Die Entscheidung zum Krieg

Doris Auerbach

Inwieweit die Presse mit Fakten arbeitet, die genauen Recherchen nicht standhalten, sei im nachfolgenden u. a. an Hand des mit gleichem Titel versehenen Essays in der 'Neuen Zürcher Zeitung' (Nr. 65 / 18.3.03) aufgezeigt. Es wird hier der Standpunkt vertreten, dass es nicht anzunehmen ist, dass sich der irakische Herrscher ins Exil retten wird. „Saddam Hussein hätte, wie auch vor zwölf Jahren, mehrmals die Gelegenheit zum Einlenken gehabt“ Diese Gelegenheiten ergeben sich jedoch auf Grund nachfolgender genauerer Betrachtung nicht. Bereits in der Ausgabe 56 vom 8.3.03 heisst es: "Wahrscheinlicher als ein solcher Theatercoup“ - gemeint ist Husseins Gang in das Exil, den er ja nicht angetreten hat - „ist jetzt Ende und Untergang des Saddam-Regimes unter kriegerischen Schlägen der Amerikaner und Briten“, also der alten anglo-amerikanischen Ölmacht

Saddam ging 1958 nach einem misslungenen Putschversuch gegen den damaligen Diktator Abdel Karim Kassem nach Kairo, wo er erste Kontakte zum CIA geknüpft haben soll. Kassem hatte die KPD im Irak legalisiert und mit der Verstaatlichung der Ölindustrie des Iraks begonnen. Im Februar 1963 erfolgte ein zweiter Putsch gegen Kassem, wobei dieser erschossen wurde. Die Koordination des Unterfangens oblag der CIA. CIA-Agenten hatten noch vor dem Sturz Kassems Listen von Linksintellektuellen angefertigt, von denen anschliessend Tausende hingerichtet wurden. Also unter den Augen der nur nach Bedarf die Menschenrechte hochhaltenden USA. Es ist bekanntermassen zweckmässig, eine opposi-tionelle Elite zu eliminieren, bevor mit dem CIA verbündete Kräfte das Ruder übernehmen. Saddam Hussein kam zwar anschliessend an die Macht, jedoch stellte sich das Ganze als Fehlkalkulation für die USA heraus, da Hussein 1967 die Beziehungen zu den USA abbrach. Als der Krieg des Iraks gegen den Iran Gestalt annahm, wurden die Kontakte offensichtlich neu geknüpft. Präsident Carter liess Hussein durch den saudischen Kronprinz Fahd wissen, dass er nichts dagegen hätte, wenn Hussein den Iran angreife, an dessen Spitze Chomeini stand. Das war das erste Mal, dass Saddam von den USA grünes Licht zu einem Krieg erhielt. Der Washington Insider, Vol. 12 Nr. 41 vom 10. Oktober 2002, schreibt, dass der damalige nationale Sicherheitsberater Brzezinski den Krieg (1980-1988) initiiert habe. Die in den USA erscheinende ‚Newsweek’ berichtete darüber hinaus, dass Washington nach Besuchen Rumsfelds in Bagdad 1983/1984, bei denen er auch mit Saddam Hussein zusammentraf, den Irak mit militärischem Gerät und Informationen versorgte — sowie mit Chemikalien und Biokulturen, die auch militärisch genutzt werden konnten. Rumsfeld bescheinigte dem Diktator ‚Dynamik und Selbstvertrauen’. Der Verlauf des Krieges, Saddams Aufrüstung durch den Westen und der Beistand der CIA, die alles unternahm, damit Saddam den Krieg gegen den Iran nicht verlor, ist bekannt. Kurz: Wir haben hier die bekannte enge Zusammenarbeit von CIA und US-Regierung mit einem Diktator, der heute mit den zynischsten Begriffen belegt wird. Saddams Krieg gegen den Iran endete im August 1988 mit einem Waffenstillstand zwischen den beiden Ländern. Nicht zu übersehen ist, dass die USA weiterhin auf Saddam Hussein setzten, obwohl bekannt war, dass sein Regime eines der brutalsten und repressivsten der Welt war. Die USA kannten auch das Ausmass des irakischen ABC-Waffenprogramms. Zu Beginn des Jahres 1989 wurde die Regierung von George