Freiheit und Sicherheit       17.11.2003

Al Gore

http://www.moveon.org/gore/speech2.html

Übersetzung: Hans Thomas Vogler 
 

Danke, Lisa, für die warmherzige und großzügige Einführung. Danke, Zack, und ein Dankeschön Ihnen allen dafür, daß Sie heute hierher gekommen sind.

Ich möchte der Amerikanischen Verfassungsgesellschaft danken für das Co-Sponsoring der heutigen Veranstaltung und für ihre harte Arbeit und die Hingabe, mit der sie unsere grundlegendsten öffentlichen Werte verteidigt.

Besonders dankbar bin ich Moveon.org, nicht nur für das Co-Sponsoring dieser Veranstaltung, sondern auch für die Verwendung von Techniken des 21. Jahrhunderts, um unserer Demokratie neues Leben einzuhauchen.

Ich für meinen Teil bin nur ein "Politiker in Erholung" - aber ich glaube wahrlich, daß einige der für die Zukunft Amerikas wichtigsten Fragen solche sind, mit denen wir alle uns befassen sollten.

Und vielleicht die wichtigste dieser Fragen ist die eine, über die ich heute sprechen möchte: die wahre Verwandtschaft von Freiheit und Sicherheit.

So scheint mir, daß es der logische Ausgangspunkt für eine solche Diskussion ist, exakt aufzuzählen, was mit Bürgerrechten und Sicherheit seit den bösartigen Attacken gegen Amerika am 1. September 2001 geschehen ist - und es ist wichtig, gleich zu Beginn anzumerken, daß Regierung und Kongreß viele nützliche und nötige Verbesserungen zustande gebracht haben, um die Durchsetzung von Gesetzen und gemeinschaftliche Ermittlungsbemühungen effektiver gegen potentielle Terroristen zu machen. 

Aber es geschahen auch eine Menge anderer Veränderungen, von denen viele nichts wissen und die als unwillkommene Überraschungen daherkommen. Zum ersten Mal in unserer Geschichte wurden beispielsweise amerikanische Bürger vom exekutiven Arm der Regierung festgenommen und ins Gefängnis gesteckt, ohne eines Verbrechens angeklagt zu sein, ohne das Recht auf einen Prozeß, ohne einen Anwalt sehen zu dürfen und ohne mit ihren Familien in Kontakt treten zu dürfen.

Präsident Bush beansprucht für sich das einseitige Recht, das mit jedem zu tun, den er für einen "feindlichen Kämpfer" hält. Das sind die Zauberworte. Wenn der Präsident allein entscheidet, daß diese zwei Worte jemanden treffend beschreiben, dann kann diese Person umgehend eingesperrt und isoliert werden, solange der Präsident es will, ohne ein Gericht, das prüfen darf, ob die Tatsachen die Haft rechtfertigen.

Wenn nun der Präsident einen Fehler macht oder mit Falschinformationen von jemanden versorgt wird, der für ihn arbeitet, und daraufhin die falsche Person einsperrt, dann ist es für diese Person fast unmöglich, ihre Unschuld zu beweisen - weil sie weder mit einem Anwalt, ihrer Familie noch sonst jemandem sprechen darf und nicht einmal das Recht hat, zu erfahren, welches spezielle Verbrechen man ihr vorwirft. So kann nun ein verfassungsmäßiges Recht auf Freiheit und das Streben nach Glück, das wir auf altmodische Art als "unveräußerlich" zu betrachten pflegten, jedem Amerikaner augenblicklich durch den Präsidenten entzogen werden ohne ernsthafte Überprüfung durch einen anderen Arm der Regierung.

Wie fühlen wir uns dabei? Ist das OK?

Ein anderer aktueller Wechsel in unseren Bürgerrechten: wenn die Bundesregierung will, kann sie jede Website protokollieren, die Sie im Internet besuchen, eine Liste anlegen mit jedem, der Ihnen eine Email schickt oder eine von Ihnen bekommt und jedem, den Sie anrufen oder der Sie anruft - und sie müssen nicht einmal einen begründeten Verdacht vorlegen, daß Sie etwas angestellt haben. Sie müssen auch keinem Gericht darüber berichten, was sie mit der Information tun. Darüber hinaus gibt es ganz schön wenige Sicherungsmaßnahmen, die sie davon abhalten könnten, auch die Inhalte all Ihrer Emails zu lesen.

Fühlt sich jeder hier wohl dabei?

Wenn dem so ist, was ist die nächste Veränderung?

In den ersten 212 Jahren Amerikas war es üblich, daß die Polizei schon in der Lage sein mußte, einen unabhängigen Richter zu überzeugen und sich einen Durchsuchungsbefehl holen, wenn sie Ihr Haus durchsuchen wollte, und dann (mit wenigen Ausnahmen) mußten sie an Ihre Tür klopfen und rufen "Aufmachen!". Dann erst, wenn Sie nicht schnell genug geöffnet haben, durften sie die Tür eintreten. Sie mußten auch eine Liste anlegen mit Gegenständen, die sie konfisziert haben. Auf diese Weise konnten Sie im Falle eines furchtbaren Fehlers (was manchmal vorkommt) hingehen und Ihre Sachen zurückbekommen.

Aber das wurde jetzt alles geändert. Von vor zwei Jahren an wurden Bundespolizisten weitreichende neue Amtsbefugnisse durch den Patriot Act übertragen, um auch in nicht-terroristischen Fällen "anschleichen und zuschlagen" zu können. Sie können ohne Vorwarnung Ihr Heim betreten - ob Sie nun da sind oder nicht - und sie können Monate damit warten, bevor sie Ihnen sagen, daß sie da waren. Und das muß nicht im Zusammenhang mit Terrorismus oder ähnlichem stehen. Es kann bei jedem Gemüsegartenverbrechen zur Anwendung kommen. Und das neue Gesetz macht es sehr einfach, den traditionellen Durchsuchungsbefehl zu umgehen - indem man einfach sagt, die Durchsuchung Ihres Hauses hätte irgendeine (auch entfernte) Verbindung mit der Ermittlung gegen einen Agenten einer fremden Macht. Dann können sie an ein anderes Gericht, ein geheimes Gericht, gehen, das ihnen einen Durchsuchungsbefehl mehr oder weniger ausstellen muß, wenn sie einen verlangen.

