Aus: Die Golfkrise

von Noam Chomsky, Z Magazine 01.02.1991

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Die Neue Weltordnung

Außenminister Bakers Kommentar zu der neuen „Ära voller Versprechungen“ legt ein weiteren Themenkomplex offen, der für die Erklärung der amerikanisch- britischen Haltung relevant (sachdienlich) ist. Die Neue Weltordnung, die praktisch seit August ein Klischee geworden ist, ist schon ausreichend existent (vorhanden). Die liebenswürdigen Phrasen über Frieden und Gerechtigkeit sind aber andere Angelegenheiten. 

Grundlegende Elemente der Neuen Weltordnung traten bereits vor zwanzig Jahren in den Mittelpunkt, als eine „dreigeteilte Welt“ zum Vorschein kam und sich wirtschaftliche Stärke auf die U.S. Domänen verteilte. Die USA blieben zwar die dominante (überlegende) militärische Macht, aber ihre wirtschaftliche Überlegenheit, obwohl sie fest verankert war, nahm ab und wird möglicherweise weiterhin geringer, wenn die Kosten für Reagans Party der Wohlhabenden anfallen. Der Kollaps der Sowjetunion eröffnet ebenfalls einige neue Dimensionen. Erstens werden neue Vorwände für Interventionen in der Dritten Welt benötigt, eine ernste Herausforderung für die gebildete Klasse. Zweitens bestehen jetzt Aussichten den größten Teil des früheren Sowjetimperiums einer „Lateinamerikanisierung“ zu unterziehen, das heißt, dass die Ex- sowjetstaaten in einen quasi- kolonialen Status zurückfallen und dass sie dementsprechend Ressourcen, billige Arbeitskräfte, neue Märkte, Investitionsmöglichkeiten und andere Annehmlichkeiten der Dritte Welt Länder zur Verfügung stellen müssen. Allerdings sind die USA und Großbritannien nicht die führenden Kräfte bei diesen Bemühungen. Die dritte wichtige Konsequenz ist schließlich, dass die USA noch freier als zuvor in ihrer Entscheidung sind, militärische Gewalt zu gebrauchen, da das sowjetische Abschreckungspotential nicht mehr existiert (vorhanden ist). Das wiederum steigert womöglich die Versuchung Washingtons, Probleme in der Arena der militärischen Konfrontation zu verlegen. Die Vereinigte Staaten beabsichtigen ihr beinahe Monopol militärischer Macht aufrecht zu halten, ohne dass es in dieser Richtung einen ernst zunehmenden Mitstreiter gäbe. Eine Folge dessen wird die Verschärfung der internen ökonomischen Probleme sein; eine zweite Folge ist die wiedererwachte Versuchung „es allein durch zu ziehen“ indem m. sich eher auf die eigene militärische Stärke als auf Diplomatie, die sowieso gemeinhin als lästig betrachtet wird, verlässt.

Diese Faktoren helfen ebenfalls dabei die unterschiedlichen Reaktionen in der Golfkrise zu klären. Krieg ist gefährlich; die Entschärfung der Krise, ohne die eigene militärische Stärke demonstriert zu haben, ist als Resultat für Washington aber ebenso unerwünscht. Finanziell betrachtet, wäre es deutlich besser die Kosten zu teilen, aber nicht zu dem Preis die Rolle des alleinigen Vollstreckers opfern zu müssen. Diese widersprüchlichen Bedenken führten in Bezug auf die taktische Auswahl zwischen der Anwendung militärischer Gewalt und dem Vertrauen auf Sanktionen zu einer scharfen Teilung der Eliten, wobei sich die Regierung auf den zuerst genannten Kurs einließ. 

In der Neuen Weltordnung müssen die Dritte Welt Domänen immer noch, manchmal auch militärisch, kontrolliert werden. Die Verantwortung für diese Aufgabe liegt bei den Vereinigten Staaten, deren relativer wirtschaftlicher Abschwung für sie jedoch immer schwerer zu schultern ist. Die Lösung diese Problems ist, dass die USA darauf bestehen ihre historische Aufgabe auszuführen während Andere die Rechnungen dafür bezahlen. Vize- Außenminister Lawrence Eagleburger erklärte dazu, dass die aufkommende Neue Weltordnung auf „einer neuen Erfindung in der diplomatischen Praxis“ basiert: Andere werden U.S. Interventionen finanzieren, um die Ordnung aufrecht zu halten. In den Londoner Financial Times beschreibt ein angesehener Kommentator für internationale Wirtschaftsangelegenheiten die Golfkrise als „Wendepunkt in den internationalen Beziehungen der USA“, der in die Geschichte eingehen wird, da er „das U.S. Militär in ein international finanziertes, öffentliches Gut“ verwandelt hat. In den 90er Jahren, so schreibt er weiter, „gibt es im Vergleich zur Vergangenheit keine realistische Alternative für das U.S. Militär eine noch ausdrücklichere Rolle als Söldner anzunehmen“ (David Hale, FT, 21. November). 