H. Walker Bush, dem Vater des jetzigen Präsidenten, darüber unterrichtet, dass der Irak den Bau einer Atombombe anstrebe. Keine dieser Fakten wurde zum Hemmschuh für Hussein. Er sollte weiterhin unter US-Kontrolle bleiben. Hussein war jedoch durch den Krieg mit 65 Milliarden US-$ verschuldet, der ideale Zustand für Henry Kissinger und die USA, um von ihm zu verlangen, Iraks Ölfelder zu privatisieren, was er ablehnte. Damit nicht genug: Hussein hatte früh erkannt, dass sich die Araber mit Japan, Russland und Europa verbünden sollten, um den Einfluss der USA in der Region zurückzudrängen, was er in seiner Rede vor dem Arabischen Kooperationsrat in Amman im Frühjahr 1990 öffentlich vortrug Er forderte die ölreichen arabischen Staaten auf, sich zusammenzutun, ihre konkurrenzlosen Energiequellen zu nutzen und die Beziehungen zu Europa, Japan und der Sowjetunion auf eine Weise auszubauen, die ihnen so schnell wie möglich Vorteile brächte. Damit war sein Niedergang sozusagen vorprogrammiert. und die USA und England sannen von diesem Moment an auf Möglichkeiten, den Irak in eine Lage zu manövrieren, die den Vorwand für eine militärische Intervention liefern sollte, dies unter dem Deckmantel der Sicherung der Weltölversorgung. Heute benutzen die USA das weitaus effizientere Etikett des globalen Terrors. Die Falle, in die Hussein tappen sollte, wurde durch Kuwait gelegt, welches den Auftrag erhielt, den Markt entgegen allen OPEC-Abmachungen mit billigem Öl zu über-schwemmen. Damit traten für Hussein die erwünschten Schwierigkeiten ein. Der Preissturz raubte ihm den Spielraum, neben der Tilgung seiner Kriegsschulden noch die Preise für die Importe von Nahrungsmitteln bezahlen zu können. Im Juli 1990 waren die Streitigkeiten zwischen dem Irak und Kuwait auf dem Höhepunkt und Saddam Hussein fasste den Plan, Kuwait, das immer zum Irak gehört hatte und erst durch die Engländer abgetrennt worden war, seinem Land wieder einzuverleiben. Ein Einmarsch in Kuwait war natürlich genau das, was einen Angriff auf den Irak legitimierte. Saddam erhielt das zweite Mal grünes Licht für seine Absichten. Washington gab ihm die Zusicherung, dass es keine Stellung in dem Grenzdisput beziehen würde und wünschte sich gleichzeitig 'bessere und vertiefte Beziehungen’. Die krasse Lüge, mit der die Bush-Regierung den Kongress dazu brachte, den Golfkrieg zu beginnen, war dieser Tage Gegenstand aller Presseberichte und weder der Golfkrieg selbst noch die durch das brutale UNO-Embargo verursachte Erosion des Landes erfordern weitere Ausführungen. 

Die USA verzichteten darauf, Hussein zu entmachten. Vermutlich bestand von Anfang an nicht die Absicht, ihn zu stürzen. Es ging vielmehr darum ging, sein Regime durch die ab Ende 1998 einsetzenden amerikanisch-britischen Luftangriffe und mittels des Embargos unter Kontrolle zu halten, um, wie es heisst, 'grössere politische Erdbeben im Zweistromland auszuschliessen’. Er wurde ganz einfach noch als Gegengewicht zum Iran gebraucht. Im Januar 1995 traf sich einer der Verschwörer, die einen Putsch gegen Hussein vorbereitet hatten, im Norden des Iraks mit dem angereisten CIA-Agenten Robert Baer, um zu erkunden, was die Regierung in Washington von einem solchen Staatsstreich halte. „Wir müssen wissen, ob Ihr Land uns daran hindern wird oder nicht. Oder wollen die USA, dass Saddam an der Macht bleibt?“ Der Putsch wurde von den USA nicht unterstützt und die Verschwörer niedergemacht. (Süddeutsche Zeitung 5. März .03) 

