen würden.« Das Justizministerium gab nach und gab Casey in einem geheimen Brief die verlangten Garantien. Doch laut Richard »vertrat der Dienst die Auffassung, dass der Brief nicht akzeptabel sei, und war nur mit dem Gesetz einverstanden, wenn autorisierte Geheimdienstaktionen in einem speziellen Passus ausdrücklich von der Strafverfolgung ausgenommen wurden.«

Das Justizministerium weigerte sich, Caseys Forderung zu erfüllen, und verzichtete stattdessen darauf, die Bestimmung über Mordkomplotte in das Gesetz aufzunehmen. Casey hatte sein Ziel erreicht, denn es blieb in den Vereinigten Staaten weiterhin legal, ein Mordkomplott gegen eine Person in Übersee zu schmieden. Einige Monate später beteiligte sich Casey selbst in Washington an einer Verschwörung mit dem Ziel, Scheich Mohammed Fadlallah im Libanon zu ermorden. Nicht weniger als drei Todesschwadronen wurden gebildet, um den Scheich zur Strecke zu bringen. Am 8. März 1985 flog vor dem Gebäude mit Fadlallahs Wohnung ein Auto voll Sprengstoff in die Luft. 80 Unschuldige kamen ums Leben, 200 wurden verletzt. Fadlallah blieb unversehrt. Gegen die CIA wurden weder Ermittlungen eingeleitet noch Anklage erhoben.

Als die CIA mit ihren Bestrebungen nach de jure-Immunität gescheitert war, machte sie durch eigenwillige Interpretationen der Rechtslage und den Einsatz von »Findings« wieder ihre eigenen Gesetze. Ein »Finding« wird vom Präsidenten erlassen, wenn er zu dem Schluss kommt, dass eine Einzelperson oder eine Gruppe eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA darstellt und sich die CIA um diese Bedrohung kümmern sollte. In diesem Fall befiehlt der Präsident, dass die CIA in Aktion tritt, und informiert den Kongress. Wie der frühere Chefsyndikus der CIA Stanley Sporkin vor dem Kongress aussagte, »ist ein Finding der Beschluss des Präsidenten der Vereinigten Staaten, dass eine bestimmte -nicht bekannt gegebene- Aktivität in einem andern Staat im Interesse der nationalen Sicherheit liegt.«

Wie erwähnt ist dies keine Rechtsgrundlage und ganz gewiss nicht eine Genehmigung des Kongresses, die sämtliche verdeckten Operationen legalisieren würde. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Kongress manchmal gar nicht informiert wird und weil er gegen eine verdeckte Operation kein Veto einlegen kann. Sporkin enthüllte, dass die CIA und nicht der Präsident Findings formuliert, die auf bereits vorgeplante verdeckte Operationen passen. Diese Findings werden dem Präsidenten dann quasi als vollendete Tatsachen zur Unterzeichnung vorgelegt. Sporkin schrieb fünf Jahre lang Findings, ohne einmal mit Präsident Reagan zu reden, nicht einmal am Telefon. Er enthüllte auch, dass eine unbekannte Zahl verdeckter Operationen ohne Findings durchgeführt worden war und er selbst für mindestens eine wichtige verdeckte Operation ein Finding geschrieben hatte, als sie schon angelaufen war. Sporkin, der erste Richter, der je im CIA-Hauptquartier einen Amtseid leistete, fügte hinzu, dass dieses Finding eine »rückwirkende Ratifizierung« gewesen sei — ein Begriff, den es im Rechtswesen der Vereinigten Staaten nicht gibt.

