Die Geschichte zweier angeblicher 'Massaker': Jenin* und Racak

(von David Edwards)

Erschienen am 2. Mai 2002 in Znet


 

“Meiner Ansicht nach müssen sich die Menschen in den Medien im Zweifelsfall auf die Seite der Menschlichkeit stellen u. nicht auf die Seite von Institutionen u. Macht”. (Zitat aus Schechters: ‘The More You Watch, The Less You Know’ (Je mehr du fernsiehst, desto weniger weißt du), S.36, Seven Stories Press, 1997).

Und auch der alte US TV-’Anker’ Walter Cronkite wollte uns Ähnliches weismachen. Der führende Intellektuelle der ‘New York Times’ hingegen, Thomas Friedman, bringt uns wieder auf den nüchternen Boden der Tatsachen zurück:

“Ob Sie es nun mögen oder nicht: wir befinden uns mitten im Krieg mit der ganzen Serbischen Nation (zumindest die Serben werden das so sehen), und wir müssen unseren Standpunkt klarmachen: für jede Woche, die ihr (Serben) das Kosovo verwüstet, werden wir euer Land um ein Jahrzehnt in die Vergangenheit zurückkatapultieren - indem wir euch pulverisieren. Ihr wollt 1950? Wir geben euch 1950. Oder soll’s 1389 sein**? Okay, ihr bekommt 1389.” (Thomas Friedman in der ‘New York Times’ vom 23. April 1999.)

Bevor er Polit-Chefredakteur der BBC wurde, erläuterte uns auch Andrew Marr, wie ‘wir’ vom ‘Kalten Krieg’ zum heißen 1999-Krieg mit Serbien gekommen sind:

“Nach der Eiszeit erhoben sich die Bestien. Wir waren darauf nicht vorbereitet. Die Vorstellung, daß unsere Männer in großer Zahl fallen könnten, entsetzt uns nun. Ebenso entsetzt uns die Vorstellung, den Feind töten zu müssen. Das kriegsgestählte Volk der Serben hingegen, wesentlich gefühlskälter u. anscheinend gleichgültig dem eigenen Tod gegenüber, kommt uns fast vor wie eine fremdartige Rasse - ebenso übrigens wie die Männer der KLA (‘Kosovo- Liberation-Armee = UCK)”. (Marr in: ‘War ist hell - but not being ready to go to war is undignified and embarrassing’ (Krieg ist die Hölle - aber den Krieg verweigern ist unehrenhaft u. entwürdigend), in ‘The Observer’ vom 25. April 1999).

Ex-CBS-Produzent Richard Cohen erläutert uns das Verhältnis zwischen Medien u. Politik folgendermaßen:

“Jedermann hält sich an die Spielregeln - wenn er denn nicht aus dem Spiel fliegen will” (Zitat: Schechter, siehe oben, S.39).

Und eine der wichtigsten ‘Spielregeln’ in diesem Sinne lautet eben: die Medien müssen dafür sorgen, daß die US-Regierung bzw. die Britische immer als die absolut Guten dastehen - als die Jungs mit den prima Absichten. Damit gibt man ihnen nämlich Carte blanche für den Krieg um die ‘Menschenrechte’. Das ist die immergleiche Leinwand, auf der (von den Medien) die Weltgeschehnisse ab- gebildet werden: eine erzeugte Illusion. Und man pflegt diese Illusion dadurch daß man die Verbrechen der eigenen Regierung bzw. die der Verbündeten beflis- sentlich übersieht; man pflegt sie, indem man bei der eigenen Regierung Moral als Hauptmotiv voraussetzt - wohlweislich verschweigend, daß auch Konzern-Interessen unsere Außenpolitik mitbestimmen. Man pflegt sie auch, indem (Kriegs-)Verbrechen lediglich als bedauerliche ‘Fehler’ hingestellt werden. Man pflegt diese Illusion, indem der Feind (grundsätzlich) als böse Bestie dargestellt wird, als tödliche Bedrohung, die unbedingt beseitigt werden muß - auch wenn’s schwerfällt: aber massive Gewalt ist in solchen Fällen nunmal ebenso bedauerlich wie unvermeidbar. Und man pflegt die Illusion nicht zuletzt, indem man eine Rhetorik anwendet, die begangene Grausamkeiten vernebelt u. in ein milderes Licht taucht - so daß sie der Öffentlichkeit gar nicht mehr so grausam vorkommen. Letzteres spielt sowohl im Alltag als auch in der Politik eine große Rolle: unsere emotionale Reaktion auf Ereignisse hängt nämlich entscheidend davon ab, wie wir sie ‘etikettiert’ bekommen: so erzeugt beispielsweise der Ausdruck ‘genozidales Massaker’ einen Horror in uns, den die schlichte ‘Menschenrechtsverletzung’ nie auslösen könnte.