Wo also hätte Hussein, zu Anfang ein reines Produkt der USA, der lange genug ihr hofierter, gehätschelter und begehrter Partner war, "mehrmals die Gelegenheit zum Einlenken“ gehabt? Eine solche wurde ihm gar nicht geboten. Es sei denn, man verstehe darunter die Übergabe der irakischen Ölfelder in die Hände der anglo-amerikanischen Ölmacht und der Finanzgeschäfte in die des Internationalen Währungsfonds. 
Wir lesen ferner: "Deshalb ist auch die Vorstellung, man könne mit UNO-Inspektoren das von ihm (Hussein) mit harter Faust unterdrückte Land abrüsten, illusionär.’ Dagegen steht folgendes:
Der ehemalige UNO-Waffeninspektor Scott Ritter hat die angeblich vom Irak ausgehende Gefahr im britischen 'Spectator' bereits am 30. März 2002 als ‚null“ eingestuft und zugegeben, dass alle Informationen von Unscom an Israel weitergegeben wurden [’Frankfurter Allgemeine Zeitung’ 255 / 4.11.98]. Mit Hilfe des CIA wurde der irakische Sicherheitsdienst systematisch abgehört. Bei den jetzigen Bedingungen für die Waffenin-spektoren geht es u.a. um die fotografische Erfassung des Landes." Damit hätten die USA jeden Winkel des Landes ausgeleuchtet, was im Angriffsfall von ungeheurem Vorteil ist. Ritter gibt ferner folgendes zu Protokoll (Pitt/ Ritter, Krieg gegen den Irak, S. 52f.): "Zwischen 1994 und 1998 überprüften Waffeninspekteure sämtliche chemischen Produktionsstätten des Iraks; es wurden hochempfindliche Messinstrumente und Kameras installiert und unangemeldete Inspektionen durchgeführt. Wir fanden keine Belege dafür, dass Kapazitäten zur Herstellung verbotener Substanzen zurückgehalten oder wiederaufgebaut wurden. Mobile Inspektionsteams durchkämmten den Irak mit hochempfindlichen Sensoren, die Laserstrahlen ausschicken und die Inhaltsstoffe der Partikel untersuchen, die die Strahlen passieren. Diese Geräte positionierten wir in Windrichtung der chemischen Anlage und so konnten wir genau sagen, was da jeweils emittiert wurde. Obwohl es nicht zu unseren Auf-gaben gehörte, waren wir in der Lage, irakische Luftabwehranlagen aufzuspüren, weil die Laserstrahlen auch Salpetersäure anzeigten, ein Oxidationsmittel, das als Treibstoff für Scud-Raketen verwendet wird. Wir lokalisierten die Quelle und entdeckten mehrere Kilometer entfernt liegende irakische SA-2-Luftabwehrraketenstellungen. Die Dinger arbeiten äusserst genau.“ Desgleichen: „Zumindest existieren solche Waffen (chemischer resp. biologischer Natur) weder in der Quantität noch in der Qualität in einem Ausmass, um damit den Weltfrieden bedrohen zu können.“ 