Der Wirtschaftsredakteur einer führenden, konservativen Tageszeitung stellte den Aspekt weniger delikat dar: wir müssen „unser praktisches Monopol auf dem Sicherheitsmarkt“ ausbeuten, „um es als Druckmittel für Gelder und ökonomische Zugeständnisse von Seiten der Deutschen und Japaner zu gebrauchen“ (William Neikirk, Chicago Tribune, 9. September). Die USA haben „den westlichen Sicherheitsmarkt monopolisiert“ und werden demzufolge „die mietbaren Weltpolizisten“, die Phrase „mietbarer Schläger“ wäre vielleicht zutreffender, aber auch weniger ansprechend. Einige würden uns „Hessians“ nennen, fährt er fort, aber „das ist schrecklich erniedrigend für stolze, wohltrainierte, - finanzierte und –respektierte Truppen“; und was auch immer m. sage, „so sollten wir doch fähig sein mit unseren Fäusten auf einige Tische“ in Deutschland und Japan „zu schlagen“ und „einen fairen Preis für unsere beträchtlichen Leistungen zu verlangen“ indem wir unsere Konkurrenten dazu auffordern „unsere Wertpapiere zu niedrigen Tarifen zu kaufen oder den Dollar aufzupeppeln, oder noch besser wäre es, wenn sie direkt in die Kassen des Finanzministers zahlen“. „Wir könnten unsere Rolle“ als Vollstrecker „auch ändern“ schlußfolgert Neikirk, „aber mit ihr ging ein Großteil unserer Kontrolle über das Weltwirtschaftssystem verloren“. 

Die britische Rechte fügte ebenfalls ihren besonderen Touch hinzu. Der Redakteur des Londoner Sunday Telegraph schreibt, dass es „der neue Job“ für „die Welt nach dem Kalten Krieg“ ist, „daran mitzuwirken eine Weltordnung, die stabil genug ist, aufzubauen und zu erhalten, so dass sie den fortgeschrittenen Volkswirtschaften erlaubt, ohne ständige Störungen und Bedrohungen seitens der Dritten Welt, zu funktionieren“, eine Aufgabe, die „sofortige Interventionen (Eingriffe jeglicher Art) der fortschrittlichen Nationen“ und vielleicht sogar „präventive Aktionen“ erfordert. Großbritannien ist zwar „Deutschland und Japan in der Wohlstandsentwicklung nicht gewachsen, und ebenso wenig Frankreich und Italien. Aber wenn es darum geht Verantwortung zu schultern, ist Britannien mehr als nur ein Mitbewerber“. England, dessen Stärken und Schwächen in der „Entgegnung dieser Herausforderung“ den Amerikanischen ähnlich sind, wird sich deshalb mit den USA verbinden. Amerikanische Neokonservative hießen dieses Angebot, glücklich in der Söldnerrolle gestützt zu werden, willkommen. 

Jene Rolle wird auch von den lokalen Verwaltern der Golfreichtümer begrüßt. Ein hoher Offizieller aus der Golfregion ist im Wall Street Journal mit den Worten zitiert worden, dass er kein Grund dafür sehe, dass „sein Sohn für Kuwait stirbt“. „Wir haben unsere weißen Sklaven aus Amerika, die das für uns machen“, erklärt er mit einem „Glucksen“ – ohne sich die Hauptfarbe seiner Söldner genau angeguckt zu haben und wohl kurzzeitig vergessend, dass jene, die die Gewehre besitzen sich der Schüsse entsinnen werden, falls er seiner Verantwortung nicht gerecht wird. 