Ganz am Rande ein paar Beispiele für das Obengesagte:

Am 24. Mai 2000 berichten auf ‘ITN’s 6:30 News’ die Reporter John Irvine u. Mark Austin von 900 Israelischen Soldaten, die während der 20jährigen Phase seit dem Israelischen Libanonfeldzug 1982 u. der darauffolgenden teilweisen Besetzung des Libanon getötet worden sind. Was die Reporter hingegen unerwähnt lassen, ist, daß im selben Zeitraum auch rund 20 000 Libanesen bzw. Palästinenser getötet wurden - das meiste davon Zivilisten. Nicht erwähnt wurde zudem, daß während dieser Zeit hunderttausende von Flüchtlingen ‘produziert’ wurden bzw. daß Beirut, die Hauptstadt des Libanon, sowie der Südlibanon weitgehend in Trümmer gelegt wurden.

Und 1979, als das Morden der Indonesischen Regierung (damals ja noch mit dem Westen verbündet) in Osttimor allmählich genozidale Ausmaße annahm - gab es da in der ‘New York Times’ oder in der ‘Washington Post’ auch nur einen einzigen offiziellen Artikel bzgl. der Krise? Amy Goodman: “(Die Nachrichtensender) ABC, NBC u. CBS ‘Evening News’ haben das Wort ‘Osttimor’ (in all der Zeit) nicht ein einziges Mal erwähnt, ebensowenig wie ‘Nightline’ oder ‘MacNeil Lehrer’ - nicht zwischen dem Tag der Invasion 1975 und dem 12. November 1991 - halt, doch, Walter Cronkite hat gleich am ersten Tag nach der Invasion einen Kommentar gesprochen, er dauerte ganze 40 Sekunden, und Cronkite stellt darin lediglich fest, daß Indonesien eben in Osttimor einmarschiert ist.” (Amy Goodman in: ‘Exception to the Rulers, Part II’ (Ausnahme von den Reglern, Teil II) in ZMagazine vom Dezember 1997).

Und 1999, als längst klar war, daß Indonesien in Osttimor Massenmörderbanden ausbildet u. bewaffnet - ‘Milizionäre’ - meinte BBC-Reporter Nicholas Witchell doch tatsächlich sagen zu müssen, daß die Indonesischen Truppen leider “nicht in der Lage sind, die Menschen in Osttimor zu schützen” (Witchell, ‘BBC 8:50 News’, vom 12. Oktober 1999). Tja ungefähr so, wie es der SS damals leider nicht möglich war, die Juden im Warschauer Getto ‘zu schützen’.

Manchesmal entlarvt sich die Propaganda (der Medien) aber fast schon selber:

Im Januar berichtete ITN, daß Britische Truppen nach Kabul entsandt worden seien, “...um Afghanistan davor zu bewahren, wieder zurückzufallen... ins Chaos”. (ITN ‘Evening News’, 10. Januar 2002).

Im April hieb Rory Carroll vom ‘Guardian’ in die gleiche Kerbe:

“Werimmer es auch ist, der derzeit versucht, Afghanistan zu destabilisieren, er macht seine Sache gut. Die kaputten Städte u. verbrannten Hügel - erst kürzlich befreit - erstarren wieder in Furcht u. Unsicherheit”. (Rory Carroll: ‘Blooddrenched warlords return’ (Die Rückkehr der blutgetränkten Kriegsherren) in ‘The Observer’ vom 14. April 2002).

Natürlich erstarren die ‘kaputten Städte u. verbrannten Hügel’ nicht erst in ‘Furcht u. Unsicherheit’ seit sie ‘kürzlich befreit’ wurden (was für ein Lapsus!). Hungersnot (durch die Bomben noch verstärkt), Gewalt u. zügellose Kriegs- herren sorgten ja schon lange dafür, daß die Menschen in Afghanistan nie Mangel an Furcht u. Unsicherheit hatten. Schon zwei Monate vor Carroll beispielsweise berichtete die Organisation ‘Refugees International’ (Flüchtlinge International):

“Eine neue Flüchtlingswelle aus Afghanistan beweist, daß es dort immer noch keine Sicherheit gibt. Im Moment warten fast 20 000 afghanische Flüchtlinge auf eine Möglichkeit, nach Pakistan zu kommen. Und laut UNHCR sind noch weit mehr unterwegs. Im gesamten bisherigen Jahr sind über 50 000 Afghanen nach Pakistan geflohen. Sie fliehen vor Kriminalität u. vor Kämpfen in ihren Dörfern, die eine reguläre Verteilung der Lebensmittelhilfe verhindern, auf die die Menschen nach Jahren der Trockenheit ja angewiesen sind.” (Aus ‘Refugees International’ vom 25. Februar 2002 : ‘New refugee flows from Afghanistan highlight lack of security’ (Neue Flüchtlingsströme aus Afghanistan weisen auf eine mangelhafte Sicherheitslage hin).