Wieso verbreitet dann die Presse diese erfundene Gefahr für den Weltfrieden immer weiter? Wer den Weltfrieden in Wahrheit permanent bedroht, sind doch die USA und ihre Kriegslobby, wer sonst. Auch im Leitartikel der NZZ Nr. 56 / 8.3.03 wird ins gleiche Horn geblasen: Die irakische Abgabe von Dokumenten über die Abrüstung aller Massenver-nichtungswaffen hat sich "inzwischen bereits wieder als Täuschungsmanöver herausgestellt.“ Wie will die NZZ den Beweis hierfür antreten? Wer glaubt den Engländern und Ame-rikanern noch, nachdem uns unzählige Lügen aufgetischt wurden? Laut Scott Ritter wird "eine Lüge auch durch ständiges Wiederholen nicht zur Wahrheit!" Der französische Informationsdienst ‚Réseau Voltaire’ vom 2. 1. 03 vermittelt einen Bericht des Generals Peter Gration, der die australischen Streitkräfte im Golfkrieg befehligte. Dieser beschwört seine Mitbürger, nicht an einem zweiten Golfkrieg teilzunehmen. Er erklärt, dass der Vorwand der Massenvernichtungswaffen absolut unglaubwürdig ist. Er fügt hinzu, dass Australien im Falle einer Teilnahme das internationale Recht brechen und sich an einer Destabilisierung der Welt beteiligen würde. Er führt ferner aus, dass biologische und bakterielle Waffen eine kurze Lebensdauer haben, taktisch schwer zu handhaben sind und dass selbst dann, wenn Bagdad solche besässe, kein Anlass für einen Einsatz bestünde. Ebenso würde Hussein derartige Waffen niemals an terroristische Gruppen liefern. 

Bereits am 31. Januar 03 erschien in der ‚New York Times’ der Bericht von Stephen C. Pelletiere, führender Mitarbeiter der CIA und der US-Armee, der eine der hinterhältigsten Lügen zur Rechtfertigung des nächsten Krieges der USA gegen den Irak nicht nur entkräftet, sondern sie auch wie eine Seifenblase zum Platzen gebracht hat. Es geht um die Behauptung, dass Hussein chemische Waffen gegen die Bürger seines eigenen Landes, nämlich gegen das wehrlose, in der Nähe der iranischen Grenze gelegene kurdische Dorf Halabja eingesetzt habe. Diese ist längst zum festen Bestandteil der Vorwürfe all jener geworden, die den Machthaber in Bagdad als Monster darzustellen versuchen, der nur noch mit einem »Präventivkrieg« von Schlimmerem abgehalten werden kann. In Halabja wurden im März 1988 gegen Ende des Kriegs angeblich bis zu 5000 Dorfbewohner getötet. In Wahrheit wissen wir nur, dass an diesem Tag die Kurden von Halabja mit Giftgas bombardiert wurden. Aber wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass es irakische Chemiewaffen waren, welche die Kurden getötet haben«. Aber das sei »nicht die einzige Verfälschung in der Geschichte«, so Pelletiere. »Die Vergasung von Halabja, und das wissen wir mit Sicherheit, erfolgte während einer Schlacht zwischen Irakern und Iranern. Der Irak setzte Chemiewaffen ein, um die Iraner zu töten, die das irakische Dorf besetzt hatten. Wenn also dabei kurdische Zivilisten getötet wurden, dann hatten sie das Pech, ins Kreuzfeuer der Chemiewaffen geraten zu sein. Aber ganz sicher waren sie nicht das Hauptziel der Iraker«, betont der ehemalige CIA-Auswerter, um dann auf einen »dunkleren Teil der Geschichte« hinzuweisen: »Unmittelbar nach der Schlacht von Halabja führte die DIA (der militärische Geheimdienst der US-Army) eine Untersuchung durch, deren Ergebnisse in einem Geheimbericht festgehalten wurden«, so Pelletiere. »In diesem Bericht stand ganz klar, dass iranisches Gas die Kurden getötet hatte und nicht irakisches. Die Agency (DIA) hatte herausgefunden, dass beide Seiten in der Schlacht um Halabja Giftgas eingesetzt hatten. Der Zustand der Leichen der Kurden deutete jedoch darauf hin, dass sie mit einem Gift getötet wurden, der über die Blutbahnen wirkt, d.h. mit einem Gas auf Zyankali-Basis, das, wie bekannt, vom Iran ein-gesetzt wurde. Die Iraker, bei denen von der Einsetzung von Senfgas ausgegangen wurde, hatten zu jener Zeit kein Gas, das über die Blutbahnen wirkt«, führt Professor Pelletiere seine Beweisführung über die Lügen der Regierungen Bush und Blair zu Ende. (Auszug aus der Übersetzung in 'Junge Welt' vom 3. Februar 2003 - http://www.jungewelt.de/2003/02-03/005.php) 