Selbst wenn die Findings vorschriftsmäßig formuliert werden, haben sie keine Rechtsgrundlage. Nirgends steht geschrieben, dass der Präsident oder die CIA oder irgendjemand sonst auf der Grundlage eines mysteriösen, von der CIA geschaffenen Findings einseitig ein geheimes Regierungsprogramm oder eine Geheimoperation starten darf. Ein solches Verfahren ist nicht mehr und nicht weniger legal, als wenn der Justizminister einfach entscheiden würde, dass Schulgebete im nationalen Interesse liegen, und dann nur noch an diejenigen Schulen Mittel vergeben würde, die ein morgendliches Schulgebet einführen. Wie erwähnt hatte Lawrence Houston schon 1947 geschrieben, dass es für verdeckte Operationen der CIA keine Rechtsgrundlage gäbe, Punkt. Später fügte er hinzu, dass auch eine Anordnung des Präsidenten zur Durchführung verdeckter Operationen (die es immer wieder gegeben hatte) keine Rechtsgrundlage darstelle, zumal der Kongress über die Operationen nicht einmal Bescheid wisse, geschweige denn ihnen zugestimmt habe. Laut Houston war dieses Verfahren illegal. Die Formulierung und Unterzeichnung von Findings konnte die Operationen der CIA nicht legalisieren.

Aus Sporkins Aussage ging klar hervor, dass die CIA Findings einsetzt, um ihre eigenen Operationen durchzuführen und ihnen (wie ein Senator es formulierte) einen »legalen Anstrich« zu verschaffen. Sich bei verdeckten Operationen auf die Autorität des Präsidenten zu berufen ist eine illegale Verschleierungsaktion, denn auch der Präsident hat nicht das Recht, solche Aktionen zu genehmigen. Tatsächlich könnten viele Operationen der CIA nicht einmal vom Kongress autorisiert werden, weil sie Verbrechen und häufig sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Im Dritten Reich »autorisierte« Hitler die Operationen der Nazis. Doch das machte sie keineswegs legal, und für den Rest der Welt waren sie es auch nicht.
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Sporkin schilderte die Handlungen einer Regierung von wichtigem Männern, nicht einer Regierung, die sich an die Gesetze und die Verfassung gebunden fühlt. Solange die Entscheidung, Gesetze zu missachten, von der »richtigen Art von Leuten« getroffen wird, ist das in Ordnung, »lch wollte nur deutlich machen«, schloss Sporkin, »dass ... diese Anforderungen von ganz oben kamen ... Es waren sehr wichtige Entscheidungen, die da getroffen wurden, und sie mussten auf den höchsten Ebenen getroffen werden ... Sie würden auch nicht wollen, dass eine Regierung da operiert, wo -und ich will hier das Wort >untere Ebene< nicht benutzen... Aber wenn jemand, der kein hoher Beamter ist ... eine äußerst sensible Entscheidung trifft, die sich auf das ganze Land auswirken könnte. Solche [Entscheidungen] ... -sollten doch immer auf den höchsten Ebenen getroffen werden.«

