Ausschnitt aus:

Geheimakte Mossad

von Victor Ostrovsky

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Ein Trojaner war ein besonderer Kommunikationsapparat, der von Marinekommandos tief im Feindesland angebracht wurde. Der Apparat fungierte als Relaisstation für Mitteilungen, die von der Desinformations-Abteilung des Mossad, kurz LAP genannt, ausgesandt wurden, um den Gegner in die Irre zu führen. Die Konserven-Aufnahmen wurden von einem Schiff der israelischen Marine auf dem offenen Meer ausgesendet. Es benutzte eine nicht entschlüsselbare digitale Übertragung, die nur von dem Trojaner empfangen werden konnte. Der Apparat sendete dann die Meldung erneut auf einer anderen Frequenz, die für offizielle Angelegenhei- ten im Feindesland benutzt wurde. Sie wurde dann von amerikani-schen Horchstationen in England oder sonstwo aufgefangen. Die Amerikaner gingen mit Sicherheit davon aus, daß sie eine echte (in diesem Fall libysche) Meldung aufgefangen hatten, von daher der Name Trojaner — m Erinnerung an das Trojanische Pferd aus der Mythologie. Der Inhalt der Botschaften bestätigte nach der Dechiffnerung Informationen anderer Geheimdienstquellen, ins-besondere die des Mossad. Der Trojaner selbst mußte so nahe wie möglich an der üblichen Quelle solcher Meldungen plaziert wer-den, weil die Amerikaner durch ausgeklügelte trigonometrische Berechnungen die Quelle verifizieren konnten.

Zwei Eliteeinheiten der Armee waren für die exakte Plazierung des Apparates zustandig, die Matkal-Aufklärungseinheit und die Flotilla 13, das heißt die Marinekommandos. Bei dieser Operation plazierte die Flotilla 13 einen Trojaner in Tripolis, Libyen. In der Nacht vom 17. auf den 18. Februar waren zwei israelische Flugkörper-Schnellboote, die »SAAR 4« der Moledet-Klasse, be-stückt mit Boden-Boden-Raketen vom Typ Harpoon und Gabriel, dem Anti-Raketen-System »Vulcan Falanx«, 20-mm-Maschinen-kanonen und 0.5'-Kanonen, sowie die »Geula« der Hohit-Klasse mit einer Helikopterplattform und Helikoptern sowie der regulä-ren »SAAR-4«-Bewaffnung auf einer scheinbar routinemäßigen Patrouille im Mittelmeer Richtung Sizilien unterwegs. Sie fuhren wie üblich gerade außerhalb der libyschen Teritonalgewässer. Die Kriegsschiffe drosselten mitten in der Nacht nördlich von Tripolis ihre Geschwindigkeit auf vier Knoten. Da sie für das Radar sowohl in Tripolis als auch auf der italienischen Insel Lampedusa sichtbar waren, verlangsamten sie ihre Fahrt so lange, bis ein Team von zwölf Kampfschwimmern in vier sogenannte nasse U-Boote, die dicht unter der Wasseroberfläche fuhren, sogenannte »Schweine«, und zwei Schnellboote mit niedriger Silhouette, sogenannte »Vö-gel« übersetzen konnten. Die »Schweine« konnten jeweils zwei Kampfschwimmer in voller Ausrüstung transportieren. Die »Vö-gel«, ausgerüstet mit einem 7.62-Kaliber-MG und einer Reihe tragbarer panzerbrechender Raketen, konnten je sechs Kampf-schwimmer aufnehmen und die leeren »Schweine« ins Schlepp nehmen. Sie brachten die Kommandos so nahe wie möglich an die Küste heran, wodurch die Distanz, die die »Schweine« zurücklegen mußten, erheblich reduziert wurde. Die »Schweine« waren ver-senkbar und sehr leise, aber relativ langsam. 