Wie kommt also die NZZ in ihrem Leitartikel dazu, jetzt noch die folgende Aussage zu machen: "Auf Grund seiner Angriffskriege gegen den Iran und Kuwait und seiner C-Waffen-Attacken auf Kurden im eigenen Land hätte Saddam Hussein eigentlich längst auch vor ein internationales Kriegstribunal gehört." (Nr. 56 / 8.3.03) Man sollte ja wohl noch annehmen dürfen, dass eine Berichtigung von der Tragweite wie die von Pelletiere auch in die Redaktionsstuben der NZZ gedrungen ist. Und vor ein Kriegsgericht gehörten in erster Linie einmal die Kriegsgurgeln der USA, wozu ich allen voran Henry Kissinger und die Mehrheit der CIA-Agenten zähle. 

Wir lesen weiter (Nr. 65): "Welches Unheil er (also Saddam Hussein) nun militärisch und auch terroristisch noch anzurichten vermag, werden die nächsten Stunden und Tage zeigen." Wenig bis nichts, wenn man die bereits abgeschlossene Infiltration des Iraks durch die USA und deren militärische Übermacht bedenkt, die auf ein ausgeblutetes und ausspioniertes Land einschlagen wird. Die Situation sieht an Hand kurzer Auszüge aus dem Artikel von Wolfgang Sofsky (Frankfurter Rundschau vom 11. Februar 2002) wie folgt aus: Im Frühjahr 2002 wies Bush die CIA in einem Geheimdekret an, den Sturz Saddams vorzubereiten. Dies schloss die Lizenz zum Töten ein. .Im Spätsommer 2002 übten amerikanische Spezialeinheiten mit ihren jordanischen Waffengefährten den Angriff auf Depots und Transportwege (der Verbund Jordanien / USA dürfte mit ein Grund für die erneute Anwesenheit des jordanischen Königspaars am WEF in Davos sein). Entlang der irakischen Grenze bauten sie ein Netzwerk vorgeschobener Stützpunkte auf, die seitdem als Basis der Infiltration dienen. Seit September 02 sind rund 150 Angehörige der CIA und der Special Forces auf dem Gebiet des Iraks unterwegs. Sie überwachen Ölfelder und Befestigungen, markieren Minenfelder und Flugabwehrstellungen für den Luftangriff. Im Westen suchen sie, unterstützt von britischen SAS- und israelischen Shaldag-Leuten, nach mobilen Abschussrampen und Bunkerdepots, um frühzeitig einen Raketenangriff auf Israel oder Jordanien auszuschließen. Gleichzeitig werden die Routen für die Invasion der Luftlandetruppen aus dem Westen gesichert. Im Süden bereiten die Kommandos den Vormarsch auf der Hauptlinie aus Kuwait vor, bilden Sabotagetrupps aus und dirigieren in der Flugverbotszone die Jagdbomber per Laser und Laptop. Aus Bagdad gelangen Nachrichten über die neu errichteten Verteidigungsanlagen an die Stäbe. Im Norden ähnelt die Lage der Situation in Afghanistan. Der irakische Zentralstaat hat in Kurdistan nicht nur die Hoheit in der Luft, sondern auch am Boden längst eingebüsst. In der Bergregion Kurdistans können sich die alliierten Agenten und Elitesoldaten nahezu frei bewegen. Seit Anfang 2002 sind sie mit der Befestigung von Stützpunkten, der Erkundung möglicher Angriffsziele und der taktischen Ausbildung kurdischer Hilfstruppen beschäftigt Und um der Zerstörung der Ölfelder vorzubeugen, sollen britische Teams bereits in der Gegend von Mossul aktiv sein. Der Luftkrieg hat ebenfalls schon begonnen. Im September 2002, noch bevor an der jordanischen Grenze die Infiltration begann, gingen die Alliierten dazu über, die Führungs- und Nachrichtenzentren der irakischen Luftabwehr gezielt zu bombardieren. Mehr als 100 Flugzeuge waren an diesem Angriff beteiligt. Während der letzten Wochen nahmen die Attacken dramatisch zu. Nahezu täglich werden Radarstationen, Artilleriestellungen und Kabelleitungen im Süden und Norden unter Beschuss genommen. Die Patrouillenflüge dienen nicht mehr dazu, das Gebiet zu überwachen, sondern die Verbindungslinien im gesamten Land zu kappen, die Kommandozentralen zu zerstören und die Flugabwehr systematisch auszuschalten.' Ein albtraumartiges Szenarium. 