Sporkin sah an keiner Stelle die Notwendigkeit, sich um den Rat oder die Zustimmung des Kongresses zu bemühen. Im Gegenteil, er machte klar, dass er und die CIA den Kongress und seine gewählten Mitglieder gar nicht als Autorität anerkannten. Die Entscheidungsträger auf »höchster Ebene«, die Sporkins Ansicht nach allein die notwendige Autorität besaßen, über verdeckte Operationen zu entscheiden, waren fünf Personen: der Direktor der CIA, der Verteidigungsminister, der Außenminister, der Justizminister und der Nationale Sicherheitsberater. Vielleicht war es nur ein Versehen, aber jedenfalls wurde der Präsident von Sporkin nicht genannt.
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Die erste Regierung Bush trieb die Abweichung vom geschriebenen Gesetz sogar noch weiter, indem sie Durchführungsverordnung 12333 neu interpretierte, die es der CIA generell verbot, Morde zu begehen. Diese Bestimmung wurde vom U.S. Army Judge Advocate General, dem obersten Anwalt des Militärs, in einem offiziellen juristischen Gutachten mit folgenden Worten praktisch aus der Welt geschafft: »... wenn der Präsident beschlossen hat, dass die fragliche(n) Person(en) eine solche Bedrohung für US-Bürger oder die nationalen Sicherheitsinteressen darstellen, dass der Einsatz militärischer Gewalt erforderlich ist, ist es legal möglich, (zum Beispiel) einen Luftschlag gegen diese Person oder Gruppe zu führen, anstatt ihre Gefangennahme anzustreben, und [dies] würde das Verbot der Ermordung nicht verletzen.«
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Die Idee, man könne die nationale Sicherheit schützen, indem man die CIA, oder irgendeinen anderen Teil der US-Regierung, von allen ethischen, gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorschriften entbindet, hat einen fundamentalen Fehler: Es ist ein qualitativer Sprung von der Verteidigung der Amerikaner gegen das »Reich des Bösen« zu der im Vietnamkrieg verfolgten Politik, ein Dorf zu zerstören, um es zu retten. Die Welt muss wissen, dass Letzteres nun das institutionalisierte Operationsprinzip der CIA ist, nicht nur das Fehlverhalten einiger Cowboys oder eigenmächtiger Agenten, und dass die CIA inzwischen gesetzlich bevollmächtigt ist, überall auf der Welt Verbrechen zu begehen. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, doch 100 000 Verbrechen pro Jahr machen die CIA zu einer kriminellen Vereinigung.
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Trotzdem gibt es in den Massenmedien kaum eine angemessene Berichterstattung über die CIA, von einer Analyse der Vorgänge ganz zu schweigen. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel, und wenn wirklich einmal jemand aus der Reihe tanzt, verbünden sich die anderen gegen ihn und mit der CIA und unterdrücken die Story oft schon, bevor sie eine breite Öffentlichkeit erreicht.
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Im Jahr 1984 war ich selbst an einer solchen Ausnahme beteiligt. Die Fernsehgesellschaft ABC engagierte mich, um an der Verfilmung einer Story über die Investmentfirma Bishop, Baldwin, Rewald, Dillingham & Wong (BBRD &W) mitzuwirken, die ich dem Sender verkauft hatte. BBRD & W hatte viel mit der CIA zu tun. Ich hatte dieselbe Geschichte zuvor schon an Newsnight von BBC geliefert, und sie wurde in einem 35-minütigen Beitrag ausgestrahlt, einschließlich eines Interviews mit mir. In derselben Sache hatte ich auch mit CBS zusammengearbeitet und dort ebenfalls ein Interview gegeben. Die Geschichte war vollständig dokumentiert, und niemand, auch nicht die CIA, konnte die Vorwürfe wiederlegen. Als CBS die Sendung ausgestrahlt hatte, bekam die Fernsehgesellschaft einen Anruf von der CIA. Der Anrufer versuchte mich schlecht zu machen, widerlegte aber keinen der Vorwürfe, die ich in der Sendung erhoben hatte.

Die Sendung bei ABC rief bei der CIA eine noch brutalere Reaktion hervor. In einem Teil des Berichts, der auf zwei per Video aufgezeichneten Interviews basierte, wurde der Vorwurf erhoben, die CIA habe die Ermordung des Präsidenten von BBRD & W, Ron Rewald, geplant, der amerikanischer Staatsbürger war. Die Sendung war kaum über den Äther gegangen, als die CIA die Rücknahme sämtlicher Vorwürfe forderte, sie aber nur dementierte, ohne irgendwelche Gegenbeweise vorzulegen. Im Zentrum des ganzen Aufruhrs stand Scott Barnes. Er hatte vor laufender Kamera ausgesagt, dass die CIA ihn aufgefordert habe, Rewald zu töten. Die CIA bestritt jede Verbindung mit Barnes. Aber später kam heraus, dass der Dienst früher bereits eine Zusammenarbeit mit Barnes zugegeben hatte.