Einen Monat vor Carrolls Reportage, berichteten auch andere Humanitäre Organisationen über die Situation in Afghanistan u. stellten die Frage:

“Wie kann es sein, daß 8 Wochen nach Ende der schlimmsten Kriegshandlungen, Menschen in Afghanistan noch immer Gras essen müssen - und das nur einen Straßenkarten-Zentimeter von der Großstadt Mazar-i-Sharif entfernt?” (Jonathan Frerichs vom ‘Lutheran World Relief and Action by Churches Together’ (Evangelisches Welthilfswerk u. Aktion der Vereinigten Kirchen’ am 7. März 2002)).

Und nun stellen Sie sich mal vor, die Medien einer fremden Supermacht würden berichten, wie die Leute bei uns in Großbritannien Gras fressen müssen - nachdem sie nämlich durch Bomben ebendieser Supermacht u. deren Verbündeter von Furcht, Unsicherheit u. Chaos befreit wurden.

(Diese Spiegelverkehrung zeigt:) Wollen die Medien funktionieren, darf sich Wirklichkeit nicht mit Kernpropaganda vermischen - in diesem Falle heißt das: 1) Die Militäraktionen des Westens haben Afghanistan selbstverständlich von Furcht, Unsicherheit u. Chaos befreit, aber nun zerstören eben leider einige miese streitlustige Afghanen unsere gute Tat. 2) Die USA u. Großbritannien handeln selbstverständlich grundsätzlich u. immer im Sinne des Guten, u. Militärschläge, die der ‘Humanität’ dienen, sind in ihrem Ergebnis immer positiv. Diese Grundsätze (der Berichterstattung) müssen stets Beachtung finden. Denn wenn der nächste Haudrauf-Krieg kommt, müssen die Journalisten ja auf die zurückliegenden ‘erfolgreichen’ Militärinterventionen verweisen können - die die Situation der Menschen im Kosovo u. in Afghanistan doch sosehr verbessert haben (oder nicht?). Und die Öffentlichkeit wird ihnen auf den Leim gehen.

Die Berichterstattung über zwei angebliche ‘Massaker’ - das eine in Racak (Kosovo) 1999, das andere jetzt in Jenin - ist ein weiteres Beispiel für das oben Erläuterte:

Der Angriff auf das Flüchtlingslager Jenin durch die Israelische Armee begann am 3. April 2002 frühmorgens. Besiedeltes Gebiet im Herzen Jenins - 400 auf 500 Meter - wurde dabei völlig zerstört: Gebäude aus Stein, in denen rund 800 palästinensische Familien gelebt hatten: mit einen Schlag verschwunden. Die Palästinenser sprechen von 500 Toten; auf Israelischer Seite ist die Zahl der getöteten Soldaten mit 23 angegeben. Zum Zeitpunkt dieses Artikels hat man 50 tote Palästinenser namentlich identifizieren können. Die Zestörung sei “horrend jenseits jeder Vorstellung”, so der Nahost-Beauftragte der UNO, Terje Roed-Larsen, vor Ort in Jenin. Er fährt fort u. nennt was passiert ist, “einen Schandfleck, der für immer die Geschichte des Staates Israel belasten wird”. (Zitiert aus: ‘Once upon a time in Jenin - What really happened when Israeli forces went into Jenin?’ (Es war einmal in Jenin - Was ist wirklich passiert, als die Israelischen Truppen in Jenin einmarschiert sind?) Justin Huggler u. Phil Reeves in ‘The Independent’ vom 25. April 2002).