Vor drei Wochen ging Präsident Bush in einer Rede im FBI-Hauptquartier sogar noch weiter und schlug förmlich vor, der Justizminister solle per Dienstanweisung Zwangsmaßnahmen anordnen dürfen, ohne die Befugnis durch irgendein Gericht.

Was halten Sie von dem Recht, einen Anwalt zu konsultieren, wenn Sie verhaftet wurden? Ist es wichtig?

Justizminister Ashcroft hat Regelungen herausgegeben, die das geheime Mitschneiden von Gesprächen zwischen Anwalt und Mandant gestatten, allein auf seine Anweisung hin, unter Umgehung der Prozeduren, unter denen ein solches geheimes Mitschneiden in seltenen Fällen bislang erlaubt war. Jetzt muß jeder, der in Haft ist, annehmen, daß die Regierung jederzeit bei den Gesprächen mit seinem Anwalt mithört.

Ist es von Belang, wenn die Regierung bei allem, was Sie Ihrem Anwalt sagen, mithört? Ist das OK?

Oder, um eine andere Veränderung zu nehmen - und dank der Bibliothekare wissen mehr Leute davon - hat das FBI jetzt das Recht, in eine beliebige Bücherei zu gehen und die Daten von jedem einzufordern, der sie in Anspruch genommen hat und eine detaillierte Liste zu bekommen, wer was gelesen hat. Ähnlich kann das FBI alle Daten von Banken, Colleges, Hotels, Krankenhäusern, Kreditkarten- und vielen anderen Unternehmen anfordern. Und das ist erst der Anfang. Erst letzte Woche hat Justizminister Ashcroft brandneue Richtlinien herausgegeben, welche es FBI-Agenten erlauben, Überprüfungen der Kreditinformationen sowie weiterer Hintergrundinformationen durchzuführen sowie andere Informationen zu sammeln über jeden der "von Ermittlungsinteresse" ist - also jeden, den der Polizist für verdächtig hält - ohne irgendeinen Beleg kriminellen Verhaltens.

So, fühlen sich alle wohl dabei?

Hören Sie, wie der Höchste Gerichtshof in Israel einen ähnlichen Fall gehandhabt hat, als er 1999 aufgefordert wurde, Prozeßrechte gegen schreckliche Bedrohungen der Sicherheit des Volkes abzuwägen:

"Das ist das Schicksal einer Demokratie, daß für sie nicht alle Mittel akzeptabel sind, und ihr nicht alle Praktiken ihrer Feinde offenliegen. Obwohl eine Demokratie oft mit einer an den Rücken gebundenen Hand kämpfen muß, behält sie doch die Oberhand. Das Bewahren der Regeln des Gesetzes und die Anerkennung der Freiheit des Individuums stellt einen wesentlichen Bestandteil ihres Verständnisses von Sicherheit dar. Am Ende des Tages zählt dies zu ihren Stärken."

Ich möchte die implizite Vermutung der Bush-Regierung anzweifeln, daß wir viele unserer traditionellen Freiheiten aufgeben müssen, um vor Terroristen sicher zu sein.

Weil es einfach nicht wahr ist.

Tatsächlich ergibt es meiner Meinung nach ebensowenig einen Sinn, einen Anschlag auf die Bürgerrechte zu starten als besten aller Wege, Terroristen zu kriegen, wie eine Invasion des Irak zu starten, um Osama bin Laden zu kriegen.

In beiden Fällen hat die Regierung das falsche Ziel angegriffen.

In beiden Fällen haben sie unser Land unbesonnen in schwere und unnötige Gefahr gebracht, während viel wichtigere Maßnahmen, die das Land wirklich schützen könnten, außer acht gelassen oder gar vermieden wurden.

In beiden Fällen hat die Regierung falsche Eindrücke gepflegt und die Nation in die Irre geführt mit oberflächlichen, emotionalen und manipulativen Vorstellungen, die der amerikanischen Demokratie nicht würdig sind.

In beiden Fällen haben sie öffentliche Ängste ausgebeutet für parteipolitische Zwecke und als kühne Landesverteidiger posiert, während sie Amerika tatsächlich geschwächt und nicht gestärkt haben.

In beiden Fällen haben sie in nie dagewesenem Umfang Geheimhaltung und Irreführung benutzt, um sich ihrer Verantwortlichkeit dem Kongreß, den Gerichten, der Presse und dem Volk gegenüber zu entziehen.

In der Tat hat diese Regierung die Grundannahmen unserer Demokratie auf den Kopf gestellt. Eine Regierung aus dem Volk und für das Volk sollte generell offen sein für eine genaue Überprüfung durch das Volk - während die Privatinformation der Leute selbst routinemäßig vor dem Zugriff der Regierung geschützt sein sollten.

Stattdessen versucht diese Regierung ebenso im Geheimen zu arbeiten, wie sie weitreichenden uneingeschränkten Zugriff auf persönliche Informationen amerikanischer Bürger einfordert. Unter dem Etikett, die nationale Sicherheit zu verteidigen, haben sie neue Machtbefugnisse durchgesetzt, Informationen ihrer Bürger zu sammeln und dies geheimzuhalten. Dennoch weigern sie sich gleichzeitig, Informationen freizugeben, die höchst relevant sind für den Krieg gegen den Terrorismus.

Sie sind sogar so arrogant, daß sie der Kommission zum 11.9. (des Kongresses) die Herausgabe von in ihrem Besitz befindlichen Informationen über den 11.9. verweigern - der rechtmäßig eingesetzten Ermittlungsbehörde mit dem Auftrag, nicht nur die Leistung der Bush-Regierung zu untersuchen, sondern auch die Handlungen der früheren Regierung, in der ich gedient habe. Der Knackpunkt ist, alles in Erfahrung zu bringen, was wir können, um künftigen Terroristenattacken vorzubeugen.

Vor zwei Tagen war die Kommission gezwungen, Strafandrohung gegen das Pentagon zu erwirken, was - schmachvollerweise - Verteidigungsminister Rumsfelds Wunsch, Peinlichkeiten zu vermeiden, vor das Bedürfnis der Nation stellte, herauszufinden, wie wir künftige Terroristenattacken am besten vermeiden können. Die Kommission hat angekündigt, auch gegen das Weiße Haus Strafandrohung zu erwirken, falls der Präsident weiterhin für die Untersuchung essentielle Informationen zurückhalten sollte.