Die libysche Küste war dreieinhalb Kilometer entfernt. Im Süd-westen glitzerten die Lichter von Tripolis Acht Kampfschwimmer stiegen in die »Schweine« um und nahmen Kurs auf die Küste. Die »Vogel« blieben an einem festgelegten Treffpunkt zurück, zu »ge-walttätigen Aktionen« bereit, sofern es die Situation erforderte. Die acht Kommandos, in ihren Gummmaßanzügen bis an die Zähne bewaffnet, gingen an Land Die Einheit ließ ihre wie Zigarren geformten Transporter im flachen Wasser abgesenkt zurück und marschierte landeinwärts Zwei Mann trugen den Trojaner, einen 1,80 Meter langen dunkelgrünen Zylinder von 18 Zentimeter Durchmesser.

Ein grauer Lieferwagen stand am Straßenrand, etwa 30 Meter vom Strand entfernt Es war die Schnellstraße von Tripolis nach Sabratha und Bengasi. Um diese Zeit gab es kaum Verkehr Der Fahrer des Wagens schien einen Platten zu reparieren Als sich das Team näherte, horte er mit seiner Arbeit auf und öffnete die rückwärtige Tür des Lieferwagens Er war ein Mossad-Kampfer. Ohne ein Wort sprangen vier Mann in den Wagen und fuhren Richtung Stadt. Die anderen vier kehrten zum Strand zurück und nahmen bei ihren abgetauchten »Schweinen« eine Verteidigungs-stellung ein. Ihre Aufgabe war es, eine Fluchtroute für das andere Team offenzuhalten, falls Probleme auftauchen sollten. Gleichzeitig war ein israelisches Geschwader südlich von Kreta mit aufgetankten Maschinen einsatzbereit. Es war in der Lage, Bodenkräfte von der Kommandoeinheit fernzuhalten und ihnen einen nicht ganz sauberen Abgang zu sichern Zu jenem Zeitpunkt war die kleine Einheit in drei Gruppen geteilt, was sie extrem verwundbar machte. Sollte eine Gruppe auf feindliche Kräfte sto-ßen, war sie angewiesen, mit größter Zurückhaltung zu agieren, bevor der Feind zum Angriff überging. 

Der Lieferwagen parkte hinter einem Appartementgebäude an der AI Jamhunyh-Straße in Tripolis, keine drei Blocks von der Bab-al Azizia-Kaserne entfernt, von der man wußte, daß sie Gaddafis Hauptquartier und Residenz war. Die Männer hatten inzwischen Zivil angelegt Zwei blieben bei dem Wagen zurück, um Schmiere zu stehen, die anderen beiden halfen dem Mossad-Kämpfer, den Zylinder in den obersten Stock des fünfstöckigen Gebäudes zu schaffen Der Zylinder war in einen Teppich gewickelt. In dem Appartement wurde die Kappe des Zylinders geöffnet und eine kleine tellerahnllche Antenne entfaltet, die vor dem Fen-ster in Nordrichtung angebracht wurde. Der Apparat wurde einge-schaltet, und damit war das Trojanische Pferd an seinem Platz. Der Mossad-Kämpfer hatte die Wohnung für sechs Monate gemietet und die Miete im voraus bezahlt. Außer für ihn gab es für niemanden einen Grund, das Appartement zu betreten. Wenn es jedoch jemand täte, wurde sich der Apparat selbst zerstören, wobei der größte Teil des Obergeschosses mit m die Luft fliegen würde. Die drei Manner gingen hinunter zum Wagen und fuhren zurück zum Strand.