Ganz anders sieht es dagegen Peter Beaumont vom ‘Observer’. Nicht im geringsten zweifelt er daran, daß es in Jenin kein Massaker gab: 

“Die Anwesenheit der Leichen war natürlich irreführend. Am Freitag haben sie alle ausgelegen - aufgeschichtet wie übelriechende Holzscheite in ihren weißen Plastikhüllen - vor dem Haupthospital in Jenin (Stadt im Norden der West Bank) ... Schon das Gewicht ihrer Anzahl - allein 30 an diesem einen Nachmittag - wie sie so dalagen auf dem Boden -, das allein schon suggerierte: seht her, wir sind Massakeropfer. Aber ein Massaker - im herkömmlichen Sinne des Wortes jedenfalls - hat es im Flüchtlingslager Jenin sicher nicht gegeben. Welche Verbrechen hier auch immer begangen worden sind - und es sieht so aus, als wären es viele -, ein vorsätzliches u. geplantes Massaker an Zivilisten vonseiten der Israelischen Armee ist nicht darunter.” (Beaumont: ‘Brutal, yes. Massaker, no’ (Brutal, ja. Massaker, nein), in ‘The Observer’ vom 21. April 2002).

Etwas von der Dunkelheit, die Jenin umgibt, hat Beaumont mit seiner Aussage (unfreiwillig) dennoch erhellt; und auch Verurteilung schwingt mit - wenn auch nicht zu vergleichen mit der üblichen leidenschaftlich-alarmierenden Verurteilung, die insbesondere Feinden des Westens regelmäßig entgegenschlägt. ‘Vorsätzliches u. geplantes Massaker an Zivilisten’ (die Definition, die Beaumont gebraucht hat) ist tatsächlich eine mögliche Definition von ‘Massaker’. Aber von ‘Massaker’ spricht man durchaus auch, wenn Soldaten oder als Partisanen Verdächtigte ‘vorsätzlich u. geplant’ umgebracht werden.

Sehen wir nun, wie derselbe Peter Beaumont, ‘Massaker’ definiert hat, als er 1999 über Racak (im Kosovo) berichtete. Es ging dabei um die Frage angeblich durch Serbische Truppen getöteter albanischer Zivilisten (am 16. Januar 1999). Beaumont schrieb damals zusammen mit anderen ‘Observer’-Reportern Folgendes:

“Die Geschichte wird einst sagen, der entscheidende Moment (zum Handeln) für die Internationale Gemeinschaft war der 16. Januar 1999... Albaner, die nach einem Angriff Serbischer Sicherheitskräfte (zu ihren Häusern) zurückkehrten, fanden dort die Leichen derjenigen Männer vor, die sie zum Schutz ihrer Häuser zurückgelassen hatten. Die Toten von Racak - insgesamt 45, darunter auch ältere Männer u. Knaben - waren meist aus kurzer Distanz erschossen worden, manche waren nach ihrem Tod verstümmelt worden, die Augen ausgequetscht. Ein Mann lag ohne Kopf in seinem Hof. William Walker, US-Chef der ‘Internationalen Beobachtergruppe’, nannte die Sache “eindeutig ein serbisches Polizei-‘Massaker’”. (Peter Beaumont, Justin Brown, John Hooper, Helena Smith u. Ed Vulliamy: ‘High-tech war and primitive slaughter - Slobodan Milosevic is fighting on two fronts’ (Hochtechnologischer Krieg u. primitives Abschlachten - Slobodan Milosevic kämpft an beiden Fronten) in ‘The Observer’ vom 28. März 1999).

In seinen verschiedenen Artikeln über Racak, hat Peter Beaumont das Wort ‘Massaker’ immer wieder gebraucht:

“Feriz Brahimi kehrte in sein Dorf zurück, in dem er niemanden vorfand außer den Hunden. Denn nach dem Massaker will hier keiner mehr leben. Die, die dennoch zurückkehren - unter ihnen Brahimi, ein albanischer Schauspieler u. Komödiant - tun dies, weil sie feststellen wollen, ob ihre Häuser noch stehen”. (Beaumont: ‘How the end came’ (Wie das Ende kam), in ‘Guardian’ vom 6. Oktober 1999).

Und wie etliche andere Journalisten der Mainstream-Presse war auch Beaumont der Meinung, die Beweise um Racak seien nicht nur ausreichend zur Bestätigung des erhobenen Massakervorwurfs, sondern wiesen darüber hinaus sogar auf einen Genozid hin:

So schrieb das ‘Observer’-Team damals doch tatsächlich: “Seine (also Milosevics) Truppen haben in Serbien zwar keine Barracken mehr. Aber dafür durchstreifen sie hier im Kosovo Felder, Dörfer u. Städte - und betreiben ihre eigene Version einer balkanesischen Endlösung”. (Beaumont, Brown, Hooper, Smith, Vulliamy (siehe oben)).