“Weshalb es für Bagdad so leicht war, die Mitglieder des Sicherheitsrates gegeneinander auszuspielen, so dass sie das ursprüngliche Ziel aus den Augen verloren, ist eine andere Frage" (Nr. 65). Die Schuld daran, dass keine zweite Resolution zustande kam, schiebt die NZZ ganz einfach "in erster Linie Saddam Hussein zu." Von einem gegenseitigen Ausspielen kann nicht die Rede sein, sondern lediglich von der nüchternen Erkenntnis der Mitentscheidungsträger, dass man die USA infolge ihrer haltlosen Drohungen - den Einsatz von Atomwaffen eingeschlossen - schon lange nicht mehr als Partner, sondern nur noch als Usurpator betrachten kann, der mit Druck und Bestechung arbeitet. Um verlässliche Anführer für eine Revolte gegen Iraks Regime zu gewinnen, werden lokale Warlords derzeit mit Zehntausenden von Dollars bestochen (Frankfurter Rundschau, 11.2.03). Auch für die den USA Sukkurs gewährenden zentral- und südosteuropäischen Reformstaaten schaut ein 'Kriegsgewinn' in Form von massiven Zusagen wirtschaftlicher Art heraus.

Dies sind einige wenige der in der NZZ publizierten Fakten, die entweder exakten Recher-chen nicht standhalten oder deren extreme Einseitigkeit zu relativieren wäre. Vollends in den Bereich der Fabel verweise ich die Behauptung des Chefredaktors Dr. H. Bütler, der sich nicht zu schreiben scheut (Nr. 56), dass die Zeiten für Rohstoffkriege seit 1989 / 91 wohl vorbei sind. Nein, sie fangen erst richtig an. Aufhorchen lässt auch seine Sicht, dass man (unter den jetzt gegebenen Umständen des Scheiterns der Resolution) "die UNO als potentielle 'Weltregierung' a priori nicht ernst nimmt". Ich danke für diese von niemand gewünschte Weltregierung, als deren hauptsächlichsten Drahtzieher ich die USA mit ihren seit Pearl Harbour geführten zahllosen Angriffskriegen sehe. Und die zum Teil massiv kor-rupten Mitgliedsstaaten, die auf Kosten der Steuerzahler am Dauertropf des Internationalen Währungsfonds hängen, tragen keineswegs dazu bei, die UNO glaubwürdig zu machen. 