Und das Weiße Haus weigert sich auch, die wiederholten überparteilichen Anfragen durch den Kongreß zu beantworten - obwohl der Kongreß einfach seine verfassungsmäßige Aufsichtspflicht wahrnimmt. In den Worten von Senator Main, "die maßlose Geheimhaltung der Regierung in Fragen bezüglich den Angriffen vom 11. September nährt Verschwörungstheorien und schmälert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung."

In einem entlarvenden Zug gerade vor drei Tagen forderte das Weiße Haus die republikanische Führung des Senats auf, die Ermittlungen der Untersuchungskommission zum 11.9., basierend auf einer trivialen politischen Debatte, einzustellen. Anscheinend ist der Präsident ängstlich darauf bedacht, den Kongreß davon abzuhalten, ein Blick auf das zu werfen, was angeblich an klaren, starken und ausdrücklichen, direkt an ihn gerichteten, Warnungen ergangen war, ein paar Wochen vor dem 11.9., daß Terroristen Zivilflugzeuge zu entführen planten, um sie für einen Angriff auf uns zu benutzen.

Erstaunlicherweise willigte die republikanische Senatsführung schnell in die Präsidentenanfrage ein. Solch Gehorsam und Unterwürfigkeit in etwas, das derart nach Vertuschung für die Mehrheitspartei aussieht, in einem unabhängigen und angeblich gleichrangigen Arm der Regierung läßt es wie schon sehr lange her aussehen, daß ein republikanischer Justizminister und sein Stellvertreter lieber den Hut nahmen, als sich der Anordnung zu unterwerfen, den Sonderermittler gegen Richard Nixon zu feuern.

In einem noch dreisteren Zug, mehr als zwei Jahre, nachdem sie über 1.200 Personen arabischer Abstammung zusammengetrieben hatten, weigern sie sich immer noch, die Namen der Internierten preiszugeben, obwohl praktisch jeder der Gefangenen vom FBI jeglicher Verbindung zum Terrorismus "freigesprochen" worden ist und es überhaupt keine Rechtfertigung durch die Nationale Sicherheit gibt, die Namen geheimzuhalten. Ihrerseits jedoch ließen gleichzeitig die Offiziellen im Weißen Haus selbst den Namen einer ihrem Land dienenden CIA-Agentin durchsickern, in einem klaren Rechtsbruch und als Versuch, deren Mann damit zu treffen, weil der sie verärgert hatte, indem er öffentlich gemacht hatte, daß der Präsident sich in seiner Rede zur Lage der Nation auf gefälschte Beweise stützte, als er das Land davon überzeugen wollte, Saddam Hussein sei nahe daran, Atomwaffen zu bauen.

Und ebenso, wie sie das Recht beanspruchen, die privaten Bankauszüge von jedem Amerikaner einzusehen, haben sie eine neue Politik bezüglich des "Freedom of Information Act" eingeschlagen, die Bundesbehörden aktiv ermutigt, alle möglichen Gründe für eine Nichtherausgabe [von Unterlagen] in vollem Umfang in Betracht zu ziehen, ungeachtet dessen, ob die Herausgabe schaden könnte. Mit anderen Worten wird sich die Bundesregierung nun aktiv widersetzen, JEGLICHEN Informationsanfragen nachzukommen.

Darüber hinaus haben sie eine neue Ausnahmeregelung eingeführt, die es ihnen ermöglicht, Presse und Öffentlichkeit Informationen zu verweigern bezüglich wichtiger Gesundheits- und Sicherheitsfragen sowie Umweltinformationen, die der Regierung von den Unternehmen vorgelegt werden - einfach indem sie das "kritische Infrastruktur" nennen.

Bei näherer Betrachtung der Information über ihr eigenes Verhalten bauen sie soeben ein grundlegendes Element unseres Systems von Kontrolle und Ausgleich ab. Denn solange die Aktionen der Regierung geheim sind, kann sie auch nicht verantwortlich gemacht werden. Eine Regierung für das Volk und durch das Volk muß transparent sein für das Volk.

Die Regierung rechtfertigt die Sammlung all dieser Informationen, indem sie eigentlich behauptet, es würde uns sicherer machen, wenn sie sie hat. Aber das ist nicht die Art von Informationen, die helfen könnten, etwas wie dem 11.9. zu verhindern. Es gab jedoch in der Tat eine Menge spezifischer Informationen, die vor dem 11.9. verfügbar und wahrscheinlich brauchbar waren, um die Tragödie zu verhindern. Eine aktuelle Analyse der Merkle Stiftung (ausgearbeitet mit Daten einer Software-Firma, die Risikokapital von einer CIA-unterstützten Firma erhalten hatte) zeigt das auf verblüffende Weise auf:

- Ende August 2001 kauften Nawaq Alhamzi und Khalid Al-Midhar Tickets für den American Airlines Flug 77 (der in das Pentagon geflogen wurde). Sie kauften die Tickets unter ihren richtigen Namen. Beide Namen waren auf einer "Watchlist" des Außenministeriums/INS namens TIPOFF aufgeführt. Beide Männer wurden von CIA und FBI unter Terrorismusverdacht gesucht, teils weil sie auf einem Terroristen-Treffen in Malaysia beobachtet worden waren.

- Die Namen dieser beiden Passagiere hätten exakte Treffer ergeben, wenn sie mit der TIPOFF-Liste verglichen worden wären. Das aber wäre erst der erste Schritt gewesen. Weitere Datenchecks hätten so eingeleitet werden können.

- Bei einem Gegencheck mit üblichen Adressen (Adreßinformation ist weithin verfügbar, einschließlich dem Internet) hätten Analysten entdeckt, daß Salem al-Hazmi (der sich auch einen Platz auf AA77 gekauft hatte) dieselbe Adresse benutzte wie Nawad Alhazami. Wichtiger noch: sie hätten herausfinden können, daß Mohamed Atta (AA 11, Nordturm World Trade Center) dieselbe Adresse benutzte wie Khalid Al-Midhar.