Eine bemerkenswerte Aussage - in der Tat - wenn man bedenkt, was hier zur Disposition steht: der ‘Observer’ zieht damit bedenkenlos Parallelen zwischen den Aktionen der Serben u. einem der wohl furchtbarsten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte (Holocaust). Aber so richtig dreht sich einem erst der Kopf, wenn man weiter liest, wie der ‘Observer’ die Glaubwürdigkeit des Beweismaterials einschätzt, auf das er sich ja in seiner (‘Endlösungs’-)Aussage beruft:

“Ohne die humanitären Beobachter, die die südserbische Provinz (Kosovo) schon vor sieben Tagen verlassen haben u. ohne Journalisten - die ja bereits letzten Donnerstag aus dem Land geworfen wurden -, ist es unmöglich, den dunklen Geschichten auf den Grund zu gehen, die hier aufflammen”. (Siehe ebenda)

(Des Rätsels Lösung für diesen Widerspruch:) Serbien war ja der kommende offizielle Feind des Westens - also kein Problem für Journalisten, von einer ‘balkanesischen Endlösung’ als Tatsache zu sprechen - wohlwissend, daß niemand Fragen stellen würde (hätte jemand hingegen gewagt, von einer ‘Endlösung der USA im Irak’ zu sprechen, wäre das wohl eine ganz andere Sache gewesen, oder?).

Im Nachhinein hat sich durch die Ermittlungen des (Haager?) Tribunals, das die Kriegsverbechen im Kosovo ja untersuchen hat lassen, als Tatsache herausgestellt: es gibt lediglich Beweis, daß um die 4000 Menschen (eher weniger) im Kosovo getötet worden sind - alle Seiten zusammengenommen. Während der Monate, die dem Nato-Bombardement (auf Serbien) vorangingen, wurde das vermeintliche ‘Massaker’ von Racak immer wieder hervorgehoben - dabei gab es Opfer-Meldungen fast täglich. Im letzten Nato-Bericht vor den Bomben (22. Januar - 16. März 1999) wird auf dutzende Zwischenfälle hingewiesen - wobei ungefähr die Hälfte von ihnen auf das Konto der UCK u. lediglich der Rest auf das Konto der Serbischen Sicherheitskräfte ging. Die Zahl der Opfer war sich über die Monate gleich geblieben, das meiste davon waren Kämpfer. Schlimm genug das alles, sicher, sicher, aber ein Vergleich mit der ‘Endlösung’ der Nazis (an den Juden) ist doch einfach absurd. 

Aber kehren wir nun wieder zu Jenin zurück:

Eigentlich sollte man ja meinen, daß das (lebendig) in Grund u. Boden Bulldozern von Frauen, Männern u. Kindern, das Mißbrauchen (von Palästinensern) als ‘menschliche Schutzschilde’, die Blockierung medizinischer Hilfe für Verwun- dete, Gruppenexekutionen sowie die massive Zerstörung von fremdem Eigentum - daß das alles irgendwie mit jenem Gemetzel zu vergleichen wäre, das man ursprünglich in Racak vermutet hat.

Es gibt Tatsachen, die in diesem Zusammenhang für sich sprechen:

Während z.B. in Jenin sämtliche Beobachter von den Israelis ausgeschlossen wurden, fand die Serbische Aktion in Racak (quasi unter den Augen der Weltöffentlichkeit statt): in Racak - einer Hochburg der UCK - waren TV-Teams u. Beobachter der ‘Organisation für Sicherheit u. Zusammenarbeit in Europa’ (OSZE) ausdrücklich erlaubt u. auch vor Ort. In dem ‘Observer’-Artikel (von Beaumont u. Kollegen, auf den ich mich vorhin bezogen habe) wird William Walker, der Chef der OSZE-Kosovo-Kommission, als Gewährsmann für die Massakervorwürfe zitiert. Walker sagt:

“Es sieht aus wie eine Exekution. Ausgehend von dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, zögere ich nicht, das Ereignis als ‘Massaker’ zu bezeichnen - ganz offensichtlich handelt es sich hier um ein gravierendes Verbrechen gegen die Menschlichkeit”. (Zitiert aus: ‘Degraded Capability - The Media and the Kosovo Crisis’ (Eingeschränkte Möglichkeiten - die Medien während der Kosovo-Krise’, S. 118, Hrsg.:Phillip Hammond u. Edward S. Herman, Pluto Press 2000).