Die BBC hatte Barnes am geplanten Tatort des Verbrechens aufgenommen. Sie besaß Beweise, dass er sich als Assistent des Gefängnispfarrers im Oahu Community Correctional Center auf Honolulu hatte anstellen lassen, dem Gefängnis, in dem Rewald einsaß und auf einen Prozess wegen Finanzbetrugs wartete. Barnes hatte an Rewald geschrieben und sich als »Pfarrer John Barnes« ausgegeben, um an den Häftling heranzukommen. In der Folge arbeitete Barnes als Freiwilliger in dem Gefängnis, gab die Arbeit jedoch wieder auf, als er erfuhr, dass er mit diesem Status keinen Zutritt zu der Abteilung des Gefängnisses bekam, in dem sich Rewald befand. Er wurde nun regulärer Gefängniswärter und besuchte das Büro des lokalen Leichenbeschauers. Dort gab er sich als Medizinstudent aus und informierte sich über giftige Drogen. Um diese Zeit forderte die CIA Barnes laut seiner eigenen Aussage auf, Rewald zu töten. Wie er sagte, weigerte er sich und floh von der Insel.

ABC lud die CIA ein, einen ihrer Vertreter in der Sendung sprechen zu lassen, doch sie lehnte ab. Nach der Ausstrahlung sprachen Vertreter des Geheimdiensts mit dem Chef von ABC-News David Burke. Sie waren nicht zufrieden mit der Sendung, legten jedoch keine Beweise vor, um die Vorwürfe zu widerlegen. Sie zeigten Burke lediglich ein paar Zeitungsartikel, in denen Barnes kritisiert wurde. Trotzdem war Burke so beeindruckt »von der Eindringlichkeit, mit der sie ihr Anliegen vorbrachten«, dass er anordnete, eine »Klarstellung« zu senden, in der Peter Jennings die abweichende Position der CIA darstellte, sich aber hinter die umstrittene Sendung stellte. Doch das reichte der CIA nicht aus. Der CIA-Direktor William J. Casey telefonierte mit Leonard H. Goldenson, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von ABC. In der Folge fanden drei Treffen zwischen Vertretern von ABC und (wer hätte das gedacht?) Stanley Sporkin, dem Chefsyndikus der CIA, statt. Am 21. November 1984 sagte Peter Jennings trotz der in der Sendung vorgelegten Beweise und obwohl sich ABC in einer zweiten Ausstrahlung hinter die Sendung gestellt hatte, dass ABC die Vorwürfe nicht mehr beweisen könne und »wir keinen Grund haben, das Dementi der CIA zu bezweifeln«. Jennings legte jedoch keine Beweise vor, die die Position der CIA untermauert hätten.

Am selben Tag reichte die CIA bei der Federal Communications Commission (FCC) eine von Stanley Sporkin verfasste offizielle Beschwerde ein, in der es hieß, ABC habe den Fall »absichtlich verzerrt« dargestellt. In der Beschwerde beantragte Casey, ABC die Lizenzen für die Ausstrahlung von Fernseh- und Radioprogrammen zu entziehen. Im Januar 1985 wies die Aufsichtsbehörde die Beschwerde rundweg ab, da die von der CIA vorgelegten Beweise nicht einmal ausreichten, um Ermittlungen einzuleiten. Im Februar reichte die CIA eine weitere Beschwerde ein und verlangte, die FCC solle wegen Verletzung der »Fairness-Doktrin« Bußgelder gegen ABC verhängen. Diese Doktrin schreibt vor, dass ein Sender »bei umstrittenen Themen von öffentlichem Interesse« beide Seiten zu Wort kommen lassen muss. Auch diese Beschwerde wurde letztlich abgewiesen. Es war das erste Mal in der Geschichte der USA, dass eine Regierungsstelle formell die Presse angriff. Trotzdem gab es keinen Aufschrei der Empörung.