- Beim Checken identischer Vielflieger-Nummern hätten Analysten herausgefunden, daß Majed Moqed (AA 77) dieselbe Nummer benutzte wie Al-Midhar

- Nachdem nun Mohamed Atta auch als möglicher Verbündeter des gesuchten Terroristen Al-Midhar identifiziert ist, hätten Analysten Attas Telefonnummer (ebenfalls öffentlich verfügbare Information) ihrer Checkliste anfügen können. Dann hätten sie fünf weitere Flugzeugentführer identifiziert (Fayez Ahmed, Mohand Alshehri, Wail Alsheri und Abdulaziz Alomari).

- Näher am 11. September hätte ein weiterer Check von Passagierlisten gegen die harmlosere INS-Watchlist (für abgelaufene Visa) Ahmed Alghandi identifiziert. Durch ihn wäre man über dieselben relativ simplen Zusammenhänge zur Identifizierung der Entführer von UA 93 (die in Pennsylvania abstürzte) gekommen.

Zudem mieteten Al-Midhar und Nawaf Alhamzi, die beiden auf der Terroristen-Watchlist, ein Appartement in San Diego unter ihren eigenen Namen und waren, wiederum unter ihren eigenen Namen, im Telefonbuch von San Diego verzeichnet, während das FBI sie suchte.

Ohne hier weiter ins Detail gehen zu wollen: was wir brauchen ist bessere und rechtzeitige Analyse. Einfach mehr Rohdaten aufzuhäufen, die fast vollständig irrelevant sind, hilft nicht weiter. Es mag die Lage sogar verschärfen. Wie ein FBI-Agent privat über Ashcroft sagte: "Wir suchen eine Nadel im Heuhaufen, und er (Ashcroft) häuft nur immer mehr Heu auf."

In anderen Worten: das massenhafte Sammeln von persönlichen Daten hunderter von Millionen Leuten macht es tatsächlich schwieriger, die Nation vor Terroristen zu schützen, also sollten sie das meiste dieser Daten rausschmeißen.

Und mittlerweile ist die wirkliche Geschichte, daß die Regierung - während sie nach Kräften den Eindruck fördert, Amerika zu beschützen - in Wirklichkeit die meisten Maßnahmen vernachlässigt, die sie hätte durchführen können, um unser Land sicherer zu machen.

Es gibt zum Beispiel immer noch keine ernsthafte Strategie für unsere innere Sicherheit, die kritische Infrastruktur wie Stromleitungen, Gaspipelines, Atomkraftwerke, Häfen, Chemiefabriken und so weiter beschützt.

Sie überprüfen immer noch keine hereinkommenden Containerschiffe auf Strahlung. Sie knausern noch immer am Schutz bestimmter Atomwaffenlager. Sie befestigen immer noch nicht leicht verwundbare Anlagen, die nie weiche Ziele von Terroristen sein dürfen. Sie investieren immer noch nicht in Übersetzer und Analysten, die wir brauchen, um der wachsenden Terrorbedrohung zu begegnen.

Die Regierung investiert immer noch nicht in die Ausbildung lokaler Regierungen und Infrastrukturen, wo sie am meisten bewirken könnten. In vielen Fällen verfügen Feuerwehr und Polizei nicht über die Kommunikationseinrichtungen, um überhaupt miteinander reden zu können. Das CDC [Seuchenkontrollbehörde] und lokale Krankenhäuser sind weit davon entfernt, auf eine Attacke mit biologischen Waffen reagieren zu können.

Die Regierung hat es bislang versäumt, die grundlegende Desorganisation und die Rivalitäten unserer Behörden zur Strafverfolgung und Ermittlung und der Geheimdienste anzugehen. Im besonderen bleibt die kritische FBI-CIA-Koordination, wenn auch an der Spitze verbessert, in den Gräben [der alltäglichen Arbeit] funktionsunfähig.

Die fortdauernden Übergriffe auf Bürgerrechte erwecken den falschen Eindruck, diese Übergriffe seien nötig, um jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme gegen eine weitere terroristische Attacke zu treffen. Die einfache Wahrheit ist aber, daß die große Mehrheit der Übergriffe unserer Sicherheit überhaupt nicht zugute gekommen sind; im Gegenteil: sie schaden unserer Sicherheit.

Und die Behandlung von Einwanderern war wahrscheinlich das schlimmste Beispiel. Die massenhafte Mißhandlung verletzt unsere Sicherheit tatsächlich auf vielfältige Art und Weise.

Zunächst aber lassen Sie uns klarstellen, was geschehen ist: das war mehr als nur ein billiger und grausamer politischer Trick von John Ashcroft. Mehr als 99% der Männer mit vorwiegend arabischem Hintergrund, die da zusammengetrieben wurden, hatten lediglich ihre Visa überzogen oder irgendetwas Belangloses auf dem Kerbholz, während sie den amerikanischen Traum verfolgten wie die meisten Einwanderer es tun. Aber sie wurden benutzt als Sonderausstattung für den Versuch der Regierung, den Eindruck zu erwecken, sie hätten eine große Menge von bösen Kerlen gefaßt. Und viele von ihnen wurden schrecklich und mißbräuchlich behandelt.

Beachten Sie dieses Beispiel, über das eingehend von Anthony Lewis berichtet wurde:

"Anser Mehmood, ein Pakistani, der sein Visum überzogen hatte, wurde in New York am 3. Oktober 2001 festgenommen. Am nächsten Tag wurde er kurz von FBI-Agenten vernommen, welche sagten, daß sie kein weitergehendes Interesse an ihm hätten. Daraufhin wurde er mit Handschellen, Fußeisen und einer Leibkette gefesselt und ins städtische Inhaftierungszentrum in Brooklyn geschafft. Die Wachen legten ihm zwei weitere Paar Handschellen und ein weiteres Fußeisen an. Jemand stieß Mehmood gegen eine Mauer. Die Wachen zwangen ihn, eine lange Rampe hinterzulaufen, die Eisen schnitten ihn in seine Hand- und Fußgelenke. Der körperliche Mißbrauch war verbunden mit verbalen Schmähungen.

