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Artikel 16: Zeit-FragenNr. 6 vom 4. 2. 2002

Buchbesprechung

Die afrikanische Totenklage

Angriff der Plutokratie auf die universalen Menschenrechte

von Rolf Neumann*

Rechtzeitig zur schwersten Krise erscheint Peter Scholl-Latours neues Buch «Afrikanische Totenklage», in dem er die traurige Wahrheit über den «Ausverkauf des Schwarzen Kontinents» akribisch nachzeichnet. Im Gegensatz zu manchem Kommentar, der Afrikas Elend als «hausgemacht» bezeichnet und anders als der neue Literatur-Nobelpreisträger V.S. Naipaul, der von der Presse gelobt wird, weil er den Kolonialismus als «gar nicht so übel» bezeichnet und nicht in das «übliche Lamento über das Elend der Dritten Welt» einstimmt, liest sich dieses Buch wie eine Anklageschrift mit präzise aufgelistete Fakten über all die Verbrechen an Afrika, von der Vergangenheit bis heute. Schon der Klappentext spricht deutlich aus, wie die apokalyptischen Reiter, «Krieg, Gewalt, Barbarei und Hunger», Afrika und seine Menschen zerstören. Diese Anklage nennt die Hintergründe und «die Verantwortlichen: vor allem die westlichen Industrienationen».

«Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Globalisierung und Kolonialismus [ ... ] Man erzählt uns heute, Globalisierung bedeute Fortschritt, Erziehung, Wohlstand und wirtschaftliche Modernisierung. Das ist nur die halbe Wahrheit. Gleichzeitig beschert sie der ÐDritten Weltð gesellschaftliche und politische Zerrüttung, die Vernichtung der kulturellen Grundwerte, den Ruin ihrer unterlegenen Industrie und Landwirtschaft [ ... ]. Was nun gar die Vergötzung der ungehemmten Marktwirtschaft betrifft, die selbst bei uns in Plutokratie auszuarten droht, so offenbart sie sich südlich der Sahara - oft heuchlerisch verbrämt - als eine krude Form der Ausbeutung, der die ÐEingeborenenð wehrlos ausgeliefert sind.» Mit diesem Zitat von William Pfaff aus der «Los Angeles Times» leitet Peter Scholl-Latour sein Buch über Afrika ein.

Scholl-Latour zitiert den Beauftragten von König Leopold II. von Belgien, bekannt als brutaler Mann, der sich 1879 aber doch seine Wut über die Exzesse von der Seele schrieb: «Jeder Elefantenzahn, jedes Stück Elfenbein ist mit Blut gefärbt; ein halbes Kilo Elfenbein hat einen schwarzen Menschen das Leben gekostet; für weniger als drei Kilo wird eine Hütte niedergebrannt; für zwei Stosszähne wird ein ganzes Dorf, für zwanzig ein Distrikt entvölkert. Um Luxusartikel aus Elfenbein und Billardkugeln zu fabrizieren, verwandelt man das Herz Afrikas in eine riesige Wüste und rottet ganze Stämme aus», schreibt er und fährt fort: «Man setze an die Stelle von ÐIvoryð die Worte Petrol, Coltan, Diamonds, und schon finden wir uns in der unerträglichen Realität unserer Tage wieder.» Nur wenige der Leidtragenden dieser schrecklichen Realität kommen als Asylsuchende zu uns, darunter viele Jugendliche, die Überleben, Freiheit, Existenzsicherung und Entwicklungsmöglichkeiten suchen. Sie finden ein Leben am Rande, als Sozialhilfeempfänger, nach der Ablehnung ihres Asylantrages schon bald von Abschiebung bedroht. Sie vegetieren vor sich hin, denn eine Ausbildung ist nach dem meist nur kurzen Schulbesuch nicht möglich, Arbeitsaufnahme nur unter erschwerten Bedingungen erlaubt. Viele suchen den Ausweg als Drogendealer, ein Leben in Illegalität und Angst vor Polizei und Ausländeramt, durch ihre illegale Art der Einkommenaufbesserung bestärken sie nur die sattsam bekannten Vorurteile gegenüber Afrikanern.