Darüber hinaus finden sich in der NZZ Beurteilungen der Kriegsgegner, die für meine Begriffe masslos arrogant sind. Gerhard Schröder bekommt jeweils eine volle Breitseite ab. Hier einige Ausschnitte: Schröder wird immer wieder unterstellt, dass sein Nein zu einem Irakkrieg aus wahltaktischen Gründen erfolgte. Entsprechende Darstellungen fanden sich auch in der Presse der BRD. Die Wahrheit ist, dass in dieser Frage praktisch das ganze Volk geschlossen hinter dem Kanzler steht. und dass die Reaktion der CDU überwiegend mit Empörung registriert wird. In dem Essay 'Vom Guten Geist verlassen' (NZZ 20 / 25. 1. 03) lesen wir u.a.: "Mit Bestürzung nahm man dort (in den USA) zur Kenntnis, dass Schröder zur Rettung seines Wahlkampfes willens war, die deutsch-amerikanischen Beziehungen so nachhaltig zu stören. Das gegenseitige Verhältnis hat sich seither nicht mehr erholt'. Kommentar: Wenn ich mich, um meine Beziehungen zu einer Weltmacht wie die USA nicht zu stören, zum Handlanger eines gegen alle moralischen Prinzipien verstossenden Angriffs machen soll, kann ich auf diese verzichten, denn dann stellen sie keine tragbare Beziehung mehr da, sondern die totale Abhängigkeit. Ferner: "Wie schon sein (Schröders) Verhalten im letzten Herbst, ist der neueste Schachzug eine billige, brüskierende Provokation der Amerikaner, die ja nie eine Teilnahme der Deutschen gefordert hatten." Letztere wurde vielleicht nicht laut ausgesprochen, sie war aber implizit immer gegeben. Der Autor täte gut daran, den in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' veröffentlichten Forderungskatalog der Regierung Bush an die BRD zu lesen, der unter "Deutschland eine 'zweite Chance"' geben" läuft. Er käme zu einem ganz anderen Ergebnis. Das gesamte Essay enthält aus meiner Sicht nicht nur völlig absurde pro-amerikanische Aussagen, sondern ist darüber hinaus von einer unaussprechlichen Häme gegen Schröder. Dieser wird u.a. auch als 'Anhängsel Chiracs' be-zeichnet, man spricht von "Schröder im Morast seiner Irakpolitik" und die Ablehnung des Krieges durch Frankreich und Deutschland figuriert unter "Eskapaden eines Chiracs und noch mehr eines Schröders". Es wird ihnen angelastet, "kurzsichtige innenpolitische Erwägungen über alles andere stellen". Kein Wunder, dass Blair von Seiten der Redaktion im Ruf der Standhaftigkeit steht. Es mag sich jeder seine Gedanken machen, ob man hier noch von einer objektiven freien Presseberichterstattung sprechen kann. 

Die Ausgabe vom 31. 12. 2002 belehrt uns: "Als letztes Mittel muss eine militärische Intervention legitim sein. Sie muss zulässig sein, um einen höchst unberechenbaren Potentaten zu stürzen, von dem die Welt zu fürchten hat, dass er Massenvernichtungsmittel einsetzt oder sie terroristischen Netzwerken zuhält." Nun, der Krieg hat leider trotz weltweiter Proteste begonnen, womit die amerikanische 'Mutter aller Bomben' in Aktion tritt. Die Frage des Besitzes von Massenvernichtungsmitteln wird sich nie mehr klären lassen, da der Irak mit Sicherheit plattgewalzt wird. Für Scott Ritter stammen Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Richard Perle aus dem Umfeld einer neokonservativen Denkfabrik, die äusserst enge Beziehungen zu Israel unterhält und die den Irak als Bedrohung für Israel und die Vereinigten Staaten ansieht. Sie haben sich ideologisch, intellektuell und politisch darauf eingeschworen, Saddam Hussein zu beseitigen (Krieg gegen den Irak, S. 89f) Wenn man bedenkt, dass an diesen zuletzt die Forderung ergangen ist, im irakischen Fernsehen öffentlich zu erklären, dass er Massenvernichtungswaffen besitzt, könnte man glauben, vernunftslosen, total enthemmten und sich der primitivsten Mittel bedienenden Regierungsspitzen ausgeliefert zu sein.

Bettingen, den 20. März 2003