Nach zwei Wochen erlaubte man Mehmood, seine Frau anzurufen. Sie war nicht zu Hause, und man sagte Mehmood, er müsse sechs Wochen warten, um es wieder versuchen zu dürfen. Er sah sie erst bei einem Besuch drei Monate nach seiner Verhaftung. Die ganze Zeit über war er in eine fensterlose Zelle in Einzelhaft eingesperrt mit flackernden Lampen, welche die ganze Zeit über angeschaltet blieben. Am Ende wurde er wegen Benutzung einer ungültigen Sozialversicherungskarte angeklagt. Im Mai 2002 wurde er abgeschoben, fast acht Monate nach seiner Verhaftung.

Die Glaubenstradition, die ich mit Ashcroft teile, schließt die folgende Lehre von Jesus ein: "Was immer Ihr den Geringsten unter jenen antut, das tut Ihr mir an."

Und ziehen Sie keine falschen Schlüsse: die gnadenlose Behandlung, die viele dieser verwundbaren Einwanderer in den Händen der Regierung erlitten haben hat tiefe Ressentiments geschürt und die dringend benötigte Kooperation mit Gemeinschaften von Einwanderern in den USA und mit Sicherheitsdiensten anderer Länder beschädigt.

Zweitens haben diese grausamen Übergriffe auf ihre Rechte weltweit ernsthaften Schaden an der moralischen Autorität der USA und dem Wohlwollen ihnen gegenüber angerichtet, haben Anstrengungen der USA, überall in der Welt die Menschenrechte zu fördern, delegitimiert. Wie es ein Analyst ausgedrückt hat: "Wir pflegten einmal den Standard zu setzen, jetzt legen wir die Latte tiefer." Und unsere moralische Autorität ist schließlich die größte Quelle für unsere andauernde Stärke in der Welt.

Und die Behandlung der Gefangenen in Guantanamo war besonders schädlich für Amerikas Image. Sogar England und Australien haben unsere Abkehr von internationalem Gesetz und den Genfer Konventionen kritisiert. Minister Rumsfelds Behandlung der Gefangenen dort war ebenso durchdacht wie sein "Nachkriegs"-Plan für den Irak.

So haben die massenhaften Verletzungen bürgerlicher Freiheiten mehr Schaden angerichtet als geholfen. Es gibt aber noch einen anderen Grund für die gebotene Dringlichkeit, aufzuhalten, was diese Regierung gerade tut. Soweit die Bürgerrechte betroffen sind, haben sie uns viel weiter in Richtung auf eine zudringliche Regierung im Stil von "Big Brother" geführt - den Gefahren entgegen, die George Orwell in seinem Buch "1984" prophezeit hat - als es jemals jemand in den Vereinigten Staaten von Amerika für möglich gehalten hätte.

Und sie haben es vorwiegend dadurch getan, daß sie öffentliche Ängste und Befürchtungen erhöht und ausgebeutet haben. Anstatt mit einem Ruf zu mehr Mut, hat diese Regierung sich entschlossen, uns mit angestachelter Furcht zu führen.

Vor fast 80 Jahren schrieb Richter Louis Brandeis "Diejenigen, welche unsere Unabhängigkeit gewonnen haben, waren keine Feiglinge.... Sie haben nicht die Ordnung verherrlicht auf Kosten der Freiheit." Diejenigen, welche unsere Unabhängigkeit gewonnen haben, erklärte Brandeis, verstanden, daß "Mut das Geheimnis der Freiheit" ist und "Furcht [nur] Unterdrückung heranzüchtet".

Anstatt unsere Freiheiten zu verteidigen, hat diese Regierung danach getrachtet, sie aufzugeben. Anstatt unsere Traditionen von Offenheit und Verantwortlichkeit zu akzeptieren, hat diese Regierung sich entschlossen, mit Geheimhaltung und unkontrollierter Autorität zu führen. Stattdessen haben ihre Angriffe auf das Herzstück unserer demokratischen Prinzipien uns weniger frei und weniger sicher gemacht.

Im Verlauf der amerikanischen Geschichte wurde das, was wir heute bürgerliche Freiheiten nennen, oft mißbraucht in Kriegszeiten und eingeschränkt, wenn man die Sicherheit bedroht sah. Die besten Belegstellen schließen die "Alien and Sedition Acts" von 1798-1800 (dt. Gesetze für Ausländer und Aufruhr) ein, die kurzfristige Aufhebung des "habeas corpus" während des Bürgerkriegs, der extreme Mißbrauch im Ersten Weltkrieg und die berüchtigte Kommunistenangst sowie die Palmer-Razzien unmittelbar nach dem Krieg, die schändliche Internierung japanstämmiger Amerikaner im Zweiten Weltkrieg sowie die Exzesse von FBI und CIA während des Vietnamkriegs und der gesellschaftliche Aufruhr in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern.

In all diesen Fällen hat die Nation aber ihr Gleichgewicht wiedergefunden, als der Krieg zu Ende war und die Lektionen verinnerlicht, die sie in einem sich wiederholenden Kreislauf von Exzeß und Reue gelernt hatte.

Es gibt diesmal Anlaß zur Sorge, daß das, was wir gerade erfahren, nicht länger die erste Hälfte eines Wiederholungskreislaufs ist, sondern eher der Beginn von etwas Neuem. Zum einen wurde der Krieg von der Regierung angekündigt als einer, der "den Rest unseres Lebens andauert". Andere haben die Ansicht geäußert, daß er im Lauf der Zeit dem "Krieg" gegen Drogen ähneln zu beginnen werde - was bedeutet, daß er zu einem mehr oder weniger permanenten Kampf wird, der von nun an einen wesentlichen Teil unserer Strafverfolgungs- und Sicherheitsagenda besetzen wird. Wenn das der Fall ist, wann - sofern dies je der Fall ist - wird diese Beeinträchtigung unserer Freiheiten einen natürlichen Tod sterben?

Es ist wichtig, daran zu erinnern, daß der Verlust bürgerlicher Freiheiten und die Ballung von zuviel unkontrollierter Macht in der Exekutive Hand in Hand gehen. Das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Ein zweiter Grund zur Sorge darüber, daß wir Zeugen eines Bruchs werden und nicht eine weitere Umdrehung des Wiederholungskreislaufs, ist, daß die Überwachungstechniken - lange vorhergesehen von Dichtern wie Orwell und anderen Mahnern vor einem "Polizeistaat" - heute umfassender sind, als sie es jemals waren.