Ausplünderung des Schwarzen Kontinents

Peter Scholl-Latour beschreibt die Machenschaften der hinter der Ausplünderung des Schwarzen Kontinents stehenden, vornehmlich anglo-amerikanischen Eliten, die brutale Gleichgültigkeit, mit der sie über Jahrzehnte Millionen von afrikanischen Menschen morden lassen. Im Krisenmonat September erschienen, ist dieses in seiner brutalen Wahrheit schonungslose Buch ein Menetekel an der Wand: So wie jetzt viele Länder Afrikas (und schon längst manch anderes Land) könnten bald weite Teile der Welt aussehen - wenn sich die Befürchtung bewahrheitet, dass die ungeheure Provokation der USA am 11. September zum Auslöser für den von der Menschheit gefürchteten, von einigen Mächtigen angestrebten Weltkrieg um die Rohstoffe wird, wenn die Weltöffentlichkeit nicht endlich die Verantwortlichen für dieses Morden und Ausplündern offen beim Namen nennt, wenn die Eliten in Europa, Amerika und Asien nicht endlich den Verdacht überprüfen, dass die Urheber des 11. September in den Reihen dieser Verantwortlichen zu suchen sind! Dieser furchtbare Verdacht wird mir bei der Lektüre von Peter Scholl-Latours Anklageschrift immer mehr zur Gewissheit!

Golfkrieg - Wende strategischen Denkens

Die internationale Öffentlichkeit hatte kaum zur Kenntnis genommen, dass sich schon beim amerikanischen Golfkrieg gegen Saddam Hussein eine Wende strategischen Denkens ankündigte, schreibt Scholl-Latour. Oh doch, es gab schon einige, die genau gewusst haben, was George Bush meinte, als er die neue Weltordnung beschwor und der dritten Welt drohte: Der Krieg gegen den Irak ist ein Exempel, wie es jedem Land gehen wird, das seine neue Weltordnung nicht bedingungslos akzeptiert. Im Buch werden die Verantwortlichen für die sich mehrenden Regionalkonflikte - und die Profiteure - genannt: Es sind die privaten angelsächsischen Gesellschaften, die global zwischen Kolumbien in Lateinamerika und der Insel Bougainville im West-Pazifik operieren. Diese paramilitärischen Unternehmen, die oft ihre Niederlassungen aus Südafrika nach England oder Kanada verlagert haben, sind keineswegs abenteuerliche Söldnerhaufen, sie sind durch mit den Mitteln modernster Technik arbeitende Profis abgelöst worden. Der Verkauf von Kriegsmaterial zählt am Rande der Legalität zum lukrativsten Teil dieses Geschäfts. Schonungslos geht Peter Scholl-Latour mit den Mächtigen der Welt zu Gericht: Im Zeichen der «freien Marktwirtschaft» und unter der Assistenz des Internationalen Währungsfonds (IMF) wurden die natürlichsten Reichtümer der Entwicklungsländer, speziell des Schwarzen Erdteils, einer verantwortungslosen «Plutokratie» ausgeliefert.

«Händler des Todes»

Es werden einige dieser anglo-amerikanischen «Händler des Todes» genannt, die wachsende Bedeutung, die Omnipräsenz dieser «Mercenery-Companies», deren Krakenarme weltweit ausgreifen und in den Wirren Afrikas ein ideales Betätigungsfeld entdecken, und natürlich sind weiterhin auch geheime staatliche Elite-Kommandos mit ihren Rangers und Sonderagenten überall in Aktion. Eine bedeutende Firma dieser Art ist «Sandlines», die den militärischen Schutz der Diamanten-Minen in Nord-Angola wahrnimmt und auch im blutigen Diamantenkrieg in Sierra Leone eine traurige Rolle gespielt hat.

Als dominierender Partner von «Sandlines» taucht immer wieder der Name «Executive Outcomes» auf, 1993 in Grossbritannien gegründet, deren Mitarbeiter als «counter insurgency» - Berater von regulären Regierungen - angeheuert wurden, um bei der Bekämpfung von Aufstandsbewegungen behilflich zu sein. In Angola und Sierra Leone geriet diese Privatgesellschaft in die Rolle einer aktiven Bürgerkriegspartei. Nach der offiziellen Schliessung 1999 blieb sie unter geschickter Tarnung weiterhin aktiv.