In dieser Zeit machte Capital Cities Communications Anstalten, ABC zu kaufen. Casey war einer der Gründer des Unternehmens. Er saß bis 1981 im Vorstand von Capital Cities und war ihr oberster Rechtsberater. Er besaß damals 34755 Aktien von Capital Cities im Wert von etwa 7,7 Millionen Dollar, die er nicht, wie mit dem Kongress vereinbart, in einen so genannten blind trust eingebracht hatte. (Ein solcher Fonds wird von einem unabhängigen Treuhänder verwaltet, und der Besitzer weiß nicht, was gekauft oder verkauft wird). In der Zeitschrift L.A. Weekly, die neben der Village Voice die besten Berichte über die Geschichte brachte, hieß es, die Proteste der CIA wegen ABC und die Beschwerde bei der FCC »hatten das Ergebnis, dass der Kurs der auf dem freien Markt gehandelten ABC-Aktien fiel«. Tatsächlich lag der Kurs von ABC-Stammaktien im Oktober 1984 bei 67 Dollar. Am 1. November war er auf 64 Dollar gefallen und Ende November (kurz nachdem die CIA ihre Beschwerde bei der FCC eingereicht hatte) betrug er nur noch 59 Dollar. Als die zweite Beschwerde bei der FCC noch anhängig war, kaufte Capital Cities ABC für 3,5 Milliarden Dollar, eine Summe, die in der Wirtschaftspresse als »Spott- preis« bezeichnet wurde.

Außer Casey hatten noch zwei weitere Gründer von Capital Cities, Lowell Thomas und Thomas Dewey, intensive Kontakte zur Geheimdienst-Szene. Dewey hatte als Staatsanwalt in New York routinemäßig Verlegern mit Strafverfolgung gedroht, wenn sie Bücher über die CIA veröffentlichen wollten. Und er hatte tatsächlich die Publikation mehrerer solcher Bücher verhindert. Thomas Murphy, Caseys Freund und Chef von Capital Cities, hatte ebenfalls schon lange Kontakt zu Geheimdienstkreisen. Bevor er ABC kaufte, gewann er den Investment-Guru Warren Buffet dafür, 18 Prozent des fusionierten Unternehmens CC/ABC zu kaufen. Buffet kontrollierte damals Berkshire Hathaway, eine zwei Milliarden Dollar schwere Dachgesellschaft, die 13 Prozent der Washington Post Company besaß. In ihrem Vorstand saß Buffet, bis die Übernahme von ABC abgeschlossen war. Danach wurde er durch Murphys Freund, den Finanzier William Ruane, ersetzt. Berkshire Hathaway besaß auch große Anteile an den Nachrichtenmagazinen Time und Newsweek. Als Capital Cities zur Sendergruppe wurde, verkaufte es 50 Prozent seiner Kabel-TV-Systeme an die Washington Post Company. Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht verwunderhch, dass keines dieser Medien über die CIA-Geschichte berichtete. 
Selbst wenn die oben beschriebenen finanziellen Verbindungen nicht bestünden, wäre es unwahrscheinlich, dass diese Medien über die Story berichtet hätten, da sie seit Jahrzehnten korrumpierende Beziehungen mit der CIA unterhielten und mit ihr zusammenarbeiteten. Der Pulitzerpreisträger Carl Bernstein hatte dies schon am 20. Oktober 1977 in einem Artikel mit dem Titel »The CIA and the Media« im Rolling Stone dokumentiert.

Wie die Zeitschrift L.A. Weekly spekulierte, hatte Caseys Vorgehen gegen ABC womöglich den Zweck, dass der Sender nicht mehr ohne weiteres kritische Beiträge über die CIA bringen würde. Ich habe keinen hieb- und stichfesten Beweis, dass es diesen Zusammenhang gab, aber innerhalb weniger Monate nach der Übernahme wurde die gesamte Recherche-Abteilung von ABC aufgelöst, und der Mann, der die Rewald-Geschichte kommentiert hatte, erhielt den Auftrag, über Schönheitswettbewerbe zu berichten. Natürlich wurde auch mein Vertrag nicht verlängert.

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