Was der ‘Observer’ zu erwähnen vergaß: dieser William Walker war derselbe William Walker, der 1989 unter Präsident Reagan US-Botschafter in El Salvador war - nämlich auf dem Höhepunkt des von den USA unter- stützten (nationalen) Gemetzels dort. Walker meinte anläßlich des Mordes der Salvadorianischen Armee an 6 Jesuiten, deren Hauswirtschafterin u. ihrer Tochter: “In Situationen wie diesen gibt es eben zuweilen Management-Kontroll- Probleme “. (siehe ebenda, S.118) Und Walker warb auch generell um Verständnis für die (großen) Massaker an unbewaffneten Zivilisten, veranlaßt durch die Salvadorianische Regierung: “In emotionsgeladenen, zornerfüllten Zeiten wie diesen, passieren diese Dinge nunmal”. (siehe ebenda S.118). Walkers Karriere während der Achtziger - als er wie beschrieben die Verbrechen der US-Administration zu verteidigen hatte -, muß meiner Meinung nach unbedingt Erwähnung finden - zumal es sich ja um sein Urteil bzgl. angeblicher Serbischer Greuel handelt.

Seltsam auch dies: der ‘Guardian’ u. andere britische Medien haben immer wieder davon berichtet, daß die Serbische Regierung, Leichen fortschaffen ließ - aber niemandem fiel auf, daß die Serben es ausgerechnet in Racak offensichtlich nicht taten. Der fanzösische Reporter Christophe Chatelet, der kurz nach den Kämpfen in Racak ankam, fand den Ort völlig ruhig vor. Er unterhielt sich mit OSZE- Beobachtern, die einigen alten Personen halfen u. die ihm mitteilten, es wäre nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Keine Anzeichen eines Massakers also.

Der ‘Guardian’ u. der ‘Observer’ hatten sich zudem dazu entschlossen, im Jahr 2001 einen Bericht in der deutschen ‘Berliner Zeitung’ einfach zu ignorieren. Hier die Zusammenfassung, die die ‘Deutsche Presseagentur’ damals herausgab:

“Finnische Forensik-Experten, die die Umstände des Tods von rund 40 Menschen vor zwei Jahren im Dorf Racak im Kosovo untersucht haben, geben in ihrem Abschlußbericht bekannt, daß sie keinerlei Beweise für ein Massaker durch die Serbischen Sicherheitskräfte finden konnten, das berichtete am Mittwoch eine deutsche Zeitung”. (‘Deutsche Presseagentur’ vom 17. Januar 2001: ‘Finnish experts find no evidence of Serb massacre of Albanians’ (Finnische Experten finden keinen Beweis für ein Serbisches Massaker an Albanern)).

Dieser Abschlußbericht stammt von einem Team finnischer Forensik-Experten, unter Helena Ranta, das von der EU mit der Untersuchung der Tötungen im Frühjahr ‘99 beauftragt worden war. (Ergebnis:) Erstens war das Expertenteam nicht in der Lage zu bestätigen, daß die Toten überhaupt Dorfbewohner von Racak gewesen waren. Das Team war auch nicht in der Lage, die Geschehnisse bis zur Autopsie zu rekonstruieren, selbst der exakte Ort der Tötungen sei nicht mehr feststellbar gewesen. Außerdem habe nichts dafür gesprochen, daß die Getöteten nach ihrem Tod verstümmelt worden seien. Die 40 Leichen, die untersucht wurden, hätten zwischen einem u. zwanzig Einschußlöchern (Schußwunden) aufgewiesen. Nur in einem Fall seien zudem Schmauchspuren gefunden worden, was auf eine Exekution hinweisen könnte. Die ‘Deutsche Presseagentur’ sagt, das Belgrader Regime habe damals (zum Zeitpunkt des ‘Massakers’) als Erklärung angegeben, bei den Toten handle es sich um getötete UCK-Rebellen, u. die UCK habe die Szenerie arrangiert, um den OSZE-Beobachtern zu suggerieren, hier sei ein Serbisches Massaker verübt worden. Die Leiterin des Expertenteams, Frau Ranta, bezeichnet Racak als ein “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”, fügt allerdings gleichzeitig hinzu, daß sie grundsätzlich “alle Tötungen” für Menschenrechtsverbrechen halte. (Zitiert aus: Edward Herman, ‘The Milosevic Trial (Part 2): Media And New Humanitarian Normalization Of Victor’s Justice’ (Das Milosevic-Tribunal (Teil 2): Die Medien und die neue Normalität von Siegerjustiz im Kampf um die Menschenrechte’), erscheint demnächst in ZMagazine). Dieser Abschlußbericht der finnischen Experten wurde nie publik gemacht - was laut Herman den Schluß nahelegt, daß er ganz einfach nicht der offiziellen Version über ‘Racak’ entsprach.

Erinnern wir uns: Der Journalist Beaumont (plus Kollegen) vom ‘Observer’ sowie auch andere Journalisten hatten Racak damals als “den entscheidenden Moment” im Konflikt zwischen Serbien u. dem Westen bezeichnet.