Und sie haben das Potential, das Kräftegleichgewicht zwischen dem Staatsapparat und der individuellen Freiheit ebenso subtil wie tiefgreifend zu verschieben.

Darüber hinaus werden diese Technologien nicht nur von der Regierung, sondern weithin auch von Aktiengesellschaften und anderen Privatunternehmen verwendet. Und das ist bedeutsam für die Beurteilung der neuen Forderungen im Patriot Act, weil so viele Aktiengesellschaften - besonders in der Finanzindustrie - Millionen von jährlichen Berichten für die Regierung anfertigen sollen, betreffend verdächtige Aktivitäten ihrer Kunden.

Der dritte Grund zur Sorge ist der, daß die Gefahr durch mehr Terroranschläge nur allzu wirklich ist. Und die mögliche Anwendung von Massenvernichtungswaffen durch Terroristengruppen schafft eine neue praktische Notwendigkeit für schnelles Ausschöpfen des Ermessensspielraums der Exekutive - so wie das Auftauchen von Atomwaffen und Interkontinentalraketen eine praktische Notwendigkeit im Kalten Krieg geschaffen hat, welche die Balance der Verantwortlichkeit in Kriegsangelegenheiten zwischen Kongreß und Präsident verändert hat.

Aber Präsident Bush hat diese praktische Notwendigkeit weit über das hinaus ausgedehnt, was gesund ist für unsere Demokratie. In der Tat war einer der Wege, wie er seine Macht im amerikanischen System zu maximieren versuchte die ständige Betonung seiner Rolle als Oberbefehlshaber, weitaus mehr als jeder Präsident vor ihm - sie sich so oft und so deutlich sichtbar wie nur möglich anzumaßen, sie in die innenpolitische Arena einzuführen und mit seinen anderen Rollen zu verschmelzen: als Regierungs- und Staatsoberhaupt - und im speziellen mit seiner politischen Rolle als Oberhaupt der Republikanischen Partei.

In der Tat ist in meinen Augen der besorgniserregendste neue Faktor der aggressive ideologische Ansatz der jetzigen Regierung, der dazu da zu sein scheint, Furcht als politisches Werkzeug zu verwenden, um ihre Macht auszubauen und sich jeder Verantwortung für ihren Gebrauch zu entziehen. So wie Unilateralismus und Dominanz die Leitprinzipien ihrer katastrophalen Herangehensweise an außenpolitische Beziehungen sind, so sind sie auch die Leitimpulse beim Herangehen der Regierung an die Innenpolitik. Sie reagieren mit Ungeduld auf jede Einschränkung ihrer Machtausübung in Übersee - sei es durch unsere Alliierten, die UN oder internationales Gesetze. Gleichermaßen reagieren sie mit Ungeduld auf jeden Widerstand gegen ihre Machtausübung daheim - ob nun aus dem Kongreß, den Gerichten, der Presse oder den Regeln des Gesetzes.

Ashcroft hat FBI-Agenten auch autorisiert, kirchlichen Versammlungen und Kundgebungen, politischen Treffen und alle anderen öffentlichen bürgerlichen Aktivitäten beizuwohnen, einfach auf eigene Initiative der Agenten, womit er eine seit Jahrzehnten praktizierte Politik ins Gegenteil verkehrte, die von den Beobachtern die Rechtfertigung verlangte, daß eine solche Unterwanderung eine nachweisliche Verbindung zu einer legitimierten Ermittlung hat.

Sie haben sogar Schritte unternommen, die klar darauf ausgerichtet scheinen, abweichende Meinung zu ersticken. Das Bush-Justizministerium hat kürzlich eine höchst beunruhigende kriminelle Verfolgung der Umweltgruppe Greenpeace wegen einer gewaltfreien direkten Aktion gegen etwas, das Greenpeace als illegalen Import von Mahagoni aus dem Amazonasgebiet bezeichnete, begonnen. Unabhängige Rechtsexperten sagten, daß die Strafverfolgung - bezogen auf ein obskures und bizarres Gesetz von 1872 wegen "Handels mit Seeleuten" - darauf abzielt, die Greenpeace Aktivitäten bezüglich des "First Amendment" [Anm.: es geht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit] zu blockieren.

Und zur selben Zeit, da sie neue Wege beschreiten, indem sie Greenpeace verfolgen, hat die Bush-Regierung gerade vor ein paar Tagen angekündigt, daß Ermittlungen gegen 50 Kraftwerke wegen Verstößen gegen den "Clean Air Act" eingestellt werden sollen - ein Zug, von dem Senator Chuck Schumer sagte, daß er "der Energieindustrie vermeldet hat, daß sie nun schamlos verschmutzen können."

Die Politisierung der Strafverfolgung in dieser Regierung ist Teil ihrer länger angelegten Agenda, die durch "New Deal" und "Progressive Movement" eingeführten Veränderungen in der Regierungspolitik zurückzudrehen. Dem Ende zu beschneiden sie dann die Durchsetzbarkeit der Bürger- und Frauenrechte, die progressive Besteuerung, die Erbschaftssteuer, den freien Zugang zu Gerichten, die Krankenfürsorge und vieles mehr. Und sie nähern sich jeder Angelegenheit als einem parteipolitischen Kampf bis zum Ende, sogar in Fragen nationaler Sicherheit und Terror.

Anstatt zu versuchen, den "Krieg gegen den Terrorismus" zu einer überparteilichen Angelegenheit zu machen, hat das Weiße Haus unter Bush fortwährend versucht, ihn für die parteipolitische Sache auszuschlachten. Der Präsident zieht verbal in nahezu jeder Rede auf einer Kampagne oder bei republikanischen Spendensammeldinners in den Krieg gegen Terroristen. Es ist sein politisches Hauptthema. Demokratische Kandidaten wie Max Cleland in Georgia wurden als "unpatriotisch" diffamiert, weil sie anders abstimmten als das Weiße Haus über undurchsichtige Ergänzungen zum "Homeland Security Bill".