Das Betätigungsfeld solcher in Amerika registrierter Spezialfirmen beschränkt sich nicht auf Afrika. Ebenso waren sie aktiv auf dem Balkan, so bei der Unterstützung Kroatiens gegen die «Serbische Republik Krajina» und als Geburtshelfer und Betreuer der «Kosovo-Befreiungsarmee» und bei der Ausbildung der UÇK-Partisanen.

Peter Scholl-Latour bietet historische Rückblicke in den Kolonialismus, wenn er fragt: «Was hat es den Amerikanern gebracht, dass sie zum Halali gegen den waidwunden Mobutu bliesen, der heute den Kongolesen im Vergleich zu dem neuen Tyrannen Kabila [gemeint ist der verstorbene Kabila sen. Anm. der Red.] als das geringere Übel erscheint? Die Schaffung einer durchgehenden amerikanischen Einfluss- und Herrschaftsszone zwischen dem somalischen Osthorn Afrikas und der Atlantik-Küste Angolas ist mit allzu vielen Hypotheken belastet.» Die Geschichte des Kolonialismus war immer auch die Geschichte des Kampfes zwischen angloamerikanischen Mächten und dem kontinentalen Frankreich. Das befindet sich auch im Jahre 2000, wie vorher in Faschoda, auf dem Rückzug. Dem kommerziellen Know-how der amerikanischen Söldnerfirmen kann Paris nur mit bescheidenen Mitteln begegnen. Am Ende wird es wohl nur Verlierer geben.

Peter Scholl-Latour zitiert angesichts der offenkundigen Unfähigkeit Washingtons, nach dem Vorbild des Römischen Reichs eine «Pax Americana» in Afrika zu errichten, einen Ausspruch Charles de Gaulles:«Denjenigen, die in Afrika unseren Platz einnehmen wollen», so hatte Charles de Gaulles sarkastisch orakelt, «denen wünsche ich viel Vergnügen».

Das umfassende «Grand Design» Washingtons einer Einflussphäre zwischen Äthiopien und Angola ist durch politisch-strategische Fehleinschätzungen zur Schimäre verkommen, aber es gibt die Interessensgebiete, in denen «angeblich Ðafrikanischeð Grubengesellschaften gegründet» worden sind, «um Diamanten und Gold, Kupfer, Uranium, Kobalt und Coltan gewinnbringend abzubauen».

«Erster afrikanischer Weltkrieg»

In diesem «Ersten afrikanischen Weltkrieg» werden die Menschen vertrieben oder einfach umgebracht, die dem Abbau der Rohstoffe im Wege stehen. Scholl-Latour nennt Namen wie «Sones», «Barrick Gold». So hat die Unterstaatssekretärin Susan Rice bei den Regierungen von Ruanda und Uganda interveniert und Druck ausgeübt, als die Lieferungen von Coltan zeitweise zurückgegangen waren. Das Händeabhacken, einst von König Leopold II von Belgien als Strafe bei Schwarzen eingeführt, ist in den Bürgerkriegsgreueln von Sierra Leone auch von Kindersoldaten ausgeübt worden.

Im Juni 2000, in Kisangani, wird Peter Scholl-Latour die Dissertation eines Amerikaners zugespielt, Wayne Madsen, «Genocide and Covert Operations».

Die Reichtümer Afrikas wurden gewissenlosen Freibeutern und Unternehmern ausgeliefert. Die Vereinigten Staaten, sekundiert von ihren unterwürfigen «Strassenkehrern in Grossbritannien und Kanada, suchen den französischen Einfluss in Afrika zu entwurzeln.» Von den USA an die Macht gehievte ehemalige Militärs oder marxistische Guerillaführer, als «Reform-Demokraten» getarnt, bleiben durch die Macht der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds IWF fest in der Hand ihrer ehemaligen amerikanischen Gönner und können es nicht wagen, die Interessen ihrer Länder zu vertreten. So erklärt ein hoher Beamter der Weltbank: «Wir erleben eine neue Kolonisierung Afrikas, und die ist das Werk von amerikanischen Spekulanten, die mit einem Minimum an Ðcashð, einem Maximum an Profit operieren und sich dabei kurzfristige, fast risikolose Aussteige-Optionen offenhalten. Die politische und militärische Muskelkraft der USA wird eingesetzt, um den Raub der afrikanischen Ressourcen durch amerikanische, Ðmultilaterale Gesellschaftenð zu erleichtern. Im Hintergrund agieren schwergewichtige Politiker der Demokratischen und der Republikanischen Partei.»