Racak hat dem Westen folglich den Vorwand geliefert, nach dem dieser suchte - um nämlich seinen Angriff auf Serbien zu starten. Allan Little vom ‘Sunday Telegraph’ zitiert (die damalige US-Außenministerin) Madeleine Albright. Nachdem diese vom angeblichen ‘Massaker’ in Racak gehört hatte, soll sie zu Sandy Berger, dem damaligen nationalen Sicherheitsberater der US-Regierung, gesagt haben: “Dieser Frühling ist aber bald gekommen”. (Little: ‘How Nato was sucked into the Kosovo conflict’ (Wie die Nato in den Kosovo-Konflikt hineingezogen wurde), ‘Sunday Telegraph’ vom 27. Februar 2000).

Die Größenordnung des Betrugs durch die Mainstream-Presse schätzt der Wissenschaftler Philip Hammond (im Falle ‘Kosovo’) folgendermaßen ein:

“Die wirkliche Zahl getöteter Menschen werden wir wohl nie erfahren können. Aber es spricht einiges dafür, daß eine Anzahl Menschen bei Gefechten zwischen der UCK u. den Jugoslawischen Streitkräften ums Leben gekommen ist... das Bild jedoch, das die Nato zeichnete, daß nämlich vonseiten der Serben ein systematischer Genozid in Nazi-Manier durchgeführt wurde, das ist reine Erfindung.” (Hammond u. Herman, Hrsg. siehe oben, S.129).

Jetzt zum Vergleich zurück nach Jenin.

Laut der Israelischen Zeitung ‘Ha’aretz’ hat auch der Israelische Außenminister Schimon Peres die Aktion der Israelischen Streitkräfte in Jenin ursprünglich als ‘Massaker’ bezeichnet. Und Israelische Offiziere, die nicht genannt werden wollen, sollen gesagt haben: “Wenn die Welt sieht, was wir hier angerichtet haben, wird uns das sehr schaden”. (Zitiert aus: ‘Did Israel Perpetrate a ‘Massacre’ in the Jenin Refugee Camp?’ (Hat Israel im Flüchtlingslager Jenin ein ‘Massaker’ verübt?) Von Mouin Rabbani auf www.zmag.org am 25. April 2002).

Der Forensische Pathologe Derek Pounder - vor kurzem mehrere Tage im Flüchtlingslager Jenin (als Teil eines ‘Amnesty-International’-Teams) - stellt klar: “Es ist einfach nicht wahr” - nämlich daß die meisten der Getöteten Kämpfer gewesen seien. “In Jenin”, so Pounder weiter, “sind ganz sicher Massentötungen begangen worden - sowohl an Kämpfern als auch an Zivilisten”. (siehe ebenda).

Am 25. April schrieben Justin Huggler u. Phil Reeves im ‘Independent’:

“Es sieht so aus, als ob mindestens mehrere dutzend getötete palästinensische Zivilisten Opfer einer Strategie vorsätzlicher u. unterschiedsloser Gewalt waren - (kombiniert mit unverhältnismäßiger u. exzessiver Gewalt u. das auch noch in dichtbesiedeltem Gebiet). In einer Reihe von Fällen geschah dies offensichtlich aus purer Rachsucht. Dies gilt vor allem für das Verhalten der Heckenschützen, für die Gruppenexekutionen u. nicht zuletzt für die systematische Blockade von medizinischen Rettungs- bzw. von Bergungseinsätzen (diese systematische Blockade dauerte ja von Beginn der Militäroperation bis lange nach Ende aller Feindaktivitäten). Viele würden die Summe dieser Maßnahmen - u. die bitteren Resultate, die sie zeitigten -, als ‘Massaker’ bezeichnen, besonders, wenn es tatsächlich stimmt, daß Israel heimlich Leichen weggeschafft bzw. in Massengräbern verscharrt hat. Andere würden vielleicht nicht ganz so weitgehen u. das alles lediglich als ‘Greueltaten’ bezeichnen.” (Huggler u. Reeves: ‘Evidence of a Massacre’ (Beweis für ein Massaker) in ‘The Independent’ vom 25. April 2002).