Nachdem er die Leute abgesetzt hatte, fuhr der Kämpfer wieder in die Stadt, um das Trojanische Pferd in den nächsten Wochen zu überwachen Die Kommandos legten unverzüglich mit ihren »Schweinen« ab, denn sie wollten nicht bei Tagesanbruch in liby-schen Gewässern erwischt werden. Sie erreichten die »Vögel« und rasten mit voller Geschwindigkeit zu einem Treffpunkt, wo sie von den Flugkörper-Schnellbooten wieder an Bord genommen wurden. Bereits Ende März empfingen die Amerikaner Nachrichten, die von dem Trojanischen Pferd ausgestrahlt wurden. Der Apparat war nur zu Tageszeiten mit starkem Funkverkehr aktiviert. Der Mossad sandte eine lange Reihe von terroristischen Befehlen an verschie-dene libysche Botschaften in der ganzen Welt (beziehungsweise an die Volksbüros, wie sie von den Libyern genannt werden). Die Nachrichten wurden von den Amerikanern dechiffriert, sie schie-nen ihnen hinreichende Beweise dafür zu liefern, daß die Libyer hinter terroristischen Aktivitäten in der ganzen Welt steckten, und bestätigten die entsprechenden Berichte des Mossad. Die Franzosen und Spanier gingen dieser Informationsfülle nicht auf den Leim. Ihnen kam es seltsam vor, daß die Libyer, die in der Vergangenheit bezüglich ihres Funkverkehrs sehr vorsichtig gewesen waren, aus blauem Himmel heraus plötzlich ihre Aktionen ankündigten. Sie fanden es auch verdächtig, daß die Berichte des Mossad in einer Sprache verfaßt waren, die den chiffrierten liby-schen Botschaften auf merkwürdige Weise glich. Sie argumentierten, daß für den Fall, daß diese Informationen stimmten, der Angriff auf die Diskothek La Belle am 5. April in West-Berlin hatte verhindert werden können, weil zwischen der Anweisung und der Durchführung des Anschlags genügend Zeit gewesen sei, um einzu-greifen. Und da dies nicht geschehen sei, konnte--er nicht auf das Konto der Libyer gehen, und die neuen Informationen seien ihrer Ansicht nach ein Schwindel. 

Sie hatten recht. Die Information war ein Schwindel, und der Mossad hatte keinen Anhaltspunkt dafür, wer die Bombe ins La Belle warf, die einen Amerikaner tötete und zahlreiche weitere verwundete. Aber der Mossad war mit so vielen der europaischen Terroristen-Organisationen verbandelt und wußte, daß es in der unheilvollen Atmosphäre in Europa nur eine Sache der Zeit war, bis ein Bombenattentat geschah, bei dem es ein amerikanisches Opfer gab. 

Die Mossad-Spitze rechnete fest mit dem amerikanischen Ver-sprechen, einen Vergeltungsschlag gegen jedes Land zu führen, das nachweislich den Terrorismus unterstützte. Das Trojanische Pferd lieferte den Amerikanern den Beweis, den sie brauchten. Der Mossad benutzte auch Gaddafis Psychopathen-Image und seine Erklärungen - die tatsächlich nur für den inneren Gebrauch gedacht waren -, um die richtige Atmosphäre für einen Schlag gegen Libyen zu erzeugen. Es darf nicht verschwiegen werden, daß Gaddafi im Januar die Große Syrte zu libyschem Terntonalgewässer erklart hatte. Die gedachte Linie zwischen dem westlichen und dem östlichen Eckpunkt des Golfes nannte er »Todeslinie«, was ihm nicht gerade ein moderates Image verlieh. Die Amerikaner fielen Hals über Kopf auf die List herein und zogen die etwas widerstre-benden Engländer mit sich. 

Die Trojanische Operation konnte als Erfolg verbucht werden. Sie führte zu dem Luftschlag, den Präsident Reagan versprochen hatte. Der amerikanische Angriff hatte für den Mossad ein dreifa-ches Ergebnis. Er brachte einen Deal zur Entlassung der amerikani-schen Geiseln im Libanon zum Scheitern, wodurch die Hisbollah m den Augen des Westens Feind Nummer eins blieb. Er war auch eine Botschaft an die gesamte arabische Welt, der noch einmal verdeut- licht wurde, wo die Amerikaner im arabisch-israelischen Konflikt standen. Und drittens ging das Büro daraus als großer Held hervor, der die USA mit lebenswichtigen Informationen für den Kampf gegen den Weltterrorismus versorgt hatte. 