Der „neue Job“, auf den sich der Redakteur des Sunday Telegraph bezieht, ist aber in der Tat ein sehr Alter, obwohl seine Notwendigkeit eine neue Gestalt angenommen hat. George Bush ist heftig für die Fehler, die er als „Kommunikator“ gemacht hat, kritisiert worden, da er unfähig war, die Begründungen für die Attacke auf Panama und für das Bestehen militärische Gewalt am Golf anzuwenden zu erläutern (eine Fähigkeit, die notgedrungen als edel beschrieben wurde). Aber diese Kritik ist unfair. Der reflexartige Reiz, sich auf „die Verteidigung gegen die Russen“ zu berufen hat den letzten Fetzen an Plausibilität verloren und schließlich ist es nicht so einfach sich neue Konstruktionen auszudenken. 

Diese Zukunftsvision hilft uns dabei Washingtons Reaktion in der Golfkrise im rechten Licht zu betrachten. Ihr innewohnend ist, dass die USA weiterhin mit der Unterstützung anderer Industriemächte, Gehorsamkeit (,die innerhalb des doktrinären Systems als „Ordnung“ oder „Stabilität“ bezeichnet wird) durchsetzen müssen. Die Reichtümer, die von den Öl- produzierenden Monarchien eingeschleust werden, dienen dazu, die gebeutelten Volkswirtschaften der Ordnungshüter zu stützen. Und um sicher zu gehen, dass diese Ordnung beibehalten wird, ist Krieg eben nur der letzte Ausweg. Denn es ist, falls möglich, kosten –effizienter (günstiger) den IWF zu nutzen als die Marines oder den CIA einzusetzen, aber es ist nun mal nicht immer möglich. 

Zeitgleich verlaufende innenpolitische Entwicklungen fügen dem Bild eine weitere Dimension hinzu. Studien des Arbeitsministeriums und andere sagen einen ernsten Mangel an qualifizierten Fachkräften (aller Art, von WissenschaftlerInnen und ManagerInnen bis hin zu TechnikerInnen und Schreibkräften) voraus, da sich die Qualität des Ausbildungssystems, als Teil des Infrastrukturkollaps, der von der Sozial- und Wirtschaftspolitik Reagans noch beschleunigt worden ist, verringert. Dieser Tendenz kann womöglich durch die Modifizierung (Umbau/Änderung) der Einwanderungsgesetze, die die Zuwanderung von ausgebildeten Arbeitskräften erleichtern, entgegen gewirkt werden. Allerdings ist es unwahrscheinlich dies adäquat/ausreichend beweisen zu können. Das vorhersehbare Ergebnis ist der Anstieg der Kosten für ausgebildete Arbeitskräfte und die Verlagerung der Forschung, der Produktentwicklung, des Produktdesigns, des Marketings und anderer Unternehmensteile der multinationalen Konzerne in andere Staaten. Die entstehende Unterklasse besitzt dann ja immer noch als „Hessians“ Möglichkeiten . M. benötigt nicht mal viel Vorstellungskraft, um sich die Konsequenzen bildlich vorzustellen, falls solche – nicht unvermeidlichen, aber auch nicht unrealistischen – Erwartungen wirklich eintreten sollten. 

Für die traditionellen Opfer stellt die Neue Weltordnung keine Verbesserung zu ihrer Vorgängerin dar und für die BürgerInnen der Söldnerstaaten wären die Aussichten ebenfalls wenig attraktiv, falls sie es erlaubten, dass sich dieses Szenario entwickelt. 

Lasst uns nun auf die anfangs gestellten Fragen zurückkommen. Die (Aus-)Wahl der Taktik wird von den erwünschten Zielen bestimmt. Wenn es also das Ziel gewesen wäre den irakischen Abzug aus Kuwait sicher zu stellen, regionale Themen zu verhandeln und sich in Richtung auf eine anständige Welt zu bewegen, dann hätte Washington die friedlichen Mittel, die das internationale Recht vorschreibt, Sanktionen und Diplomatie, genutzt. Wenn es jedoch das Ziel gewesen ist die Söldner- Vollstrecker- Rolle und die Herrschaft des Militärs zu etablieren, dann läge der Politik der Regierung die Optionen auf Kapitulation oder Krieg zu beschränken, eine kühle Logik zu Grunde. 


Eigener Kommentar:

Und das von 1991. Na, daß erklärt doch einiges, oder nicht ? Vor allem können wir dies nahtlos auf heute projezieren. Die ein oder andere Entscheidung/Wendung können wir jetzt vielleicht besser einordnen.