Als der Republikanische Führer des Repräsentantenhauses, Tom DeLay, damit beschäftigt war, mehr Sitze im Kongreß für Texas zu bekommen, setzte er eine höchst unübliche Gebietsneuordnung im texanischen Senat durch. Er konnte demokratische Abgeordnete, die aus dem Land geflohen waren, um eine beschlußfähige Mehrheit zu verhindern (und damit ihre Stimmen) aufspüren durch ein Hilfeersuchen an Präsident Bushs neues "Department of Homeland Security". Nicht weniger als 13 Beschäftigte der Flugaufsichtsbehörde in achtstündiger Suche und schließlich ein FBI-Agent (obwohl sich mehrere andere Agenten, die zur Mithilfe aufgefordert worden waren, geweigert hatten) spürten sie letztendlich auf. 

Dadurch, daß sie demokratische Abgeordnete schnell mit ihrer zum Aufspüren von Terroristen installierten Technik lokalisieren konnten, war es den Republikanern ein leichtes, öffentlichen Druck auf den schwächsten unter den Senatoren auszuüben und sie erzwangen so den Durchmarsch für ihre politische Gebietsneuordnung. Jetzt feiern Bush und DeLay dank der Bemühungen von drei verschiedenen Bundesbehörden den Zugewinn von sieben neuen republikanischen Sitzen im nächsten Kongreß.

Das Timing des Weißen Hauses für die Offensive um die Stimme des Kongresses für den Kriegszug gegen den Irak fiel ebenso zufällig mit dem Beginn der Herbstwahlen im September letzten Jahres zusammen. Der Stabschef des Präsidenten sagte, das Timing sei gewählt worden, weil "man aus Marketingsicht keine neuen Produkte im August einführt."

Karl Rove, politischer Berater des Weißen Hauses, riet republikanischen Kandidaten, ihre beste politische Strategie sei es, "sich in den Krieg zu stürzen". Und sobald die Truppen zu mobilisieren begannen, verteilte das Republikanische Nationalkomitee überall in Amerika Schilder für Haus und Hof mit der Aufschrift "Ich unterstütze Präsident Bush und die Soldaten" - als ob das ein und dasselbe wäre.

Dieses fortwährende Bemühen, den Krieg im Irak und den Krieg gegen den Terrorismus zum Vorteil der Parteipolitik zu politisieren ist offensichtlich schädlich im Hinblick auf die überparteiliche Unterstützung für die nationale Sicherheitspolitik. Betrachten Sie in scharfem Kontrast den ganz anderen Ansatz, eingenommen von Winston Churchill in den schrecklichen Tagen des Oktober 1943, als er sich mitten im Zweiten Weltkrieg mit dem Auseinanderbrechen seiner Zweiparteienkoalition konfrontiert sah. Er sagte: "Was uns zusammenhält, ist die Fortsetzung des Krieges. Kein... Mensch wurde aufgefordert, seine Überzeugungen aufzugeben. Wir werden zusammengehalten von etwas Äußerem, das unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Das Prinzip, nach dem wir arbeiten, lautet 'Alles für den Krieg, ob gegensätzlicher Meinung oder nicht, und keine Auseinandersetzung, die nicht dem Wohl des Krieges dient.' Wir müssen vorsichtig sein, daß aus dem Krieg kein Vorwand gemacht wird, um weitreichende gesellschaftliche oder politische Veränderungen durch einen Seitenwind einzuführen."

Dennoch ist dies genau das, was die Bush-Regierung zu tun versucht - den Krieg gegen Terrorismus zu benutzen für parteipolitischen Vorteil und weitreichende kontroverse Veränderungen der Gesellschaftspolitik durch einen "Seitenwind", dies im Bemühen, ihre politische Macht zu konsolidieren.

Diese Einstellung widerspricht zutiefst der Ethik des amerikanischen Geistes. Respekt für unseren Präsidenten ist wichtig. Ebenso wichtig ist aber der Respekt für unser Volk. Unsere Gründer wußten - und unsere Geschichte hat es bewiesen - daß Freiheit am besten dadurch garantiert wird, indem man die Mächte aufteilt in gleichrangige Arme der Regierung innerhalb eines Systems von Kontrolle und Ausgleich, um der ungesunden Konzentration von zuviel Macht in den Händen einer Person oder Gruppe vorzubeugen.

Unsere Gestalter hatten auch scharfsichtig im Auge, daß Republiken zerbrechlich sind. Als Benjamin Franklin just zur Geburtsstunde Amerikas in Philadelphia gefragt wurde "Was haben wir? Eine Republik oder eine Monarchie?", antwortete dieser vorsichtig: "Eine Republik, wenn Sie sie aufrechterhalten können."

Und sogar in unserer größten Prüfung wußte Lincoln, daß unser Schicksal verknüpft war mit der weitreichenderen Frage, ob wohl IRGENDEINE so konzipierte Nation von langer Dauer sein könnte.

Diese Regierung scheint einfach nicht einsehen zu wollen, daß der Herausforderung, demokratische Freiheit zu bewahren, nicht damit begegnet werden kann, den Kern amerikanischer Werte aufzugeben. Es ist unglaublich, aber diese Regierung hat versucht, die wertvollsten Rechte, für die Amerika seit nunmehr 200 Jahren gestanden hat, zu kompromittieren: ein fairer Prozeß, Gleichbehandlung unter dem Gesetz, die Würde des einzelnen Menschen, Schutz vor unbegründeter Verfolgung und Festnahme, Schutz vor verwirrender Überwachung durch die Regierung. Und im Namen der Sicherheit hat diese Regierung versucht, Kongreß und Gerichte ins Abseits zu schieben und unser System von Kontrolle und Ausgleich zu ersetzen durch eine nicht verantwortlich zu machende Exekutive. Und über die ganze Zeit hinweg hat sie fortwährend nach neuen Möglichkeiten gefischt, die Krisenstimmung für parteipolitische Ziele und politische Vorherrschaft auszuschlachten. Wie können sie es wagen?