Nur die Franzosen und die Spanier fielen auf den Mossad-Trick nicht herein. Sie waren entschlossen, sich bei diesem aggressiven Akt nicht auf die Seite der Amerikaner zu stellen und erlaubten den amerikanischen Bombenflugzeugen nicht, auf ihrem Weg zum Angriff auf Libyen ihr Territorium zu überfliegen. Damit zeigten sie deutlich, daß sie mit der Aktion nicht einverstanden waren. In der Nacht zum 15. April 1986 warfen einhundertsechzig amerikanische Flugzeuge über sechzig Tonnen Bomben über Li-byen ab. Die Angreifer bombardierten den internationalen Flugha-fen von Tripolis, die Bab-al-Azizia-Kaserne, die Marinebasis Sidi Bilal, die Stadt Bengasi und den Militärflughafen Banina außerhalb von Bengasi. Die Flugzeuge kamen aus England und von Flugzeug-trägern im Mittelmeer. Aus England waren 24 F-lll aus Laken-heath gestartet, 5 EF-111 aus Upper Heyford und 28 Tankflugzeuge aus Mildenhall und Fairford. Sie wurden unterstützt von 18 A-6 und A-7 Kampf- und Kampfunterstützungsflugzeugen, 6 F/A-18 Jägern, 14 EA-6B elektronischen Störflugzeugen und anderen un-terstützenden Systemen. Die Marineflugzeuge kamen von den Flug-zeugträgern »Coral Sea« und »America«. 

Auf libyscher Seite gab es annähernd vierzig zivile Opfer, einschließlich der Adoptivtochter Gaddafis. Auf amerikanischer Seite wurden ein Pilot und sein Waffensystemoffizier getötet, als ihr Flugzeug explodierte. Nach der Bombardierung brach die Hisbollah die Verhandlungen über die Geiseln ab, die sie in Beirut gefangenhielt, und richtete drei von ihnen hin, einschließlich des Amerikaners Peter Kilburn. Anderer-seits wurden die Franzosen für ihre Nichtbeteiligung an dem An-griff durch die Entlassung eines französischen Journalisten, der in Beirut als Geisel festgehalten wurde, belohnt, wie man später erfuhr. (Wie der Zufall so spielt, hatte eine verirrte Bombe bei dem Luftangriff die französische Botschaft in Tripolis getroffen.)  

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Rezensionsbeispiel (findet ihr hier):

"Der ehemalige Mossad-Agent Victor Ostrovsky erzählt, wie er wegen seiner politischen Anschauungen aus dem Mossad herausgeworfen wurde, und dann zusammen mit einer geheimen Untergruppe dieses Geheimdienstes versucht, dessen schmutzige Machenschaften zu entlarven. Schmutzige Machenschaften? Die Unterstützung islamistischer Fundamentalisten in Ägypten zum Beispiel, um die allzu friedliche Regierung zu destabilisieren. Oder der Versuch, Jordanien zu destabilisieren, um aus Jordanien Palästina zu machen (da leben doch sowieso schon 75% Palästinenser, warum schicken wir die anderen nicht auch dahin; so denkt offenbar der rechte Likud-Block). Selbst der Mord an Uwe Barschel geht laut Ostrovsky aufs Mossad-Konto. 
Wie auch immer - wenn nur ein Zehntel von dem stimmt, was Ostrovsky schreibt, dann leben wir normalerweise ziemlich blauäugig vor uns hin."
 

Eigener Kommentar:

Ich habe das Buch selbst nicht gelesen. Ich wollte hiermit nur mal aufzeigen, wie die "geheimen Quellen" (aktuell ja auch verstärkt im Gespräch) der Informationsbeschaffung aussehen können.