Gore Vidal hat einmal ironisch darüber geschrieben wie die US-Medien es schafften “ein Bild zu entwerfen von Amerika, der Schönen auf ihrem Hügel, beneidet von allen u. Opfer von Terroristen - die einfach nicht ertragen können, daß es so einen Ausbund an reiner Tugend überhaupt gibt, u. daß dieses Gute auch noch triumphiert in einer Welt, die doch eigentlich ihrem Herrn u. Meister gehören sollte - dem Sohn des Morgens selber: Satan”. (Gore Vidal, zitiert in: ‘Why, America?’ (Warum, Amerika?) von William Blum in ‘The Ecologist’, Dez.2001/Jan.2002)

Und auf ganz ähnliche Weise versuchen auch unsere britischen Medien ein Image zu kreieren - mit einem zusätzlichen Schwerpunkt darauf, die ‘gute’ Britische Regierung als diejenige Kraft hinzustellen, die es schafft, die gleichfalls ‘gute’ aber manchesmal halt eben ein bißchen ungestüme US-Regierung (ihre Verbündete) ständig mäßigend zurückzuhalten.

Das Leid, das die ‘Feinde’ des Westens (irgendwo in der Welt) anrichten, wird von unseren Medien konstant übertrieben, in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung gestellt u. natürlich verurteilt. Hingegen wird das Leid, das der Westen bzw. dessen ‘Freunde’ anrichten, entweder ignoriert, beschönigt oder bis zur Unkenntlichkeit zerredet - u. dann vergessen. Effekt dieser fortdauernden Propaganda: viele Leute (im Westen) finden es im wahrsten Sinne unvorstellbar, daß der Westen in der Welt etwas wirklich Böses anrichten könnte. Oder würden wir etwa ein Land mit einem verhungernden Volk (Afghanistan) bombardieren - zumindest ohne wirklich guten Grund? Nein, schließlich sind wir doch von jeher ein Volk der ‘Guten’, das nur u. ausschließlich gute Dinge tut. Oder würden wir etwa den Irak mit Sanktionen belegen, wenn es nicht unbedingt sein müßte bzw. ohne daß wir zuvor adäquat sichergestellt hätten, daß die irakische Zivilbevölkerung nicht darunter leidet? Iwo, schließlich sind unsere Führer ja gute u. anständige Menschen mit einem gewinnenden Lächeln? Und wir würden natürlich auch nicht einfach dabeistehen u. zusehen, wie die ‘Globale Erwärmung’ ein Ausmaß annimmt, das einen niedagewesenen u. womöglich terminalen klimatischen Holocaust innerhalb der nächsten 10 Jahre befürchten läßt. Denn sind wir nicht gute Menschen - geistig gesunde, vernünftige Menschen?

Dieser Punkt ist nämlich entscheidend: unsere Öffentlichkeit würde das Massentöten unschuldiger fremder Zivilisten nie u. nimmer hinnehmen - es sei denn, das Ganze dient einem wirklich wichtigen u. ehrenwerten Zweck. Und weil dem so ist, waten unsere Medien - und insbesondere die sogenannten ‘liberalen’, in die die Menschen ja soviel Vertrauen setzen -, bis an die Knie in Blut.

Wir leben in einer Welt von empörendem Reichtum u. unglaublicher Macht einerseits u. unerträglichem Leid, unerträglicher Armut andererseits. Es gibt darin nur wenige Reiche u. Mächtige aber umso mehr Arme u. Leidende. Es ist eine Welt beherrscht von räuberischen westlichen Konzernen, die schon rein von ihren Statuten her dazu verpflichtet sind, das Allerletzte herauszuschinden u. eine Welt beherrscht von den bis an die Zähne mit westlichen Waffen ausgerüsteten Komplizen dieser Konzerne - den ‘Dritte-Welt-Tyrannen’. Und trotz all dieser (bekannten) Tatsachen gelingt es den westlichen Medien irgendwie immer wieder - und das problemlos - die Gewalt des Westens als moralisch gerechtfertigt, humanitär u. rein defensiv darzustellen. Natürlich werfen Herausgeber u. Journalisten keine Bomben ab, sie betätigen auch keine Abzüge an Gewehren. Und dennoch: ohne ihre Dienstbeflissenheit (gegenüber den Mächtigen) würde die Öffentlichkeit nicht getäuscht, u. das Morden müßte aufhören.

Daher sage ich: wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, aus diesem Alptraum der Geschichte aufzuwachen, so nur, indem wir uns endlich aus unserm Schlaf befreien u. erkennen, daß die (Massen-)Medienkonzerne Komplizen der Massenmörder sind.
 


*auch ‘Dschenin’ geschrieben

**1389 fand die Schlacht auf dem ‘Amselfeld’ ( Kosovo) statt - ein nationales Trauma der Serben (Niederlage gegen die Türken)

Übersetzung von Andrea Noll 
 

http://hfiedler.covers.de/edwards_jenin_racak.htm