Vor Jahren, während des Zweiten Weltkriegs, schrieb einer unserer wortgewandtesten Richter am Obersten Gerichtshof, Robert Jackson, dem Präsidenten sollte in Kriegszeiten "weitestmögliche Freiheit" eingeräumt werden, aber er warnte vor der "schlampigen und unverantwortlichen Beschwörung des Krieges als Entschuldigung dafür, den exekutiven Arm von den Regeln des Gesetzes freizustellen, die unsere Republik in Friedenszeiten bestimmen. Keine Buße könnte einer freien Regierung gegenüber die Sünde sühnen," sagte Jackson, "daß ein Präsident die Kontrolle der Exekutivkräfte durch das Gesetz aufhebt, indem er seine militärische Rolle beansprucht. Unsere Regierung hat ausreichende Befehlsgewalt durch die Verfassung, daß sie die für unsere Sicherheit wirklich nötigen Schritte unternehmen kann. Zugleich fordert unser System, daß die Regierung nur auf der Basis von Maßnahmen handelt, welche Gegenstand einer offenen und umsichtigen Debatte im Kongreß und im amerikanischen Volk waren und daß Beeinträchtigungen der Freiheit und der gleichermaßen für jedes Individuum geltenden Würde Gegenstand einer Überprüfung durch Gerichte sind, die jenen offenstehen, die betroffen sind, und die unabhängig sind von der Regierung, die ihnen ihre Freiheit beschneidet."

Was also ist zu tun? Nun, für den Anfang sollte unser Land einen Weg finden, seine Politik von unbegrenzter Festnahme amerikanischer Bürger ohne Anklage und ohne jede gerichtliche Feststellung, ob ihre Verhaftung mit rechten Dingen zugegangen ist, unverzüglich zu beenden.

Eine solche Vorgehensweise verträgt sich nicht mit amerikanischen Traditionen und Werten, nicht mit heiligen Prinzipien von fairem Prozeß und Gewaltenteilung.

Es ist kein Versehen, daß unsere Verfassung bei Strafverfolgung eine "schnelle und öffentliche Verhandlung" fordert. Die Prinzipien von Freiheit und Verläßlichkeit der Regierung im Herzen dessen, was Amerika einzigartig macht, verlangt nichts weniger. Die Behandlung amerikanischer Bürger durch die Bush-Regierung, die sie "feindliche Kämpfer" nennt, ist nichts weniger als unamerikanisch.

Zweitens sollten die in Guantanamo festgehaltenen Bürger angehört werden, um ihren Status nach Artikel V der Genfer Konventionen festzustellen, dies im Rahmen einer Anhörung, wie sie die Vereinigten Staaten den Gefangenen in jedem Krieg gewährt haben bis zu diesem, einschließlich Vietnam- und Golfkrieg. 

Wenn wir das nicht sicherstellen: wie können wir erwarten, daß unsere in Übersee gefangenen amerikanischen Soldaten mit Respekt behandelt werden? Wir schulden dies unseren Söhnen und Töchtern, die kämpfen, um Freiheit im Irak zu verteidigen, in Afghanistan und sonstwo in der Welt.

Drittens sollte sich der Präsident vom Kongreß die Autorisierung für die Militärtribunale einholen, die er anstelle von zivilen Gerichten einzurichten gedenkt, um einige von jenen vor Gericht zu stellen, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden. Militärtribunale stellen im amerikanischen Recht einen Ausnahmefall dar und behandeln Einzelfälle. Richter und Ankläger arbeiten für denselben Mann, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Solche Tribunale mögen in Kriegszeiten angemessen sein, müssen dann aber durch den Kongreß autorisiert sein, wie sie es im Zweiten Weltkrieg waren, und der Kongreß muß ihre Verfügungsgewalt festlegen. Eine Überprüfung durch ein Zivilgericht muß möglich sein bis zuletzt im Obersten Gerichtshof, so wie es im Zweiten Weltkrieg war.

Im Weiteren wird die Größe unserer Nation daran gemessen, wie wir die Verwundbarsten behandeln. Nichtbürgern, welche die Regierung einsperren will, sollten einige grundlegende Rechte zugesprochen werden. Die Regierung muß aufhören, die Kronzeugenregelung zu mißbrauchen. Diese Regelung wurde geschaffen, um Zeugen bis kurz vor ihrer Aussage vor einer großen Kammer in Sicherheit zu halten. Sie wurde von dieser Regierung mißbraucht für eine zeitlich unbegrenzte Inhaftierung ohne Anklage. Das ist einfach nicht richtig.

Zum Schluß: ich habe den "Patriot Act" studiert und habe in der Vielzahl seiner Auswüchse herausgefunden, daß er einige wenige nötige Gesetzesänderungen enthält. Und es ist sicherlich wahr, daß viele der schlimmsten Mißbräuche betreffend der Strafprozeßordnung und der Bürgerrechte unter dem Deckmantel anderer Gesetze und Vorschriften stehen als jenen des "Patriot Act".

Nichtsdestotrotz glaube ich, daß sich der "Patriot Act" in Abwägung [der Rechtsgüter] als furchtbarer Fehler herausgestellt hat und daß er eine Art "Golf von Tonkin"-Resolution darstellt, um den Segen des Kongresses einzuholen für den Angriff dieses Präsidenten auf die bürgerlichen Freiheiten. Daher bin ich fest davon überzeugt, daß die wenigen guten Punkte in diesem Gesetz im Rahmen eines neuen und schlankeren Gesetzes verabschiedet werden sollten - der "Patriot Act" aber aufgehoben werden muß. 

Wie John Adams 1780 schrieb, ist unsere Regierung eine der Gesetze und nicht der Personen. Was auf dem Spiel steht, ist das bestimmende Prinzip unserer Nation und folglich die wahre Natur Amerikas. Wie der Oberste Gerichtshof geschrieben hat: "Unsere Verfassung ist eine Verpflichtung, die von der ersten Generation von Amerikanern auf uns zuläuft und dann zu kommenden Generationen." Die Verfassung kennt keine Ausnahme für Kriegszeiten, obwohl ihre Gestalter die Realität des Krieges gut kannten. Und, wie Justin Holmes uns kurz nach dem Ersten Weltkrieg erinnerte, haben die Verfassungswerte nur dann einen Wert, wenn wir sie in schwierigen Zeiten ebenso aufrecht erhalten wie in Zeiten, wo das von geringerer Bedeutung ist. 

Die vor uns stehende Frage könnte nicht bedeutsamer sein: werden wir auch künftig als Volk unter der Leitung des Gesetzes leben, wie es in unsere Verfassung eingebettet ist? Oder werden wir künftige Generationen verlieren, weil wir ihnen eine gegenüber der Charta der Freiheit weitaus verminderte Verfassung hinterlassen als wir von unseren Vorfahren geerbt haben? Unsere Wahl ist klar.
 

http://www.freace.de/artikel/nov2003/gore171103.html