CIA beseitigte Lumumba

Der Versuch Patrice Lumumbas, 1960 im Kongo den «afrikanischen Sozialismus» zu verwirklichen, der darauf hinauslief, die archaischen Stammestraditionen und damit auch rückständiges Kastendenken und Gebräuche abzuschaffen und einen Nationalstaat aufzubauen, die Wirtschaft in Form von Kommunen, durchaus im Einklang mit dem afrikanischen Gemeinschaftsleben, effizienter aufzubauen, mit dem «planmässigen Einsatz menschlicher Arbeitskräfte zur Bewältigung grosser gemeinnütziger Projekte wie Strassenbau, Kanalisierung, Rodungen, [ ... ] Verstaatlichung aller Mineralvorkommen» die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und den Kongo zu modernisieren, hat den CIA veranlasst, den deshalb «in der Opposition [ ... ] wie an der Macht» gefährlichen Lumumba zu beseitigen. Der Vorwand: Es galt, «das Übergreifen des kommunistischen Weltgespenstes auf Afrika [ ... ] zu vereiteln», aber hier gilt schon die 1974 in NSSM 2000 niedergelegte Kissinger-Doktrin, die George Bush mit seinem Krieg gegen den Irak als deutliche Warnung an die dritte Welt richtete: Wir bomben jedes Land zurück in die Steinzeit, das es wagt, sich entwickeln zu wollen. Diese neue Weltordnung ist die uralte Weltordung des Kolonialismus. Und klingt im oben angedeuteten Plan Lumumbas für die Entwicklung des Kongos nicht schon die Grundidee der eurasischen Landbrücke durch? Und ist nicht der Verdacht naheliegend, das gerade jetzt, da viele Länder des eurasischen Kontinents angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise dieses Aufbauprogramm anpacken wollen, die führenden anglo-amerikanischen Machteliten die «Afrikanische Totenklage», die uns Peter Scholl-Latour eindringlich schildert, auf die gesamte dritte Welt, im wesentlichen die islamisch-arabische Welt übertragen wollen? Ist das alles, was seit langem in Afrika geschieht, nicht ein Angriff der Plutokratie auf die universalen Menschenrechte, also auch ein Angriff auf die Werte und Ideale europäischer Zivilisation? Und sieht es nicht so aus, als wollte die anglo-amerikanische Finanzwelt ihre Macht vor dem Zusammenbruch retten, indem sie einen neuen Kreuzzug ausruft, den «Krieg der Kulturen», den Huntington auch als Austragung von «Stammeskonflikten in globalem Massstab» ansieht?

Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001, ISBN 3-570-00544-5

Vgl. auch das aktuelle Buch von Ludo de Witte, Regierungsauftrag Mord, Leipzig 2001, ISBN 3-931801-09-8


«Warum sollte ein blau bemalter Helm [gemeint sind die Uno-Blauhelme, die Red.] die Komplexe eines konservativen schwedischen, kanadischen oder britischen Offiziers einfach wegzaubern können? Warum sollte eine blaue Armbinde immun machen gegen rassistische und paternalistische Einstellungen von Leuten, die mit ÐAfrikað nicht mehr verbinden als Löwenjagden und Sklavenmärkte und koloniale Eroberung, Leute aus Staaten, deren zivilisatorischer Fortschritt auf dem Besitz von Kolonien gründete? Warum sollen solche Leute den Belgiern nicht grosses Verständnis entgegenbringen? Sie haben die gleiche Vergangenheit wie sie, die gleiche Geschichte - und die gleiche Vorliebe für unsere Bodenschätze.»

Patrice Lumumba


* Rolf Neumann, geboren am 18. Juli 1946 in Hamburg. Studium der Erziehungswissenschaft, Soziologie und Politik an der Universität Hamburg. Er arbeitete etwa 10 Jahre im Schuldienst, dann machte er eine Lehre als Koch und war 7 Jahre in diesem Beruf tätig. Seit 1989 hat er eine Stelle in der Flüchtlingssozialarbeit inne.
 


Artikel 16: Zeit-Fragen Nr. 6 vom 4.2.2002, letzte Änderung am 6.2. 2002
 

http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_88d/T16.HTM
 

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